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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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beigeschleppt wurden. Wo früher die alte niedere Warte gestanden,
wurde ein kühner, himmelhoher Thurm erbaut, der weithin das
Land beherrschte, die alte Ccipelle wurde in einen herrlichen Dom
mit weitgespannten Bogen, mit kostbarem Schnitzwerk und farben¬
reichen Schildereien verwandelt. Als nun der Greis, der eine Zeit¬
lang das Dach seiner Ahnen verlassen mußte, weil es ihm über
dem Kopf zusammenzustürzen drohte, feierlich einzog in den erwei¬
terten, prachtvoll aufgeschmückten Bau, stürzten heiße Thränen aus
seinen Augen. Ja, ihr seid alle meine Söhne, rief er aus, euch
allen gebührt gleiches Recht an diesem Haus und allem seinen Ge¬
biet. -- Bei diesen Worten erhob sich ein großer Tumult in den
Reihen der Schwiegersöhne, Enkel und Verwandten des Ritters;
man ballte die Fäuste, schlug an die Schwerter, und drohende Worte
flogen von allen Lippen. Der Junker trat mit raschen Schritten
aus dem Kreise der Seinen, und mit funkelnden Augen entrollte
er ohne ein Wort zu sprechen das Pergament, welches seinem Va¬
ter am Hochzeitstage von dem Alten eingehändigt wurde. Drei¬
mal schwang er es über seinem Haupte und trat dann wieder zu¬
rück in den Kreis, eine fürchterliche Pause war eingetreten. Die
Kniee deö Greises zitterten. Beide Parteien maßen einander mit
entflammten, zornigen Blicken. Aber den Nachkommen Walpurgas
war die Unterwürfigkeit vor dem Ritter und dem Junker mit der
Muttermilch eingeflößt worden, und statt auf ihre Mehrzahl und
auf ihre Kraft vertrauend, sich die ihnen gebührenden Rechte zu
erzwingen, zogen sie sich zurück. Der Greis athmete wieder auf,
er hatte einen Kampf unter den Brüdern gefürchtet, er zitterte vor dem
Uebermuth der einen, und vor dem entfesselten Zorne der andern Par¬
tei, drum ließ er nach der Art alter Leute, die vor Neuerungen
und allen energischen Handlungen einen Abscheu haben, alles beim
Alten. Aber die Enkel Walpurgaö, die nun entschieden und von
neuem sich von der Nutznießung der Forsten und der gleichmäßigen
Rechte mit ihren Verwandten ausgeschlossen sahen, bauten nun sich
selbst einen jungen Wald an, durchzöge,: ihn mit Straßen, Kanä¬
len, Wiesen und Aeckern, bevölkerten ihn mit Heerden und reichem
Geflügel, auf seinen schönsten Plätzen erhoben sich stattliche Häu¬
ser, Capellen, Mühlen, Eisenhämmer -- und bald glich das Land
umher einem Paradiese, dessen Besitz alle Nachbarn dem alten Burg-


beigeschleppt wurden. Wo früher die alte niedere Warte gestanden,
wurde ein kühner, himmelhoher Thurm erbaut, der weithin das
Land beherrschte, die alte Ccipelle wurde in einen herrlichen Dom
mit weitgespannten Bogen, mit kostbarem Schnitzwerk und farben¬
reichen Schildereien verwandelt. Als nun der Greis, der eine Zeit¬
lang das Dach seiner Ahnen verlassen mußte, weil es ihm über
dem Kopf zusammenzustürzen drohte, feierlich einzog in den erwei¬
terten, prachtvoll aufgeschmückten Bau, stürzten heiße Thränen aus
seinen Augen. Ja, ihr seid alle meine Söhne, rief er aus, euch
allen gebührt gleiches Recht an diesem Haus und allem seinen Ge¬
biet. — Bei diesen Worten erhob sich ein großer Tumult in den
Reihen der Schwiegersöhne, Enkel und Verwandten des Ritters;
man ballte die Fäuste, schlug an die Schwerter, und drohende Worte
flogen von allen Lippen. Der Junker trat mit raschen Schritten
aus dem Kreise der Seinen, und mit funkelnden Augen entrollte
er ohne ein Wort zu sprechen das Pergament, welches seinem Va¬
ter am Hochzeitstage von dem Alten eingehändigt wurde. Drei¬
mal schwang er es über seinem Haupte und trat dann wieder zu¬
rück in den Kreis, eine fürchterliche Pause war eingetreten. Die
Kniee deö Greises zitterten. Beide Parteien maßen einander mit
entflammten, zornigen Blicken. Aber den Nachkommen Walpurgas
war die Unterwürfigkeit vor dem Ritter und dem Junker mit der
Muttermilch eingeflößt worden, und statt auf ihre Mehrzahl und
auf ihre Kraft vertrauend, sich die ihnen gebührenden Rechte zu
erzwingen, zogen sie sich zurück. Der Greis athmete wieder auf,
er hatte einen Kampf unter den Brüdern gefürchtet, er zitterte vor dem
Uebermuth der einen, und vor dem entfesselten Zorne der andern Par¬
tei, drum ließ er nach der Art alter Leute, die vor Neuerungen
und allen energischen Handlungen einen Abscheu haben, alles beim
Alten. Aber die Enkel Walpurgaö, die nun entschieden und von
neuem sich von der Nutznießung der Forsten und der gleichmäßigen
Rechte mit ihren Verwandten ausgeschlossen sahen, bauten nun sich
selbst einen jungen Wald an, durchzöge,: ihn mit Straßen, Kanä¬
len, Wiesen und Aeckern, bevölkerten ihn mit Heerden und reichem
Geflügel, auf seinen schönsten Plätzen erhoben sich stattliche Häu¬
ser, Capellen, Mühlen, Eisenhämmer — und bald glich das Land
umher einem Paradiese, dessen Besitz alle Nachbarn dem alten Burg-


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[0500] beigeschleppt wurden. Wo früher die alte niedere Warte gestanden, wurde ein kühner, himmelhoher Thurm erbaut, der weithin das Land beherrschte, die alte Ccipelle wurde in einen herrlichen Dom mit weitgespannten Bogen, mit kostbarem Schnitzwerk und farben¬ reichen Schildereien verwandelt. Als nun der Greis, der eine Zeit¬ lang das Dach seiner Ahnen verlassen mußte, weil es ihm über dem Kopf zusammenzustürzen drohte, feierlich einzog in den erwei¬ terten, prachtvoll aufgeschmückten Bau, stürzten heiße Thränen aus seinen Augen. Ja, ihr seid alle meine Söhne, rief er aus, euch allen gebührt gleiches Recht an diesem Haus und allem seinen Ge¬ biet. — Bei diesen Worten erhob sich ein großer Tumult in den Reihen der Schwiegersöhne, Enkel und Verwandten des Ritters; man ballte die Fäuste, schlug an die Schwerter, und drohende Worte flogen von allen Lippen. Der Junker trat mit raschen Schritten aus dem Kreise der Seinen, und mit funkelnden Augen entrollte er ohne ein Wort zu sprechen das Pergament, welches seinem Va¬ ter am Hochzeitstage von dem Alten eingehändigt wurde. Drei¬ mal schwang er es über seinem Haupte und trat dann wieder zu¬ rück in den Kreis, eine fürchterliche Pause war eingetreten. Die Kniee deö Greises zitterten. Beide Parteien maßen einander mit entflammten, zornigen Blicken. Aber den Nachkommen Walpurgas war die Unterwürfigkeit vor dem Ritter und dem Junker mit der Muttermilch eingeflößt worden, und statt auf ihre Mehrzahl und auf ihre Kraft vertrauend, sich die ihnen gebührenden Rechte zu erzwingen, zogen sie sich zurück. Der Greis athmete wieder auf, er hatte einen Kampf unter den Brüdern gefürchtet, er zitterte vor dem Uebermuth der einen, und vor dem entfesselten Zorne der andern Par¬ tei, drum ließ er nach der Art alter Leute, die vor Neuerungen und allen energischen Handlungen einen Abscheu haben, alles beim Alten. Aber die Enkel Walpurgaö, die nun entschieden und von neuem sich von der Nutznießung der Forsten und der gleichmäßigen Rechte mit ihren Verwandten ausgeschlossen sahen, bauten nun sich selbst einen jungen Wald an, durchzöge,: ihn mit Straßen, Kanä¬ len, Wiesen und Aeckern, bevölkerten ihn mit Heerden und reichem Geflügel, auf seinen schönsten Plätzen erhoben sich stattliche Häu¬ ser, Capellen, Mühlen, Eisenhämmer — und bald glich das Land umher einem Paradiese, dessen Besitz alle Nachbarn dem alten Burg-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/500>, abgerufen am 03.09.2024.