Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

schwächt Rußland und stärkt den Occident gegen den moskowitischen
Riesen. Doch kein einziger darf es wagen, den Weg zu beschreib",
der zu einer Erfüllung dieses Wunsches führen könnte. Für Oester¬
reich und Preußen selber giebt es kein festes System, hinsichtlich
ihres polnischen Antheils; sie suchen ihre Erbschaft, so lange es die
Umstände erheischen, gut zu verwalten: wie wäre an einen ewigen
Besitz zu denken, wo nur die zwei Fälle möglich sind, daß die russi¬
sche Politik bei den nächsten europäischen Conflicten den Sieg davon
trägt oder unterliegt. Im ersteren Falle ist die Vereinigung der sla¬
vischen Bestandtheile der beiden deutschen Großmächte mit dem russi¬
schen Ländercompler das natürlichste Resultat, und im letztern würde
gewiß eine polnische Jnsurrection als die kräftigste Vorhut gegen das
feindliche Moskowiterthum gedient haben, und in der Wiederherstel¬
lung des polnischen Reiches würde eben sowohl ein Act der Gerech¬
tigkeit geübt als einer Pflicht der politischen Weisheit erfüllt sein.
Vor der Hand dürfte lediglich wieder Rußland den größten Gewinn
aus den Ausbrüchen des sarmatischen Patriotismus schöpfen, indem
sie ihm einen guten Vorwand zu einer weitem Entfaltung seines
Vernichtungssystems gegen Polen bieten und zugleich die beiden Nach¬
barstaaten zu einer strengeren Behandlung ihrer polnischen Untertha¬
nen zwingen, wodurch der Contrast zwischen der Lage des deutschen
und des russischen Polen bedeutend an Schärfe verliert. Schon spricht
man von einer völligen Einverleibung Polens mit Rußland, und
selbst, daß in Preußen daran gedacht würde, das Großherzogthum
Posen auf die Provinzen Brandenburg, Westpreußen und Schlesien
zu vertheilen. Hinsichts Rußland ist dieses Vorhaben wahrscheinlich"
aber in Bezug auf Preußen wäre dasselbe Verfahren zu verfehlt, um
glaublich zu sein. Nicht als ob es der preußischen Regierung nicht
erwünscht sein müßte, eine Million Slaven germanisirt zu sehen, und
aus unruhsüchtigen Polen ruhige deutsche Bürger zu machen; allein
der Geist der preußischen Politik ist doch ein anderer, als der, welcher
in Se. Petersburg gebietet. Mit der bloßen administrativen Auflösung
und geographischen Zerstücklung ist gar wenig gethan und das Meiste
wäre dann erst noch in Bezug auf die Ausrottung der polnischen
Volkstümlichkeit zu vollbringen, ohne welche alles Uebcige ohne tie¬
fere Wirkung bliebe. Zu den barbarischen Mitteln der asiatischen
Verfolgungswuth, welche Rußland gegen das katholische Polen ins
Werk setzt, wird aber Preußen niemals greifen mögen, und auf min¬
der grausame Weise würde es nicht das Ziel erreichen, das Nußland
in Polen erstrebt und schon zum Theil erreicht hat.

So viel man hier von den Verhaftungen mit Bestimmtheit ver¬
nimmt, so sind dieselben sehr zahlreich und erstrecken sich auf alle
Theile Galiziens und sowohl auf Militär- als Civilpcrsoncn. Vom
Militär sind es vorzüglich mißvergnügte Unterofficiere, die keine Aus-


schwächt Rußland und stärkt den Occident gegen den moskowitischen
Riesen. Doch kein einziger darf es wagen, den Weg zu beschreib»,
der zu einer Erfüllung dieses Wunsches führen könnte. Für Oester¬
reich und Preußen selber giebt es kein festes System, hinsichtlich
ihres polnischen Antheils; sie suchen ihre Erbschaft, so lange es die
Umstände erheischen, gut zu verwalten: wie wäre an einen ewigen
Besitz zu denken, wo nur die zwei Fälle möglich sind, daß die russi¬
sche Politik bei den nächsten europäischen Conflicten den Sieg davon
trägt oder unterliegt. Im ersteren Falle ist die Vereinigung der sla¬
vischen Bestandtheile der beiden deutschen Großmächte mit dem russi¬
schen Ländercompler das natürlichste Resultat, und im letztern würde
gewiß eine polnische Jnsurrection als die kräftigste Vorhut gegen das
feindliche Moskowiterthum gedient haben, und in der Wiederherstel¬
lung des polnischen Reiches würde eben sowohl ein Act der Gerech¬
tigkeit geübt als einer Pflicht der politischen Weisheit erfüllt sein.
Vor der Hand dürfte lediglich wieder Rußland den größten Gewinn
aus den Ausbrüchen des sarmatischen Patriotismus schöpfen, indem
sie ihm einen guten Vorwand zu einer weitem Entfaltung seines
Vernichtungssystems gegen Polen bieten und zugleich die beiden Nach¬
barstaaten zu einer strengeren Behandlung ihrer polnischen Untertha¬
nen zwingen, wodurch der Contrast zwischen der Lage des deutschen
und des russischen Polen bedeutend an Schärfe verliert. Schon spricht
man von einer völligen Einverleibung Polens mit Rußland, und
selbst, daß in Preußen daran gedacht würde, das Großherzogthum
Posen auf die Provinzen Brandenburg, Westpreußen und Schlesien
zu vertheilen. Hinsichts Rußland ist dieses Vorhaben wahrscheinlich»
aber in Bezug auf Preußen wäre dasselbe Verfahren zu verfehlt, um
glaublich zu sein. Nicht als ob es der preußischen Regierung nicht
erwünscht sein müßte, eine Million Slaven germanisirt zu sehen, und
aus unruhsüchtigen Polen ruhige deutsche Bürger zu machen; allein
der Geist der preußischen Politik ist doch ein anderer, als der, welcher
in Se. Petersburg gebietet. Mit der bloßen administrativen Auflösung
und geographischen Zerstücklung ist gar wenig gethan und das Meiste
wäre dann erst noch in Bezug auf die Ausrottung der polnischen
Volkstümlichkeit zu vollbringen, ohne welche alles Uebcige ohne tie¬
fere Wirkung bliebe. Zu den barbarischen Mitteln der asiatischen
Verfolgungswuth, welche Rußland gegen das katholische Polen ins
Werk setzt, wird aber Preußen niemals greifen mögen, und auf min¬
der grausame Weise würde es nicht das Ziel erreichen, das Nußland
in Polen erstrebt und schon zum Theil erreicht hat.

So viel man hier von den Verhaftungen mit Bestimmtheit ver¬
nimmt, so sind dieselben sehr zahlreich und erstrecken sich auf alle
Theile Galiziens und sowohl auf Militär- als Civilpcrsoncn. Vom
Militär sind es vorzüglich mißvergnügte Unterofficiere, die keine Aus-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0418" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182228"/>
            <p xml:id="ID_944" prev="#ID_943"> schwächt Rußland und stärkt den Occident gegen den moskowitischen<lb/>
Riesen. Doch kein einziger darf es wagen, den Weg zu beschreib»,<lb/>
der zu einer Erfüllung dieses Wunsches führen könnte. Für Oester¬<lb/>
reich und Preußen selber giebt es kein festes System, hinsichtlich<lb/>
ihres polnischen Antheils; sie suchen ihre Erbschaft, so lange es die<lb/>
Umstände erheischen, gut zu verwalten: wie wäre an einen ewigen<lb/>
Besitz zu denken, wo nur die zwei Fälle möglich sind, daß die russi¬<lb/>
sche Politik bei den nächsten europäischen Conflicten den Sieg davon<lb/>
trägt oder unterliegt. Im ersteren Falle ist die Vereinigung der sla¬<lb/>
vischen Bestandtheile der beiden deutschen Großmächte mit dem russi¬<lb/>
schen Ländercompler das natürlichste Resultat, und im letztern würde<lb/>
gewiß eine polnische Jnsurrection als die kräftigste Vorhut gegen das<lb/>
feindliche Moskowiterthum gedient haben, und in der Wiederherstel¬<lb/>
lung des polnischen Reiches würde eben sowohl ein Act der Gerech¬<lb/>
tigkeit geübt als einer Pflicht der politischen Weisheit erfüllt sein.<lb/>
Vor der Hand dürfte lediglich wieder Rußland den größten Gewinn<lb/>
aus den Ausbrüchen des sarmatischen Patriotismus schöpfen, indem<lb/>
sie ihm einen guten Vorwand zu einer weitem Entfaltung seines<lb/>
Vernichtungssystems gegen Polen bieten und zugleich die beiden Nach¬<lb/>
barstaaten zu einer strengeren Behandlung ihrer polnischen Untertha¬<lb/>
nen zwingen, wodurch der Contrast zwischen der Lage des deutschen<lb/>
und des russischen Polen bedeutend an Schärfe verliert. Schon spricht<lb/>
man von einer völligen Einverleibung Polens mit Rußland, und<lb/>
selbst, daß in Preußen daran gedacht würde, das Großherzogthum<lb/>
Posen auf die Provinzen Brandenburg, Westpreußen und Schlesien<lb/>
zu vertheilen. Hinsichts Rußland ist dieses Vorhaben wahrscheinlich»<lb/>
aber in Bezug auf Preußen wäre dasselbe Verfahren zu verfehlt, um<lb/>
glaublich zu sein. Nicht als ob es der preußischen Regierung nicht<lb/>
erwünscht sein müßte, eine Million Slaven germanisirt zu sehen, und<lb/>
aus unruhsüchtigen Polen ruhige deutsche Bürger zu machen; allein<lb/>
der Geist der preußischen Politik ist doch ein anderer, als der, welcher<lb/>
in Se. Petersburg gebietet. Mit der bloßen administrativen Auflösung<lb/>
und geographischen Zerstücklung ist gar wenig gethan und das Meiste<lb/>
wäre dann erst noch in Bezug auf die Ausrottung der polnischen<lb/>
Volkstümlichkeit zu vollbringen, ohne welche alles Uebcige ohne tie¬<lb/>
fere Wirkung bliebe. Zu den barbarischen Mitteln der asiatischen<lb/>
Verfolgungswuth, welche Rußland gegen das katholische Polen ins<lb/>
Werk setzt, wird aber Preußen niemals greifen mögen, und auf min¬<lb/>
der grausame Weise würde es nicht das Ziel erreichen, das Nußland<lb/>
in Polen erstrebt und schon zum Theil erreicht hat.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_945" next="#ID_946"> So viel man hier von den Verhaftungen mit Bestimmtheit ver¬<lb/>
nimmt, so sind dieselben sehr zahlreich und erstrecken sich auf alle<lb/>
Theile Galiziens und sowohl auf Militär- als Civilpcrsoncn. Vom<lb/>
Militär sind es vorzüglich mißvergnügte Unterofficiere, die keine Aus-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0418] schwächt Rußland und stärkt den Occident gegen den moskowitischen Riesen. Doch kein einziger darf es wagen, den Weg zu beschreib», der zu einer Erfüllung dieses Wunsches führen könnte. Für Oester¬ reich und Preußen selber giebt es kein festes System, hinsichtlich ihres polnischen Antheils; sie suchen ihre Erbschaft, so lange es die Umstände erheischen, gut zu verwalten: wie wäre an einen ewigen Besitz zu denken, wo nur die zwei Fälle möglich sind, daß die russi¬ sche Politik bei den nächsten europäischen Conflicten den Sieg davon trägt oder unterliegt. Im ersteren Falle ist die Vereinigung der sla¬ vischen Bestandtheile der beiden deutschen Großmächte mit dem russi¬ schen Ländercompler das natürlichste Resultat, und im letztern würde gewiß eine polnische Jnsurrection als die kräftigste Vorhut gegen das feindliche Moskowiterthum gedient haben, und in der Wiederherstel¬ lung des polnischen Reiches würde eben sowohl ein Act der Gerech¬ tigkeit geübt als einer Pflicht der politischen Weisheit erfüllt sein. Vor der Hand dürfte lediglich wieder Rußland den größten Gewinn aus den Ausbrüchen des sarmatischen Patriotismus schöpfen, indem sie ihm einen guten Vorwand zu einer weitem Entfaltung seines Vernichtungssystems gegen Polen bieten und zugleich die beiden Nach¬ barstaaten zu einer strengeren Behandlung ihrer polnischen Untertha¬ nen zwingen, wodurch der Contrast zwischen der Lage des deutschen und des russischen Polen bedeutend an Schärfe verliert. Schon spricht man von einer völligen Einverleibung Polens mit Rußland, und selbst, daß in Preußen daran gedacht würde, das Großherzogthum Posen auf die Provinzen Brandenburg, Westpreußen und Schlesien zu vertheilen. Hinsichts Rußland ist dieses Vorhaben wahrscheinlich» aber in Bezug auf Preußen wäre dasselbe Verfahren zu verfehlt, um glaublich zu sein. Nicht als ob es der preußischen Regierung nicht erwünscht sein müßte, eine Million Slaven germanisirt zu sehen, und aus unruhsüchtigen Polen ruhige deutsche Bürger zu machen; allein der Geist der preußischen Politik ist doch ein anderer, als der, welcher in Se. Petersburg gebietet. Mit der bloßen administrativen Auflösung und geographischen Zerstücklung ist gar wenig gethan und das Meiste wäre dann erst noch in Bezug auf die Ausrottung der polnischen Volkstümlichkeit zu vollbringen, ohne welche alles Uebcige ohne tie¬ fere Wirkung bliebe. Zu den barbarischen Mitteln der asiatischen Verfolgungswuth, welche Rußland gegen das katholische Polen ins Werk setzt, wird aber Preußen niemals greifen mögen, und auf min¬ der grausame Weise würde es nicht das Ziel erreichen, das Nußland in Polen erstrebt und schon zum Theil erreicht hat. So viel man hier von den Verhaftungen mit Bestimmtheit ver¬ nimmt, so sind dieselben sehr zahlreich und erstrecken sich auf alle Theile Galiziens und sowohl auf Militär- als Civilpcrsoncn. Vom Militär sind es vorzüglich mißvergnügte Unterofficiere, die keine Aus-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/418
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/418>, abgerufen am 22.12.2024.