Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band..4,1 vocem Cham (der wohl auch in Deutschland durch seine II. Aus Lemberg. Die polnischen Unruhen. -- Die Eisenbahn. -- Nothstand. -- Dr. Micha- lvwicz. -- Vorlesungen über organische Chemie. -- Wohlthaten des Grafen Skarbek. Die traurigen Enthüllungen der entdeckten Polenverschwörung Grcnzbvtrn, 184". l. 52
.4,1 vocem Cham (der wohl auch in Deutschland durch seine II. Aus Lemberg. Die polnischen Unruhen. — Die Eisenbahn. — Nothstand. — Dr. Micha- lvwicz. — Vorlesungen über organische Chemie. — Wohlthaten des Grafen Skarbek. Die traurigen Enthüllungen der entdeckten Polenverschwörung Grcnzbvtrn, 184«. l. 52
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0417" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182227"/> <p xml:id="ID_942"> .4,1 vocem Cham (der wohl auch in Deutschland durch seine<lb/> Zeichnungen im Charivari bekannt ist) habe ich unlängst eine piquante<lb/> Thatsache gehört. Dieser witzige Carricaturenzeichner ist ein natürli¬<lb/> cher Sohn des Grasen Niles, der ihm auch eine glänzende Erziehung<lb/> geben ließ und eine ausreichende jährliche Rente festsetzte,, ausreichend<lb/> für jedes andere bescheidene Menschenkind, aber nicht für einen so<lb/> lustigen Bonvivant, wie unser Cham. Dreimal mußte der Vater<lb/> eine ganze Liste von Schuldnern bezahlen. Aber beim dritten Male<lb/> machte er, wie der alte Rauschebart in der Uhland'schen Ballade, ei¬<lb/> nen Strich zwischen sich und seinem Sohne. Da kam dem Letzteren<lb/> die Idee, sich mit seinem Aeichcnblei eine selbstständige Rente zu bil¬<lb/> den, und in der That übertrifft diese jetzt fünfzehnfach den ihm einst<lb/> von seinem Vater ausgesetzten Gehalt. Um aber dem Vater Niles<lb/> einen Schelmstreich zu spielen und ihn ewig an seinen Sohn zu er¬<lb/> innern, nahm dieser den Pseudonym Cham an. Unter Noa's Söh¬<lb/> nen war Cham allerdings der größte Taugenichts.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> II.<lb/> Aus Lemberg.</head><lb/> <note type="argument"> Die polnischen Unruhen. — Die Eisenbahn. — Nothstand. — Dr. Micha-<lb/> lvwicz. — Vorlesungen über organische Chemie. — Wohlthaten des Grafen<lb/> Skarbek.</note><lb/> <p xml:id="ID_943" next="#ID_944"> Die traurigen Enthüllungen der entdeckten Polenverschwörung<lb/> haben in diesem Augenblick die Blicke von ganz Europa auf unser<lb/> unglückliches Land gerichtet, welches das schmerzliche Schauspiel einer<lb/> in krankhaften Zuckungen befindlichen Nationalität darbietet, deren<lb/> Tod einmal ausgesprochen ist, die aber, trotz der scharfen Messer, die<lb/> in ihrem Fleische wühlen, und des ängstlichen Wehgeschreis der ge¬<lb/> marterten Volkspsyche nicht sterben will und kann. Kaum ist der<lb/> lebendige Leib gleich einem kalten Cadaver wieder auf den anatomi¬<lb/> schen Tisch gelegt, damit einige Hauptschnitte der politischen Chirur¬<lb/> gie an ihm vorgenommen werden, so schlägt der vermeintliche Leich¬<lb/> nam mit Armen und Beinen so wild umher, daß die drei Staats¬<lb/> ärzte verdutzt dabei stehen und alles aufbieten müssen, um dem leben¬<lb/> dig gewordenen Leichnam begreiflich zumachen, daß er kein Recht<lb/> habe, lebendig zu sein und daß es für ihn am besten sei, seine Lebens¬<lb/> ansprüche ein für alle Mal aufzugeben. Was die jüngsten Vorfälle<lb/> für Folgen haben werden? Wer weiß es? Wahrscheinlich die Gewalt¬<lb/> haber selbst nicht. Die große weitsichtige Staatskunst ist jetzt ganz<lb/> abhanden gekommen, und man läßt die Sachen eben gehen wie sie<lb/> kommen. Mit Ausnahme Rußlands hat sicher keine Regierung einen<lb/> festen Plan in Bezug auf Polen; den meisten Staaten muß aller¬<lb/> dings der geheime Wunsch aussteigen, Polen wieder in der Reihe der<lb/> selbständigen Reiche zu sehen, denn die Existenz eines freien Polens</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grcnzbvtrn, 184«. l. 52</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0417]
.4,1 vocem Cham (der wohl auch in Deutschland durch seine
Zeichnungen im Charivari bekannt ist) habe ich unlängst eine piquante
Thatsache gehört. Dieser witzige Carricaturenzeichner ist ein natürli¬
cher Sohn des Grasen Niles, der ihm auch eine glänzende Erziehung
geben ließ und eine ausreichende jährliche Rente festsetzte,, ausreichend
für jedes andere bescheidene Menschenkind, aber nicht für einen so
lustigen Bonvivant, wie unser Cham. Dreimal mußte der Vater
eine ganze Liste von Schuldnern bezahlen. Aber beim dritten Male
machte er, wie der alte Rauschebart in der Uhland'schen Ballade, ei¬
nen Strich zwischen sich und seinem Sohne. Da kam dem Letzteren
die Idee, sich mit seinem Aeichcnblei eine selbstständige Rente zu bil¬
den, und in der That übertrifft diese jetzt fünfzehnfach den ihm einst
von seinem Vater ausgesetzten Gehalt. Um aber dem Vater Niles
einen Schelmstreich zu spielen und ihn ewig an seinen Sohn zu er¬
innern, nahm dieser den Pseudonym Cham an. Unter Noa's Söh¬
nen war Cham allerdings der größte Taugenichts.
II.
Aus Lemberg.
Die polnischen Unruhen. — Die Eisenbahn. — Nothstand. — Dr. Micha-
lvwicz. — Vorlesungen über organische Chemie. — Wohlthaten des Grafen
Skarbek.
Die traurigen Enthüllungen der entdeckten Polenverschwörung
haben in diesem Augenblick die Blicke von ganz Europa auf unser
unglückliches Land gerichtet, welches das schmerzliche Schauspiel einer
in krankhaften Zuckungen befindlichen Nationalität darbietet, deren
Tod einmal ausgesprochen ist, die aber, trotz der scharfen Messer, die
in ihrem Fleische wühlen, und des ängstlichen Wehgeschreis der ge¬
marterten Volkspsyche nicht sterben will und kann. Kaum ist der
lebendige Leib gleich einem kalten Cadaver wieder auf den anatomi¬
schen Tisch gelegt, damit einige Hauptschnitte der politischen Chirur¬
gie an ihm vorgenommen werden, so schlägt der vermeintliche Leich¬
nam mit Armen und Beinen so wild umher, daß die drei Staats¬
ärzte verdutzt dabei stehen und alles aufbieten müssen, um dem leben¬
dig gewordenen Leichnam begreiflich zumachen, daß er kein Recht
habe, lebendig zu sein und daß es für ihn am besten sei, seine Lebens¬
ansprüche ein für alle Mal aufzugeben. Was die jüngsten Vorfälle
für Folgen haben werden? Wer weiß es? Wahrscheinlich die Gewalt¬
haber selbst nicht. Die große weitsichtige Staatskunst ist jetzt ganz
abhanden gekommen, und man läßt die Sachen eben gehen wie sie
kommen. Mit Ausnahme Rußlands hat sicher keine Regierung einen
festen Plan in Bezug auf Polen; den meisten Staaten muß aller¬
dings der geheime Wunsch aussteigen, Polen wieder in der Reihe der
selbständigen Reiche zu sehen, denn die Existenz eines freien Polens
Grcnzbvtrn, 184«. l. 52
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |