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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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thust, du rio "Inia tu" thust, denn weit verbreiten werde ich die
Schmach venetianischer Ciceronen in Deutschland, so du mir
nicht das Visum für meinen Paß verschaffst. Unseliger! Was
nützen mir deine Titiane und Veroneser, wenn mir Paßlosen die
ganze Welt fahl und farblos erscheinen muß? Was nützen mir
die Erinnerungen an Byron, wenn ich, wie sein Kam, unstät und
flüchtig in der Welt herumirren muß? Was nützen mir alle
Arsenale , wenn ich mit ihnen nicht ein Paßvisum erobern kann?
Wie soll mich die große Vergangenheit, die du mir in Kirchen und
Palästen aufgethan, erheben, wenn die kleine Gegenwart mich so
niederdrückt? Wie soll ich mich über die Leere der Jnquisitionö-
kerker und der Bleidächer freuen, wenn mir Paßlosen die ganze
Welt wie ein Kerker, der Himmel Italiens wie ein Bleidach er¬
scheinen muß? Geh hin und weine, du bist nicht zum Cicerone ge¬
höre" , da du aus diesem Jrrgewinde keinen Weg findest. Geh' in
ein Kloster, Ophelia! Geh' in ein Kloster!

Gaetano stand schweigend, gedemüthigt und in tiefes Nach¬
denken versunken vor mir, und ich harrte geduldig der Dinge, die
da kommen sollten. Mit einem Male fuhr ein sonderbares Lächeln
über sein Gesicht, seine Augen glänzten triumphirend, und trop-tlo!
divo-etc"! rufend, lief er jubelnd davon. Was mochte er ausge¬
heckt haben? Ich wußte es nicht, doch verließ ich mich auf seinen
schlauen, italienischen Kopf. Und wirklich trat er am andern Mor¬
gen schon sehr frühe, lächelnd vor mein Bett und überreichte mir
meinen Passaporto so schön visirt, als ich es in meinen kühnsten
Träumen nicht zu hoffen wagte. Auf meine Fragen wollte er
lange nicht mit der Sprache heraus. Endlich nach vielem Drän¬
gen sagte er wie in Schiller: Die Politik versteckt sich gerne hinter
die Falten eines Weiberrockes. Das sagte er zwar nicht, denn ich
zweifle, daß er je ein Trauerspiel von Schiller gelesen, aber das
war wenigstens der Sinn seiner Worte: lüonosco !a "na . . . die
ich mir zu deuten wußte. So entkam ich glücklicher als Foscari
der venetianischen Inquisition. ,

Ich weiß nicht, ist , es noch ein Nachhall der alten lombar¬
dischen Städtefreiheit, oder ein anderer Grund, der mich durch alle
Städte von Venedig, bis Mailand, durch Padua, Vicenza, Ve¬
rona, Brescia und Bergamo frei und ohne alle Paßfährlichkeiten


thust, du rio «Inia tu» thust, denn weit verbreiten werde ich die
Schmach venetianischer Ciceronen in Deutschland, so du mir
nicht das Visum für meinen Paß verschaffst. Unseliger! Was
nützen mir deine Titiane und Veroneser, wenn mir Paßlosen die
ganze Welt fahl und farblos erscheinen muß? Was nützen mir
die Erinnerungen an Byron, wenn ich, wie sein Kam, unstät und
flüchtig in der Welt herumirren muß? Was nützen mir alle
Arsenale , wenn ich mit ihnen nicht ein Paßvisum erobern kann?
Wie soll mich die große Vergangenheit, die du mir in Kirchen und
Palästen aufgethan, erheben, wenn die kleine Gegenwart mich so
niederdrückt? Wie soll ich mich über die Leere der Jnquisitionö-
kerker und der Bleidächer freuen, wenn mir Paßlosen die ganze
Welt wie ein Kerker, der Himmel Italiens wie ein Bleidach er¬
scheinen muß? Geh hin und weine, du bist nicht zum Cicerone ge¬
höre» , da du aus diesem Jrrgewinde keinen Weg findest. Geh' in
ein Kloster, Ophelia! Geh' in ein Kloster!

Gaetano stand schweigend, gedemüthigt und in tiefes Nach¬
denken versunken vor mir, und ich harrte geduldig der Dinge, die
da kommen sollten. Mit einem Male fuhr ein sonderbares Lächeln
über sein Gesicht, seine Augen glänzten triumphirend, und trop-tlo!
divo-etc»! rufend, lief er jubelnd davon. Was mochte er ausge¬
heckt haben? Ich wußte es nicht, doch verließ ich mich auf seinen
schlauen, italienischen Kopf. Und wirklich trat er am andern Mor¬
gen schon sehr frühe, lächelnd vor mein Bett und überreichte mir
meinen Passaporto so schön visirt, als ich es in meinen kühnsten
Träumen nicht zu hoffen wagte. Auf meine Fragen wollte er
lange nicht mit der Sprache heraus. Endlich nach vielem Drän¬
gen sagte er wie in Schiller: Die Politik versteckt sich gerne hinter
die Falten eines Weiberrockes. Das sagte er zwar nicht, denn ich
zweifle, daß er je ein Trauerspiel von Schiller gelesen, aber das
war wenigstens der Sinn seiner Worte: lüonosco !a «na . . . die
ich mir zu deuten wußte. So entkam ich glücklicher als Foscari
der venetianischen Inquisition. ,

Ich weiß nicht, ist , es noch ein Nachhall der alten lombar¬
dischen Städtefreiheit, oder ein anderer Grund, der mich durch alle
Städte von Venedig, bis Mailand, durch Padua, Vicenza, Ve¬
rona, Brescia und Bergamo frei und ohne alle Paßfährlichkeiten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/404>, abgerufen am 01.09.2024.