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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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welche über der HAuserwüste lag, und dann sah man durch die
Lücke bald ein Viereck von Palästen, mit dem grünen Garten in
der Mitte, bald ein Stück Park, von rauchenden Essen umzäunt,
oder einen langen Silberstreisen, auf dem mit geschwellten Segeln
ein Dreimaster hinfuhr und verschwand wie ein Schlittschuhläufer
auf dem Eise; die Bilder kamen und gingen mit den wechselnden
Windstößen, während nichts bleibend war, als die Unzahl von
Kirchthurmspitzen, die gleich dünnen FelSnadeln weithin aus dem
chaotischen Nebelmeere aufragten. Man geht auf einer Gallerie
bequem um die Säule herum, aber den s-ritu multi"Je von da
oben, der eine Zeit lang Mode war, wird Niemand mehr machen.
Der Letzte, der sich vom Monument hinabstürtzte, war ein reicher
Kaufmann. Die drei Brüder G......es hatten einige Millionen
auf der See schwimmen; sie machten Geschäfte nach Amerika. Es
war aber während der berühmten Geldknsis, und bei den Yankees
wurden die Bankerotte so häufig, wie bei den Engländern die Selbst¬
morde. Eines Tages erhält Herr G., der Chef des Hauses, die
Hiobspost, daß sein und seiner Brüder Vermögen verloren sei. Im
ersten Anfall der Verzweiflung steigt er die Wendeltreppe des Mo¬
numents hinauf, Es sind viele, viele Stufen und mühsam zu
ersteigen, wie es vielleicht die Stufenleiter gewesen, die den Un¬
glücklichen ans den Gipfel seines Reichthums gebracht. Man sollte
denken, ein Selbstmörder müsse, während des Hinaufklimmens,
so gur wie ein Anderer gezwungen sein manchmal auszuschnaufen,
und also Gelegenheit haben, sich eines bessern zu besinnen. G.
besann sich nicht. Als der zweite G. den Ruin seines Hauses und
den Tod seines Bruders hörte, jagte er sich eine Kugel durch den
Kopf. Der jüngste Bruder war zu seinem Glück auf dem Lande,
denn als er einen Tag nach der Katastrophe in die Stadt kam,
konnte er füglich weder sich erschießen, noch aufhängen, sondern
höchstens den Verstand verlieren ; er hörte nämlich nicht nur vom
traurigen Ende seiner Brüder, sondern auch, daß ihr Selbstmord
doppelt thöricht, daß die verhängnißvolle Hiobspost eine falsche ge¬
wesen. Statt eines Verlustes von drei bis vier Millionen, stellte
sich ein ebenso großer Gewinn heraus. Der jüngste Bruder be¬
erbte die andern und wurde durch sein Familienglück in einem Tage
dreimal so reich, als er gewesen; den Verstand aber soll er durch-


Grcnzbot-n, 184", 74

welche über der HAuserwüste lag, und dann sah man durch die
Lücke bald ein Viereck von Palästen, mit dem grünen Garten in
der Mitte, bald ein Stück Park, von rauchenden Essen umzäunt,
oder einen langen Silberstreisen, auf dem mit geschwellten Segeln
ein Dreimaster hinfuhr und verschwand wie ein Schlittschuhläufer
auf dem Eise; die Bilder kamen und gingen mit den wechselnden
Windstößen, während nichts bleibend war, als die Unzahl von
Kirchthurmspitzen, die gleich dünnen FelSnadeln weithin aus dem
chaotischen Nebelmeere aufragten. Man geht auf einer Gallerie
bequem um die Säule herum, aber den s-ritu multi»Je von da
oben, der eine Zeit lang Mode war, wird Niemand mehr machen.
Der Letzte, der sich vom Monument hinabstürtzte, war ein reicher
Kaufmann. Die drei Brüder G......es hatten einige Millionen
auf der See schwimmen; sie machten Geschäfte nach Amerika. Es
war aber während der berühmten Geldknsis, und bei den Yankees
wurden die Bankerotte so häufig, wie bei den Engländern die Selbst¬
morde. Eines Tages erhält Herr G., der Chef des Hauses, die
Hiobspost, daß sein und seiner Brüder Vermögen verloren sei. Im
ersten Anfall der Verzweiflung steigt er die Wendeltreppe des Mo¬
numents hinauf, Es sind viele, viele Stufen und mühsam zu
ersteigen, wie es vielleicht die Stufenleiter gewesen, die den Un¬
glücklichen ans den Gipfel seines Reichthums gebracht. Man sollte
denken, ein Selbstmörder müsse, während des Hinaufklimmens,
so gur wie ein Anderer gezwungen sein manchmal auszuschnaufen,
und also Gelegenheit haben, sich eines bessern zu besinnen. G.
besann sich nicht. Als der zweite G. den Ruin seines Hauses und
den Tod seines Bruders hörte, jagte er sich eine Kugel durch den
Kopf. Der jüngste Bruder war zu seinem Glück auf dem Lande,
denn als er einen Tag nach der Katastrophe in die Stadt kam,
konnte er füglich weder sich erschießen, noch aufhängen, sondern
höchstens den Verstand verlieren ; er hörte nämlich nicht nur vom
traurigen Ende seiner Brüder, sondern auch, daß ihr Selbstmord
doppelt thöricht, daß die verhängnißvolle Hiobspost eine falsche ge¬
wesen. Statt eines Verlustes von drei bis vier Millionen, stellte
sich ein ebenso großer Gewinn heraus. Der jüngste Bruder be¬
erbte die andern und wurde durch sein Familienglück in einem Tage
dreimal so reich, als er gewesen; den Verstand aber soll er durch-


Grcnzbot-n, 184«, 74
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/589>, abgerufen am 01.09.2024.