Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

hauchte, da erhoben sich Alle mit einem überraschten Ah! und streck¬
ten lüstern ihre Hände aus, um von der verbotenen Frucht zu ko¬
sten. Nun waren wir dicke Freunde, und ich glaubte auf diese
neue Freundschaft rechnen zu können, denn ein sündhaftes Geheim¬
niß hatte sie ja besiegelt. Wie ich dessen sicher zu sein glaubte,
mitten im lebhaftesten Gespräche erhob ich mich, entschuldigte mich
mit, großer Müdigkeit und ging. Hundert herzliche Wünsche für
die Reise schollen mir nach. Aber schon an der Thüre kehrte ich
noch einmal um: Meine Herren, morgen muß ich noch meinen
Reisepaß hier vidiren lassen, wollen Sie mir nicht gefälligst sagen,
an welche Behörde, welchen Beamten ich mich da zu wenden habe?
Ich bin hier ganz unbekannt. -- Das ist prächtig! rief mir einer vom
obersten Ende des Tisches zu, da habe ich doch das Vergnügen
Sie noch einmal zu sehen, denn das Visiren der Pässe ist mein
Geschäft. Kommen Sie nur gefälligst ins Kreisamt!

Ich sah mir meinen Mann noch genau an, und mit Freude
sagte ich mir: Von dem hattest du nichts zu fürchten Caesar, auch
wenn du wüßtest was fürchten ist! denn der Beamte war jung,
und hatte etwas Edles und Frisches in seinem ganzen Wesen.
Am andern Morgen besah ich mir noch mit größter Gemüthsruhe
die weltberühmte Adelsberger Grotte, und kam erst gegen zehn
Uhr ins Kreisamt. -- Aber Min Kreiscommissär war noch nicht
da) doch kam er bald. -- Haben Sie lange warten müssen, sagte
er, so bitte ich Sie tausend Mal um Verzeihung; häusliche Ange¬
legenheiten ließen mich nicht früher fortkommen, owohl ich den gan¬
zen Morgen an Sie dachte. Auch schlief ich heute zu lange, daS
ist aber Ihre eigene Schuld; warum hielten Sie uns gestern mit
Ihrer Unterhaltung so lange wach? ^- Ich gab ihm meinen.Paß,
und bat ihn, das Geschäft so schnell als möglich abzumachen, da
mich' meine Reisegesellschaft schon mit Ungeduld erwarte, -- Er
nahm meinen Schuldbeladener Paß, besah ihn und lächelte.-- Mein
Herz pochte) sollte ich mir so viel Mühe um ein Leichentuch gege¬
ben haben? fragte ich mich. -- Aber schon schrieb er die theuern
Worte darauf: Giltig nach Trieste-- Sie reisen eigentlich per- ro-
tas, sagte er lächelnd, indem er das Papier einem Diener zu stem¬
peln übergab. Aber man weiß einen Unterschied zu machen, fügte
er hinzu, und belästigt nicht harmlose Reisende der Spitzbuben we-


Greiizbote", I8ig. I. 50

hauchte, da erhoben sich Alle mit einem überraschten Ah! und streck¬
ten lüstern ihre Hände aus, um von der verbotenen Frucht zu ko¬
sten. Nun waren wir dicke Freunde, und ich glaubte auf diese
neue Freundschaft rechnen zu können, denn ein sündhaftes Geheim¬
niß hatte sie ja besiegelt. Wie ich dessen sicher zu sein glaubte,
mitten im lebhaftesten Gespräche erhob ich mich, entschuldigte mich
mit, großer Müdigkeit und ging. Hundert herzliche Wünsche für
die Reise schollen mir nach. Aber schon an der Thüre kehrte ich
noch einmal um: Meine Herren, morgen muß ich noch meinen
Reisepaß hier vidiren lassen, wollen Sie mir nicht gefälligst sagen,
an welche Behörde, welchen Beamten ich mich da zu wenden habe?
Ich bin hier ganz unbekannt. — Das ist prächtig! rief mir einer vom
obersten Ende des Tisches zu, da habe ich doch das Vergnügen
Sie noch einmal zu sehen, denn das Visiren der Pässe ist mein
Geschäft. Kommen Sie nur gefälligst ins Kreisamt!

Ich sah mir meinen Mann noch genau an, und mit Freude
sagte ich mir: Von dem hattest du nichts zu fürchten Caesar, auch
wenn du wüßtest was fürchten ist! denn der Beamte war jung,
und hatte etwas Edles und Frisches in seinem ganzen Wesen.
Am andern Morgen besah ich mir noch mit größter Gemüthsruhe
die weltberühmte Adelsberger Grotte, und kam erst gegen zehn
Uhr ins Kreisamt. — Aber Min Kreiscommissär war noch nicht
da) doch kam er bald. — Haben Sie lange warten müssen, sagte
er, so bitte ich Sie tausend Mal um Verzeihung; häusliche Ange¬
legenheiten ließen mich nicht früher fortkommen, owohl ich den gan¬
zen Morgen an Sie dachte. Auch schlief ich heute zu lange, daS
ist aber Ihre eigene Schuld; warum hielten Sie uns gestern mit
Ihrer Unterhaltung so lange wach? ^- Ich gab ihm meinen.Paß,
und bat ihn, das Geschäft so schnell als möglich abzumachen, da
mich' meine Reisegesellschaft schon mit Ungeduld erwarte, — Er
nahm meinen Schuldbeladener Paß, besah ihn und lächelte.-- Mein
Herz pochte) sollte ich mir so viel Mühe um ein Leichentuch gege¬
ben haben? fragte ich mich. — Aber schon schrieb er die theuern
Worte darauf: Giltig nach Trieste— Sie reisen eigentlich per- ro-
tas, sagte er lächelnd, indem er das Papier einem Diener zu stem¬
peln übergab. Aber man weiß einen Unterschied zu machen, fügte
er hinzu, und belästigt nicht harmlose Reisende der Spitzbuben we-


Greiizbote», I8ig. I. 50
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0401" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182211"/>
          <p xml:id="ID_906" prev="#ID_905"> hauchte, da erhoben sich Alle mit einem überraschten Ah! und streck¬<lb/>
ten lüstern ihre Hände aus, um von der verbotenen Frucht zu ko¬<lb/>
sten. Nun waren wir dicke Freunde, und ich glaubte auf diese<lb/>
neue Freundschaft rechnen zu können, denn ein sündhaftes Geheim¬<lb/>
niß hatte sie ja besiegelt. Wie ich dessen sicher zu sein glaubte,<lb/>
mitten im lebhaftesten Gespräche erhob ich mich, entschuldigte mich<lb/>
mit, großer Müdigkeit und ging. Hundert herzliche Wünsche für<lb/>
die Reise schollen mir nach. Aber schon an der Thüre kehrte ich<lb/>
noch einmal um: Meine Herren, morgen muß ich noch meinen<lb/>
Reisepaß hier vidiren lassen, wollen Sie mir nicht gefälligst sagen,<lb/>
an welche Behörde, welchen Beamten ich mich da zu wenden habe?<lb/>
Ich bin hier ganz unbekannt. &#x2014; Das ist prächtig! rief mir einer vom<lb/>
obersten Ende des Tisches zu, da habe ich doch das Vergnügen<lb/>
Sie noch einmal zu sehen, denn das Visiren der Pässe ist mein<lb/>
Geschäft. Kommen Sie nur gefälligst ins Kreisamt!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_907" next="#ID_908"> Ich sah mir meinen Mann noch genau an, und mit Freude<lb/>
sagte ich mir: Von dem hattest du nichts zu fürchten Caesar, auch<lb/>
wenn du wüßtest was fürchten ist! denn der Beamte war jung,<lb/>
und hatte etwas Edles und Frisches in seinem ganzen Wesen.<lb/>
Am andern Morgen besah ich mir noch mit größter Gemüthsruhe<lb/>
die weltberühmte Adelsberger Grotte, und kam erst gegen zehn<lb/>
Uhr ins Kreisamt. &#x2014; Aber Min Kreiscommissär war noch nicht<lb/>
da) doch kam er bald. &#x2014; Haben Sie lange warten müssen, sagte<lb/>
er, so bitte ich Sie tausend Mal um Verzeihung; häusliche Ange¬<lb/>
legenheiten ließen mich nicht früher fortkommen, owohl ich den gan¬<lb/>
zen Morgen an Sie dachte. Auch schlief ich heute zu lange, daS<lb/>
ist aber Ihre eigene Schuld; warum hielten Sie uns gestern mit<lb/>
Ihrer Unterhaltung so lange wach? ^- Ich gab ihm meinen.Paß,<lb/>
und bat ihn, das Geschäft so schnell als möglich abzumachen, da<lb/>
mich' meine Reisegesellschaft schon mit Ungeduld erwarte, &#x2014; Er<lb/>
nahm meinen Schuldbeladener Paß, besah ihn und lächelte.-- Mein<lb/>
Herz pochte) sollte ich mir so viel Mühe um ein Leichentuch gege¬<lb/>
ben haben? fragte ich mich. &#x2014; Aber schon schrieb er die theuern<lb/>
Worte darauf: Giltig nach Trieste&#x2014; Sie reisen eigentlich per- ro-<lb/>
tas, sagte er lächelnd, indem er das Papier einem Diener zu stem¬<lb/>
peln übergab. Aber man weiß einen Unterschied zu machen, fügte<lb/>
er hinzu, und belästigt nicht harmlose Reisende der Spitzbuben we-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Greiizbote»,  I8ig. I. 50</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0401] hauchte, da erhoben sich Alle mit einem überraschten Ah! und streck¬ ten lüstern ihre Hände aus, um von der verbotenen Frucht zu ko¬ sten. Nun waren wir dicke Freunde, und ich glaubte auf diese neue Freundschaft rechnen zu können, denn ein sündhaftes Geheim¬ niß hatte sie ja besiegelt. Wie ich dessen sicher zu sein glaubte, mitten im lebhaftesten Gespräche erhob ich mich, entschuldigte mich mit, großer Müdigkeit und ging. Hundert herzliche Wünsche für die Reise schollen mir nach. Aber schon an der Thüre kehrte ich noch einmal um: Meine Herren, morgen muß ich noch meinen Reisepaß hier vidiren lassen, wollen Sie mir nicht gefälligst sagen, an welche Behörde, welchen Beamten ich mich da zu wenden habe? Ich bin hier ganz unbekannt. — Das ist prächtig! rief mir einer vom obersten Ende des Tisches zu, da habe ich doch das Vergnügen Sie noch einmal zu sehen, denn das Visiren der Pässe ist mein Geschäft. Kommen Sie nur gefälligst ins Kreisamt! Ich sah mir meinen Mann noch genau an, und mit Freude sagte ich mir: Von dem hattest du nichts zu fürchten Caesar, auch wenn du wüßtest was fürchten ist! denn der Beamte war jung, und hatte etwas Edles und Frisches in seinem ganzen Wesen. Am andern Morgen besah ich mir noch mit größter Gemüthsruhe die weltberühmte Adelsberger Grotte, und kam erst gegen zehn Uhr ins Kreisamt. — Aber Min Kreiscommissär war noch nicht da) doch kam er bald. — Haben Sie lange warten müssen, sagte er, so bitte ich Sie tausend Mal um Verzeihung; häusliche Ange¬ legenheiten ließen mich nicht früher fortkommen, owohl ich den gan¬ zen Morgen an Sie dachte. Auch schlief ich heute zu lange, daS ist aber Ihre eigene Schuld; warum hielten Sie uns gestern mit Ihrer Unterhaltung so lange wach? ^- Ich gab ihm meinen.Paß, und bat ihn, das Geschäft so schnell als möglich abzumachen, da mich' meine Reisegesellschaft schon mit Ungeduld erwarte, — Er nahm meinen Schuldbeladener Paß, besah ihn und lächelte.-- Mein Herz pochte) sollte ich mir so viel Mühe um ein Leichentuch gege¬ ben haben? fragte ich mich. — Aber schon schrieb er die theuern Worte darauf: Giltig nach Trieste— Sie reisen eigentlich per- ro- tas, sagte er lächelnd, indem er das Papier einem Diener zu stem¬ peln übergab. Aber man weiß einen Unterschied zu machen, fügte er hinzu, und belästigt nicht harmlose Reisende der Spitzbuben we- Greiizbote», I8ig. I. 50

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/401
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/401>, abgerufen am 23.12.2024.