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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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mit einem tröstenden Compliment darauf antworten muß. Ein an¬
deres Fach'mille ist:"


"Auch Gottes Ebenbild! -- geschieht ihm schon recht.

Damals war Saphir bis zum Skepticismus gekommen, so daß er
philosophisch zu reden, mit einem heroischen Act der Selbstvernichtung,
das Ich dem Himmel ins Gesicht schleuderte. Wehmüthige Resig¬
nation aber drückt die allerneueste Signatur aus, welche auf dem Ti¬
telbild zu seinen gesammelten Schriften steht:

-- Das prachtvoll ausgestattete Rheinische Jahrbuch von
Levin Schücking, bringt unter andern schätzenswerthen Gaben --
Varnhagenschen Denkwürdigkeiten von 18V9, Gutzkow'schen Gesprä¬
chen über Theaterschulen und der witzigen Bauernfeld'schen Reichs-
versammlung der Thiere -- "Reliquien von A. W. v. Schlegel."
Das Wichtigste darunter ist ein französisch geschriebener Brief an eine
fromme Freundin, worin der Verstorbene sein Verhältniß zum Katho¬
licismus, die künstlerischen Sympathien der romantischen Schule für
den alten Glauben, die krankhaften Folgen davon und die falschen
Schlüsse, die daraus gezogen würden, unumwunden auseinandersetzt;
wie er selbst, von jenen Sympathien Anfangs hingerissen, sich zuletzt
überzeugt habe, daß eine aus Künstlerstimmungen und Phantasiebe¬
dürfnissen zusammengeflickte Orthodorie nur eine künstliche und sein
eigener "Christenglaube eine Illusion" sei. Er habe sich entschlossen,
"gegen sich selbst wahr zu sein und den Gedanken freien Lauf zu
lassen, auf die Gefahr hin, zu Zweifeln und Verneinungen zu gelan¬
gen." Er halte sich dafür an die "ursprüngliche, angeborene und
allgemeine Religion." Die Methamorphose seines Bruders F. Schle¬
gel, der seit 1819 ein "Alliirter der Jesuiten geworden," scheint be¬
sondern Eindruck auf ihn gemacht und ihm die Augen geöffnet zu
haben. Diese Geständnisse haben doppelten Werth im -Munde eines
Hauptes der romantischen Jrrfahrer. Die übrigen Rococoflittcr aus
Schlegel's nachgelassenen Poesien haben viel Schäferliches und machen
einen um so trübseligern Eindruck, wenn man darauf die nergelnden
Epigramme liest, die Schlegel von seiner eingebildeten classisch-roman¬
tischen Höhe auf Schiller und Göthe herabzuschießen wagt. -- Noch
ein Oesterreicher, außer Bauernfeld, ist im Rheinischen Jahrbuch ein
hochwillkommener, nur zu selten gewordener Gast: Anastasius
Grün mit seinem Gedicht: "Ungebetene Gäste." Der Gedanke ist
socialistisch, ohne Doctrine, die Ausführung das reizendste Gemälde,
in dessen Schönheit die poetische Versöhnung liegt. Eine Jungfrau


mit einem tröstenden Compliment darauf antworten muß. Ein an¬
deres Fach'mille ist:"


„Auch Gottes Ebenbild! — geschieht ihm schon recht.

Damals war Saphir bis zum Skepticismus gekommen, so daß er
philosophisch zu reden, mit einem heroischen Act der Selbstvernichtung,
das Ich dem Himmel ins Gesicht schleuderte. Wehmüthige Resig¬
nation aber drückt die allerneueste Signatur aus, welche auf dem Ti¬
telbild zu seinen gesammelten Schriften steht:

— Das prachtvoll ausgestattete Rheinische Jahrbuch von
Levin Schücking, bringt unter andern schätzenswerthen Gaben —
Varnhagenschen Denkwürdigkeiten von 18V9, Gutzkow'schen Gesprä¬
chen über Theaterschulen und der witzigen Bauernfeld'schen Reichs-
versammlung der Thiere — „Reliquien von A. W. v. Schlegel."
Das Wichtigste darunter ist ein französisch geschriebener Brief an eine
fromme Freundin, worin der Verstorbene sein Verhältniß zum Katho¬
licismus, die künstlerischen Sympathien der romantischen Schule für
den alten Glauben, die krankhaften Folgen davon und die falschen
Schlüsse, die daraus gezogen würden, unumwunden auseinandersetzt;
wie er selbst, von jenen Sympathien Anfangs hingerissen, sich zuletzt
überzeugt habe, daß eine aus Künstlerstimmungen und Phantasiebe¬
dürfnissen zusammengeflickte Orthodorie nur eine künstliche und sein
eigener „Christenglaube eine Illusion" sei. Er habe sich entschlossen,
„gegen sich selbst wahr zu sein und den Gedanken freien Lauf zu
lassen, auf die Gefahr hin, zu Zweifeln und Verneinungen zu gelan¬
gen." Er halte sich dafür an die „ursprüngliche, angeborene und
allgemeine Religion." Die Methamorphose seines Bruders F. Schle¬
gel, der seit 1819 ein „Alliirter der Jesuiten geworden," scheint be¬
sondern Eindruck auf ihn gemacht und ihm die Augen geöffnet zu
haben. Diese Geständnisse haben doppelten Werth im -Munde eines
Hauptes der romantischen Jrrfahrer. Die übrigen Rococoflittcr aus
Schlegel's nachgelassenen Poesien haben viel Schäferliches und machen
einen um so trübseligern Eindruck, wenn man darauf die nergelnden
Epigramme liest, die Schlegel von seiner eingebildeten classisch-roman¬
tischen Höhe auf Schiller und Göthe herabzuschießen wagt. — Noch
ein Oesterreicher, außer Bauernfeld, ist im Rheinischen Jahrbuch ein
hochwillkommener, nur zu selten gewordener Gast: Anastasius
Grün mit seinem Gedicht: „Ungebetene Gäste." Der Gedanke ist
socialistisch, ohne Doctrine, die Ausführung das reizendste Gemälde,
in dessen Schönheit die poetische Versöhnung liegt. Eine Jungfrau


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[0053] mit einem tröstenden Compliment darauf antworten muß. Ein an¬ deres Fach'mille ist:" „Auch Gottes Ebenbild! — geschieht ihm schon recht. Damals war Saphir bis zum Skepticismus gekommen, so daß er philosophisch zu reden, mit einem heroischen Act der Selbstvernichtung, das Ich dem Himmel ins Gesicht schleuderte. Wehmüthige Resig¬ nation aber drückt die allerneueste Signatur aus, welche auf dem Ti¬ telbild zu seinen gesammelten Schriften steht: — Das prachtvoll ausgestattete Rheinische Jahrbuch von Levin Schücking, bringt unter andern schätzenswerthen Gaben — Varnhagenschen Denkwürdigkeiten von 18V9, Gutzkow'schen Gesprä¬ chen über Theaterschulen und der witzigen Bauernfeld'schen Reichs- versammlung der Thiere — „Reliquien von A. W. v. Schlegel." Das Wichtigste darunter ist ein französisch geschriebener Brief an eine fromme Freundin, worin der Verstorbene sein Verhältniß zum Katho¬ licismus, die künstlerischen Sympathien der romantischen Schule für den alten Glauben, die krankhaften Folgen davon und die falschen Schlüsse, die daraus gezogen würden, unumwunden auseinandersetzt; wie er selbst, von jenen Sympathien Anfangs hingerissen, sich zuletzt überzeugt habe, daß eine aus Künstlerstimmungen und Phantasiebe¬ dürfnissen zusammengeflickte Orthodorie nur eine künstliche und sein eigener „Christenglaube eine Illusion" sei. Er habe sich entschlossen, „gegen sich selbst wahr zu sein und den Gedanken freien Lauf zu lassen, auf die Gefahr hin, zu Zweifeln und Verneinungen zu gelan¬ gen." Er halte sich dafür an die „ursprüngliche, angeborene und allgemeine Religion." Die Methamorphose seines Bruders F. Schle¬ gel, der seit 1819 ein „Alliirter der Jesuiten geworden," scheint be¬ sondern Eindruck auf ihn gemacht und ihm die Augen geöffnet zu haben. Diese Geständnisse haben doppelten Werth im -Munde eines Hauptes der romantischen Jrrfahrer. Die übrigen Rococoflittcr aus Schlegel's nachgelassenen Poesien haben viel Schäferliches und machen einen um so trübseligern Eindruck, wenn man darauf die nergelnden Epigramme liest, die Schlegel von seiner eingebildeten classisch-roman¬ tischen Höhe auf Schiller und Göthe herabzuschießen wagt. — Noch ein Oesterreicher, außer Bauernfeld, ist im Rheinischen Jahrbuch ein hochwillkommener, nur zu selten gewordener Gast: Anastasius Grün mit seinem Gedicht: „Ungebetene Gäste." Der Gedanke ist socialistisch, ohne Doctrine, die Ausführung das reizendste Gemälde, in dessen Schönheit die poetische Versöhnung liegt. Eine Jungfrau

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/53>, abgerufen am 01.09.2024.