Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.Dieses Organ sing an, mit dem oppositionellen Standpunkte zu buh¬ Dieses Organ sing an, mit dem oppositionellen Standpunkte zu buh¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0381" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182191"/> <p xml:id="ID_857" prev="#ID_856" next="#ID_858"> Dieses Organ sing an, mit dem oppositionellen Standpunkte zu buh¬<lb/> len, anstatt ihn strenge auszuschließen; es griff zur List: es nahm die<lb/> Maske des gegnerischen Princips vor, um sich in die Gemüther ein¬<lb/> zuschmeicheln, um sich einzunisten und an die Stelle dieses Princips<lb/> unvermerkt das seinige zu setzen. Der Rheinische Beobachter dachte:<lb/> was die Menschen besticht, ist die Phrase; schöne Wortklänge, ergrei¬<lb/> fende Redensart wecken die Sympathie: gebrauchen wir die, welche<lb/> beliebt sind! und schmuggeln wir unter ihrer Decke unser Princip in<lb/> die oppositionellen Kreise ein, oder sorgen wir wenigstens, daß wenn<lb/> das Princip dieser letzteren sich weiter ausbreiten will, es die Stelle<lb/> schon von seinem Doppelgänger mit der liberalen Fratze und dem lo¬<lb/> yalen Herzen eingenommen finde! So führt denn nun der Rhein.<lb/> Beobachter stets den „freisinnigen Fortschritt" und den „wahren Fort¬<lb/> schritt,^ und die „wahre Freiheit" und den „Staatsbürger" und die<lb/> „freie Persönlichkeit" und das „Bewußtsein" und die „selbständige,<lb/> organische Entwicklung" und dergl. in. im Munde. Der Rhei-<lb/> nische Beobachter ist in einem unheilschwangeren Irrthum befan¬<lb/> gen. In die Grube, welche er der oppositionellen Richtung<lb/> gräbt, stürzt nur er selbst hinein. Er hat darin ganz Recht, daß<lb/> die große Mehrzahl der Menschen sich führen und leiten läßt,<lb/> und daß die großen Phrasen die Gängelbänder sind, an denen die<lb/> ausgewachsenen Kinder geleitet werden. Aber er übersieht eines, näm¬<lb/> lich den wichtigen Umstand, daß sich diese großjährigen Kinder nicht<lb/> wollen von dem ersten besten alten Weibe leiten lassen, sondern daß<lb/> sie sich, bevor sie mitgehen, erst den Führer, dem sie folgen sollen, be¬<lb/> sehen. Es ist nicht gleichgültig, wer von Fortschritt, Freiheit, Selbst-<lb/> ständigkeit und dergl. spricht. Diese Worte werden in anderem Munde<lb/> zu anderen Worten, und Die welche er gern gewinnen möchte, schlagen<lb/> ihm ein Schnippchen und sagen: Freund! mit Speck fängt man<lb/> Mäuse! nicht? wir riechen aber deine Falle durch den Speck. Deine<lb/> Freiheit ist nicht unsere Freiheit; dein Fortschritt ist nicht unser Fort¬<lb/> schritt; deine „Concessionen" wollen und brauchen wir nicht; geh nur,<lb/> geh! du blamirst nur dich und das Princip das du gern herausstrei¬<lb/> chen möchtest. — In dem Verfahren des Rhein. Beobachters liegt<lb/> die gefährlichste Anerkennung des feindseligen Princips versteckt; er ver¬<lb/> achtet und denuncirt die öffentliche Meinung nicht mehr, er perhorrescirt<lb/> sie nicht mehr, er sucht sie nicht mehr zu belehren, zu bessern, er lockt,<lb/> er ködert, er liebkost, er streichelt sie, er accomodirt sich ihr, er borgt<lb/> von ihr selbst die Waffen mit denen er gegen sie kämpfen will, Waf¬<lb/> fen auf deren Gebrauch er sich schlecht versteht und die, ungeschickt<lb/> angegriffen, nur ihn selbst verwunden. Aber nicht nur ihn selbst. Er<lb/> schlägt dem Princip welches er durchzusetzen wünscht, er schlägt sogar<lb/> unmittelbar der Staatsverwaltung, die er zu vertheidigen im öffent¬<lb/> lichen Urtheil zu heben meint, die bösesten Wunden. Denn wenn er</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0381]
Dieses Organ sing an, mit dem oppositionellen Standpunkte zu buh¬
len, anstatt ihn strenge auszuschließen; es griff zur List: es nahm die
Maske des gegnerischen Princips vor, um sich in die Gemüther ein¬
zuschmeicheln, um sich einzunisten und an die Stelle dieses Princips
unvermerkt das seinige zu setzen. Der Rheinische Beobachter dachte:
was die Menschen besticht, ist die Phrase; schöne Wortklänge, ergrei¬
fende Redensart wecken die Sympathie: gebrauchen wir die, welche
beliebt sind! und schmuggeln wir unter ihrer Decke unser Princip in
die oppositionellen Kreise ein, oder sorgen wir wenigstens, daß wenn
das Princip dieser letzteren sich weiter ausbreiten will, es die Stelle
schon von seinem Doppelgänger mit der liberalen Fratze und dem lo¬
yalen Herzen eingenommen finde! So führt denn nun der Rhein.
Beobachter stets den „freisinnigen Fortschritt" und den „wahren Fort¬
schritt,^ und die „wahre Freiheit" und den „Staatsbürger" und die
„freie Persönlichkeit" und das „Bewußtsein" und die „selbständige,
organische Entwicklung" und dergl. in. im Munde. Der Rhei-
nische Beobachter ist in einem unheilschwangeren Irrthum befan¬
gen. In die Grube, welche er der oppositionellen Richtung
gräbt, stürzt nur er selbst hinein. Er hat darin ganz Recht, daß
die große Mehrzahl der Menschen sich führen und leiten läßt,
und daß die großen Phrasen die Gängelbänder sind, an denen die
ausgewachsenen Kinder geleitet werden. Aber er übersieht eines, näm¬
lich den wichtigen Umstand, daß sich diese großjährigen Kinder nicht
wollen von dem ersten besten alten Weibe leiten lassen, sondern daß
sie sich, bevor sie mitgehen, erst den Führer, dem sie folgen sollen, be¬
sehen. Es ist nicht gleichgültig, wer von Fortschritt, Freiheit, Selbst-
ständigkeit und dergl. spricht. Diese Worte werden in anderem Munde
zu anderen Worten, und Die welche er gern gewinnen möchte, schlagen
ihm ein Schnippchen und sagen: Freund! mit Speck fängt man
Mäuse! nicht? wir riechen aber deine Falle durch den Speck. Deine
Freiheit ist nicht unsere Freiheit; dein Fortschritt ist nicht unser Fort¬
schritt; deine „Concessionen" wollen und brauchen wir nicht; geh nur,
geh! du blamirst nur dich und das Princip das du gern herausstrei¬
chen möchtest. — In dem Verfahren des Rhein. Beobachters liegt
die gefährlichste Anerkennung des feindseligen Princips versteckt; er ver¬
achtet und denuncirt die öffentliche Meinung nicht mehr, er perhorrescirt
sie nicht mehr, er sucht sie nicht mehr zu belehren, zu bessern, er lockt,
er ködert, er liebkost, er streichelt sie, er accomodirt sich ihr, er borgt
von ihr selbst die Waffen mit denen er gegen sie kämpfen will, Waf¬
fen auf deren Gebrauch er sich schlecht versteht und die, ungeschickt
angegriffen, nur ihn selbst verwunden. Aber nicht nur ihn selbst. Er
schlägt dem Princip welches er durchzusetzen wünscht, er schlägt sogar
unmittelbar der Staatsverwaltung, die er zu vertheidigen im öffent¬
lichen Urtheil zu heben meint, die bösesten Wunden. Denn wenn er
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