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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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immer ohne Abwechslung wiederkehren und dem jungen Anfänger zum
Maßstabe der Naturbetrachtung mitgegeben werden. So geschieht es,
daß Jahr für Jahr Talente zu Grunde gehen, die unter besserer Lei¬
tung wahre Künstler geworden wären und die allgemeine Klage, das)
nach beendeten akademischen Unterricht man mehr damit zu thun habe,
das Erlernte abzustreifen und einen neuen Weg sich zu bahnen, als
darauf weiter zu bauen, findet immer mehr ihre Begründung. Diese
Mängel des künstlerischen Unterrichts, die in wiener Journalen schon
häusig in wohlmeinender Weise zur Sprache kamen, haben im ver¬
flossenen Jahre den Professor Waldmüller zu einer Eingabe in den
akademischen Rath bewogen, worin er die Schwächen und Verkehrt¬
heiten aufdeckte und nur vielleicht zu einseitig und in etwas materieller
Auffassung -- auf einen naturgemäßen! Unterricht hinwies. Der Rath
nahm nach langem Zögern diese Denkschrift, die ihm freilich einen
Querbalken in die ausgefahrene Straße legte, in Verhandlung und
das Resultat war, daß man, von mancher Seite sogar auf rohe un¬
verschämte Weise, diese wohlmeinende Schrift als falsch und zwecklos
zurückwies und den Beschluß faßte, beim alten Schlendrian zu blei¬
ben. Doch hoffen wir noch immer, daß vielleicht von höherer Seite
dieses akademische Sumpfleben endlich vom Grunde aus aufgewühlt
werde, um so mehr als sich alle Stimmen schon dagegen erheben.
Professor Waldmüller wird seine Schrift in Druck herausgeben und
sie zur Prüfung vorlegen.

Genre und Landschaft sowie das Portrait gedeihen in
Oesterreich bei Weitem besser, als die Historienmalerei. Vorzüglich
das Portrait wird durch ausgezeichnete Künstler hier wohl viel besser
als irgendwo anders vertreten. Zwar fehlt es nicht an mannichfachen
Schwächen und jene großartige Menschenauffassung, welche uns aus
den Bildnissen eines Tizian, Rubens und Van Dyk so lebensfrisch
entgegentritt und uns ahnen läßt, wie eine ganze Welt in einer Brust
verschlossen sein könne, liegt weit ab, doch müssen wir bedenken, daß
auch wir uns geändert haben, daß zwischen einem Dogen Venedigs
und einem modernen Magistratsrathe kein geringerer Unterschied liege,
als zwischen einem Kauffahrer der Hansa und einem jüdischen Han¬
delsmanne unserer Zeit. Unsere moderne Unbedeutendheit, dieses Aus¬
weichen und Schmiegen über alle Ecken und Härten, ist grade groß
genug um jeden charakteristischen Zug des Gesichts zu verwischen und
den Mienen jene Vielseitigkeit und Vieldeutigkeit zu geben, welche der
Sinn unserer Worte und der Geist unseres Handelns ist. Selten be-


immer ohne Abwechslung wiederkehren und dem jungen Anfänger zum
Maßstabe der Naturbetrachtung mitgegeben werden. So geschieht es,
daß Jahr für Jahr Talente zu Grunde gehen, die unter besserer Lei¬
tung wahre Künstler geworden wären und die allgemeine Klage, das)
nach beendeten akademischen Unterricht man mehr damit zu thun habe,
das Erlernte abzustreifen und einen neuen Weg sich zu bahnen, als
darauf weiter zu bauen, findet immer mehr ihre Begründung. Diese
Mängel des künstlerischen Unterrichts, die in wiener Journalen schon
häusig in wohlmeinender Weise zur Sprache kamen, haben im ver¬
flossenen Jahre den Professor Waldmüller zu einer Eingabe in den
akademischen Rath bewogen, worin er die Schwächen und Verkehrt¬
heiten aufdeckte und nur vielleicht zu einseitig und in etwas materieller
Auffassung — auf einen naturgemäßen! Unterricht hinwies. Der Rath
nahm nach langem Zögern diese Denkschrift, die ihm freilich einen
Querbalken in die ausgefahrene Straße legte, in Verhandlung und
das Resultat war, daß man, von mancher Seite sogar auf rohe un¬
verschämte Weise, diese wohlmeinende Schrift als falsch und zwecklos
zurückwies und den Beschluß faßte, beim alten Schlendrian zu blei¬
ben. Doch hoffen wir noch immer, daß vielleicht von höherer Seite
dieses akademische Sumpfleben endlich vom Grunde aus aufgewühlt
werde, um so mehr als sich alle Stimmen schon dagegen erheben.
Professor Waldmüller wird seine Schrift in Druck herausgeben und
sie zur Prüfung vorlegen.

Genre und Landschaft sowie das Portrait gedeihen in
Oesterreich bei Weitem besser, als die Historienmalerei. Vorzüglich
das Portrait wird durch ausgezeichnete Künstler hier wohl viel besser
als irgendwo anders vertreten. Zwar fehlt es nicht an mannichfachen
Schwächen und jene großartige Menschenauffassung, welche uns aus
den Bildnissen eines Tizian, Rubens und Van Dyk so lebensfrisch
entgegentritt und uns ahnen läßt, wie eine ganze Welt in einer Brust
verschlossen sein könne, liegt weit ab, doch müssen wir bedenken, daß
auch wir uns geändert haben, daß zwischen einem Dogen Venedigs
und einem modernen Magistratsrathe kein geringerer Unterschied liege,
als zwischen einem Kauffahrer der Hansa und einem jüdischen Han¬
delsmanne unserer Zeit. Unsere moderne Unbedeutendheit, dieses Aus¬
weichen und Schmiegen über alle Ecken und Härten, ist grade groß
genug um jeden charakteristischen Zug des Gesichts zu verwischen und
den Mienen jene Vielseitigkeit und Vieldeutigkeit zu geben, welche der
Sinn unserer Worte und der Geist unseres Handelns ist. Selten be-


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[0118] immer ohne Abwechslung wiederkehren und dem jungen Anfänger zum Maßstabe der Naturbetrachtung mitgegeben werden. So geschieht es, daß Jahr für Jahr Talente zu Grunde gehen, die unter besserer Lei¬ tung wahre Künstler geworden wären und die allgemeine Klage, das) nach beendeten akademischen Unterricht man mehr damit zu thun habe, das Erlernte abzustreifen und einen neuen Weg sich zu bahnen, als darauf weiter zu bauen, findet immer mehr ihre Begründung. Diese Mängel des künstlerischen Unterrichts, die in wiener Journalen schon häusig in wohlmeinender Weise zur Sprache kamen, haben im ver¬ flossenen Jahre den Professor Waldmüller zu einer Eingabe in den akademischen Rath bewogen, worin er die Schwächen und Verkehrt¬ heiten aufdeckte und nur vielleicht zu einseitig und in etwas materieller Auffassung — auf einen naturgemäßen! Unterricht hinwies. Der Rath nahm nach langem Zögern diese Denkschrift, die ihm freilich einen Querbalken in die ausgefahrene Straße legte, in Verhandlung und das Resultat war, daß man, von mancher Seite sogar auf rohe un¬ verschämte Weise, diese wohlmeinende Schrift als falsch und zwecklos zurückwies und den Beschluß faßte, beim alten Schlendrian zu blei¬ ben. Doch hoffen wir noch immer, daß vielleicht von höherer Seite dieses akademische Sumpfleben endlich vom Grunde aus aufgewühlt werde, um so mehr als sich alle Stimmen schon dagegen erheben. Professor Waldmüller wird seine Schrift in Druck herausgeben und sie zur Prüfung vorlegen. Genre und Landschaft sowie das Portrait gedeihen in Oesterreich bei Weitem besser, als die Historienmalerei. Vorzüglich das Portrait wird durch ausgezeichnete Künstler hier wohl viel besser als irgendwo anders vertreten. Zwar fehlt es nicht an mannichfachen Schwächen und jene großartige Menschenauffassung, welche uns aus den Bildnissen eines Tizian, Rubens und Van Dyk so lebensfrisch entgegentritt und uns ahnen läßt, wie eine ganze Welt in einer Brust verschlossen sein könne, liegt weit ab, doch müssen wir bedenken, daß auch wir uns geändert haben, daß zwischen einem Dogen Venedigs und einem modernen Magistratsrathe kein geringerer Unterschied liege, als zwischen einem Kauffahrer der Hansa und einem jüdischen Han¬ delsmanne unserer Zeit. Unsere moderne Unbedeutendheit, dieses Aus¬ weichen und Schmiegen über alle Ecken und Härten, ist grade groß genug um jeden charakteristischen Zug des Gesichts zu verwischen und den Mienen jene Vielseitigkeit und Vieldeutigkeit zu geben, welche der Sinn unserer Worte und der Geist unseres Handelns ist. Selten be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/118>, abgerufen am 24.07.2024.