Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

merksamkeit des Publicums darauf hinleitet. Wozu aber einer Sache
im Boraus ein Publicum verschaffen, die man noch nicht kennt? Ist
das Journal ein Feind, warum ihm auf solche Weise einen Dienst
erweisen? Ist es dagegen ein ruhiger, würdiger Repräsentant der Re¬
gierungsansichten, warum im Voraus dagegen polemisiren. Ein Negie-
rungsjournal leistet immer d?r Sache des Fortschritts einen wichtigen
Vorschub, weil es das Material zur Discussion liefert, weil es der Oppo¬
sition einen positiven Boden für die Debatte bietet. Es wird selbst der
äußersten Linken in Frankreich nicht in den Sinn kommen, den Unter¬
gang des Journals des Debets zu wünschen, und hätte der rheinische Be¬
obachter nur die mindeste Idee von der Aufgabe eines Regierungsblattes
gehabt, hätte er sich wie ein ernster, würdiger Mann und nicht wie ein
trunkener Raufbold und Händelsucher betragen, es wäre keinem besonne¬
nen Menschen eingefallen, seinen Sturz zu wünschen. Die Frage ist
jetzt nur: wird man in Berlin da anfangen, wo Herr Berche in Cöln
aufhören soll? Es heißt, Letzterer soll als Entschädigung für das Auf¬
hören seines Blattes 1l),(et10 Thaler erhalten. Eine bedeutende Summe!
Aber für die Erfahrung, welche die Negierung dadurch erkaufte, ist die
Summe nicht zu groß. Wohl aber wäre das Geld hinausgeworfen,
wenn man die Erfahrung nicht benutzte, wenn das neue Regierungsor¬
gan in denselben Ton versiele und statt mit Ruhe, mit Kaltblütigkeit
und Würde die Discussion zu leiten, jeder ihr gegenüber stehenden Mei¬
nung mit einem fanatischen "Kreuziget sie!" anfallen würde.

Im Ministerium hat sich eine Veränderung begeben, indem der Fi¬
nanzminister Flottwell, der mit den Ansichten des Ministers Rothe nicht
übereinstimmen konnte, ausschied. Ich melde dies blos, damit dieses
Factum in Ihrer Chronik der Tagesgeschichte nicht fehle. Eine nähere
Motivirung würde bei dem gänzlichen Mangel an Oeffentlichkeit in un¬
sern Staatsangelegenheiten immer nur lückenhaft und auf halben Vor¬
aussetzungen gestützt sein. Ich überlasse daher das langsame Anbohren
dieser Themen den Tageblättern, denen ein größerer Raum dafür gestat¬
tet ist. Ebenso kurz und aus gleichen Ursachen registrire ich die defi¬
nitive Ernennung des Herrn von Bodelschwing zum Minister des In¬
nern und des Herrn von Schapper zum Chef dos Postwesens (an die
Stelle deS verstorbenen H. von Nagler) in meinen Bericht ein.

Lebhafter Anklang in allen Classen der Gesellschaft findet hier die
Errichtung einer neuen, reich ausgestatteten Lesehalle, im großen Style,
nach dem Muster des berühmten leipziger Museums, nur eleganter und
mit mannichfachen Verbesserungen. Das Local ist im eigentlichen Cent¬
rum der Stadt gewählt (Ecke der Jägerstraße und der obern Wallstraße,
der Bank gegenüber) an einem jener Mittelpunkte, in welchen nicht we¬
niger als fünf Hauptstraßen von den verschiedensten Enden der Stadt
münden. Neun Zimmer und darunter zwei, drei größere Säle, sind für
das Institut bestimmt, in welchem die Journale aller Sprachen und al¬
ler Fächer der Wissenschaft, der Politik und der schönen Literatur auslie¬
gen werden. Damit wird ein Damenzimmer, ein Rauchzimmer, eine
Restauration und ein Cas"- verbunden; letzteres wird von einem der er-


merksamkeit des Publicums darauf hinleitet. Wozu aber einer Sache
im Boraus ein Publicum verschaffen, die man noch nicht kennt? Ist
das Journal ein Feind, warum ihm auf solche Weise einen Dienst
erweisen? Ist es dagegen ein ruhiger, würdiger Repräsentant der Re¬
gierungsansichten, warum im Voraus dagegen polemisiren. Ein Negie-
rungsjournal leistet immer d?r Sache des Fortschritts einen wichtigen
Vorschub, weil es das Material zur Discussion liefert, weil es der Oppo¬
sition einen positiven Boden für die Debatte bietet. Es wird selbst der
äußersten Linken in Frankreich nicht in den Sinn kommen, den Unter¬
gang des Journals des Debets zu wünschen, und hätte der rheinische Be¬
obachter nur die mindeste Idee von der Aufgabe eines Regierungsblattes
gehabt, hätte er sich wie ein ernster, würdiger Mann und nicht wie ein
trunkener Raufbold und Händelsucher betragen, es wäre keinem besonne¬
nen Menschen eingefallen, seinen Sturz zu wünschen. Die Frage ist
jetzt nur: wird man in Berlin da anfangen, wo Herr Berche in Cöln
aufhören soll? Es heißt, Letzterer soll als Entschädigung für das Auf¬
hören seines Blattes 1l),(et10 Thaler erhalten. Eine bedeutende Summe!
Aber für die Erfahrung, welche die Negierung dadurch erkaufte, ist die
Summe nicht zu groß. Wohl aber wäre das Geld hinausgeworfen,
wenn man die Erfahrung nicht benutzte, wenn das neue Regierungsor¬
gan in denselben Ton versiele und statt mit Ruhe, mit Kaltblütigkeit
und Würde die Discussion zu leiten, jeder ihr gegenüber stehenden Mei¬
nung mit einem fanatischen „Kreuziget sie!" anfallen würde.

Im Ministerium hat sich eine Veränderung begeben, indem der Fi¬
nanzminister Flottwell, der mit den Ansichten des Ministers Rothe nicht
übereinstimmen konnte, ausschied. Ich melde dies blos, damit dieses
Factum in Ihrer Chronik der Tagesgeschichte nicht fehle. Eine nähere
Motivirung würde bei dem gänzlichen Mangel an Oeffentlichkeit in un¬
sern Staatsangelegenheiten immer nur lückenhaft und auf halben Vor¬
aussetzungen gestützt sein. Ich überlasse daher das langsame Anbohren
dieser Themen den Tageblättern, denen ein größerer Raum dafür gestat¬
tet ist. Ebenso kurz und aus gleichen Ursachen registrire ich die defi¬
nitive Ernennung des Herrn von Bodelschwing zum Minister des In¬
nern und des Herrn von Schapper zum Chef dos Postwesens (an die
Stelle deS verstorbenen H. von Nagler) in meinen Bericht ein.

Lebhafter Anklang in allen Classen der Gesellschaft findet hier die
Errichtung einer neuen, reich ausgestatteten Lesehalle, im großen Style,
nach dem Muster des berühmten leipziger Museums, nur eleganter und
mit mannichfachen Verbesserungen. Das Local ist im eigentlichen Cent¬
rum der Stadt gewählt (Ecke der Jägerstraße und der obern Wallstraße,
der Bank gegenüber) an einem jener Mittelpunkte, in welchen nicht we¬
niger als fünf Hauptstraßen von den verschiedensten Enden der Stadt
münden. Neun Zimmer und darunter zwei, drei größere Säle, sind für
das Institut bestimmt, in welchem die Journale aller Sprachen und al¬
ler Fächer der Wissenschaft, der Politik und der schönen Literatur auslie¬
gen werden. Damit wird ein Damenzimmer, ein Rauchzimmer, eine
Restauration und ein Cas«- verbunden; letzteres wird von einem der er-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0148" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/183169"/>
            <p xml:id="ID_390" prev="#ID_389"> merksamkeit des Publicums darauf hinleitet. Wozu aber einer Sache<lb/>
im Boraus ein Publicum verschaffen, die man noch nicht kennt? Ist<lb/>
das Journal ein Feind, warum ihm auf solche Weise einen Dienst<lb/>
erweisen? Ist es dagegen ein ruhiger, würdiger Repräsentant der Re¬<lb/>
gierungsansichten, warum im Voraus dagegen polemisiren. Ein Negie-<lb/>
rungsjournal leistet immer d?r Sache des Fortschritts einen wichtigen<lb/>
Vorschub, weil es das Material zur Discussion liefert, weil es der Oppo¬<lb/>
sition einen positiven Boden für die Debatte bietet. Es wird selbst der<lb/>
äußersten Linken in Frankreich nicht in den Sinn kommen, den Unter¬<lb/>
gang des Journals des Debets zu wünschen, und hätte der rheinische Be¬<lb/>
obachter nur die mindeste Idee von der Aufgabe eines Regierungsblattes<lb/>
gehabt, hätte er sich wie ein ernster, würdiger Mann und nicht wie ein<lb/>
trunkener Raufbold und Händelsucher betragen, es wäre keinem besonne¬<lb/>
nen Menschen eingefallen, seinen Sturz zu wünschen. Die Frage ist<lb/>
jetzt nur: wird man in Berlin da anfangen, wo Herr Berche in Cöln<lb/>
aufhören soll? Es heißt, Letzterer soll als Entschädigung für das Auf¬<lb/>
hören seines Blattes 1l),(et10 Thaler erhalten. Eine bedeutende Summe!<lb/>
Aber für die Erfahrung, welche die Negierung dadurch erkaufte, ist die<lb/>
Summe nicht zu groß. Wohl aber wäre das Geld hinausgeworfen,<lb/>
wenn man die Erfahrung nicht benutzte, wenn das neue Regierungsor¬<lb/>
gan in denselben Ton versiele und statt mit Ruhe, mit Kaltblütigkeit<lb/>
und Würde die Discussion zu leiten, jeder ihr gegenüber stehenden Mei¬<lb/>
nung mit einem fanatischen &#x201E;Kreuziget sie!" anfallen würde.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_391"> Im Ministerium hat sich eine Veränderung begeben, indem der Fi¬<lb/>
nanzminister Flottwell, der mit den Ansichten des Ministers Rothe nicht<lb/>
übereinstimmen konnte, ausschied. Ich melde dies blos, damit dieses<lb/>
Factum in Ihrer Chronik der Tagesgeschichte nicht fehle. Eine nähere<lb/>
Motivirung würde bei dem gänzlichen Mangel an Oeffentlichkeit in un¬<lb/>
sern Staatsangelegenheiten immer nur lückenhaft und auf halben Vor¬<lb/>
aussetzungen gestützt sein. Ich überlasse daher das langsame Anbohren<lb/>
dieser Themen den Tageblättern, denen ein größerer Raum dafür gestat¬<lb/>
tet ist. Ebenso kurz und aus gleichen Ursachen registrire ich die defi¬<lb/>
nitive Ernennung des Herrn von Bodelschwing zum Minister des In¬<lb/>
nern und des Herrn von Schapper zum Chef dos Postwesens (an die<lb/>
Stelle deS verstorbenen H. von Nagler) in meinen Bericht ein.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_392" next="#ID_393"> Lebhafter Anklang in allen Classen der Gesellschaft findet hier die<lb/>
Errichtung einer neuen, reich ausgestatteten Lesehalle, im großen Style,<lb/>
nach dem Muster des berühmten leipziger Museums, nur eleganter und<lb/>
mit mannichfachen Verbesserungen. Das Local ist im eigentlichen Cent¬<lb/>
rum der Stadt gewählt (Ecke der Jägerstraße und der obern Wallstraße,<lb/>
der Bank gegenüber) an einem jener Mittelpunkte, in welchen nicht we¬<lb/>
niger als fünf Hauptstraßen von den verschiedensten Enden der Stadt<lb/>
münden. Neun Zimmer und darunter zwei, drei größere Säle, sind für<lb/>
das Institut bestimmt, in welchem die Journale aller Sprachen und al¬<lb/>
ler Fächer der Wissenschaft, der Politik und der schönen Literatur auslie¬<lb/>
gen werden. Damit wird ein Damenzimmer, ein Rauchzimmer, eine<lb/>
Restauration und ein Cas«- verbunden; letzteres wird von einem der er-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0148] merksamkeit des Publicums darauf hinleitet. Wozu aber einer Sache im Boraus ein Publicum verschaffen, die man noch nicht kennt? Ist das Journal ein Feind, warum ihm auf solche Weise einen Dienst erweisen? Ist es dagegen ein ruhiger, würdiger Repräsentant der Re¬ gierungsansichten, warum im Voraus dagegen polemisiren. Ein Negie- rungsjournal leistet immer d?r Sache des Fortschritts einen wichtigen Vorschub, weil es das Material zur Discussion liefert, weil es der Oppo¬ sition einen positiven Boden für die Debatte bietet. Es wird selbst der äußersten Linken in Frankreich nicht in den Sinn kommen, den Unter¬ gang des Journals des Debets zu wünschen, und hätte der rheinische Be¬ obachter nur die mindeste Idee von der Aufgabe eines Regierungsblattes gehabt, hätte er sich wie ein ernster, würdiger Mann und nicht wie ein trunkener Raufbold und Händelsucher betragen, es wäre keinem besonne¬ nen Menschen eingefallen, seinen Sturz zu wünschen. Die Frage ist jetzt nur: wird man in Berlin da anfangen, wo Herr Berche in Cöln aufhören soll? Es heißt, Letzterer soll als Entschädigung für das Auf¬ hören seines Blattes 1l),(et10 Thaler erhalten. Eine bedeutende Summe! Aber für die Erfahrung, welche die Negierung dadurch erkaufte, ist die Summe nicht zu groß. Wohl aber wäre das Geld hinausgeworfen, wenn man die Erfahrung nicht benutzte, wenn das neue Regierungsor¬ gan in denselben Ton versiele und statt mit Ruhe, mit Kaltblütigkeit und Würde die Discussion zu leiten, jeder ihr gegenüber stehenden Mei¬ nung mit einem fanatischen „Kreuziget sie!" anfallen würde. Im Ministerium hat sich eine Veränderung begeben, indem der Fi¬ nanzminister Flottwell, der mit den Ansichten des Ministers Rothe nicht übereinstimmen konnte, ausschied. Ich melde dies blos, damit dieses Factum in Ihrer Chronik der Tagesgeschichte nicht fehle. Eine nähere Motivirung würde bei dem gänzlichen Mangel an Oeffentlichkeit in un¬ sern Staatsangelegenheiten immer nur lückenhaft und auf halben Vor¬ aussetzungen gestützt sein. Ich überlasse daher das langsame Anbohren dieser Themen den Tageblättern, denen ein größerer Raum dafür gestat¬ tet ist. Ebenso kurz und aus gleichen Ursachen registrire ich die defi¬ nitive Ernennung des Herrn von Bodelschwing zum Minister des In¬ nern und des Herrn von Schapper zum Chef dos Postwesens (an die Stelle deS verstorbenen H. von Nagler) in meinen Bericht ein. Lebhafter Anklang in allen Classen der Gesellschaft findet hier die Errichtung einer neuen, reich ausgestatteten Lesehalle, im großen Style, nach dem Muster des berühmten leipziger Museums, nur eleganter und mit mannichfachen Verbesserungen. Das Local ist im eigentlichen Cent¬ rum der Stadt gewählt (Ecke der Jägerstraße und der obern Wallstraße, der Bank gegenüber) an einem jener Mittelpunkte, in welchen nicht we¬ niger als fünf Hauptstraßen von den verschiedensten Enden der Stadt münden. Neun Zimmer und darunter zwei, drei größere Säle, sind für das Institut bestimmt, in welchem die Journale aller Sprachen und al¬ ler Fächer der Wissenschaft, der Politik und der schönen Literatur auslie¬ gen werden. Damit wird ein Damenzimmer, ein Rauchzimmer, eine Restauration und ein Cas«- verbunden; letzteres wird von einem der er-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/148
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/148>, abgerufen am 24.07.2024.