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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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dell, wo kein Sonderinteresse und kein widerstrebendes Princip im
Spiele ist, wo Gründe gegen Gründe streiten, Gründen von den be¬
theiligten Parteien Gehör gegeben wird, und endlich Der vielleicht
den Sieg davon trägt, welcher die besten, überzeugendsten, einschmei¬
chelndsten Gründe vorgebracht hat. Aber principiell einander entge¬
gengesetzte Parteien kämpfen vergeblich mit Gründen gegen einander.
Der Schwächere, der Unterdrückte pflegt sonst gewöhnlich die Forde¬
rung an den Mächtigeren und Unterdrücker zu stellen: widerlege mich
doch, du widerlegst mich schlecht mit Gewalt, mit Gründen widerlege
mich! Die gewöhnliche Antwort ist aber immer nur wieder Gewalt;
und es ist gar nicht anders möglich, denn die theoretischen Widerle¬
gungen verfangen nichts, eben wegen der principiellen Verschiedenheit.
Jetzt da wir Regierungen zu dem Versuche greifen sehen, die Presse
durch die Presse zu bekämpfen, zu entwaffnen, anstatt sich der Re-
gierungsgewalt dazu zu bedienen, ist dies ein untrügliches Zeichen, daß
das früher unberechtigte, nur mit List oder Todesverachtung hier und
da hindurchbrechende oppositionelle Princip stark genug geworden, um
die Vertreter des herrschenden Princips selber an dessen Unfehlbar¬
keit und Unerschütterlichkeit irre zu machen: sie wagen den gefährlichen
Schritt den Gegner, das oppositionelle Princip, in dessen eigenem La¬
ger anzugreifen. Der Gang, welchen dieser Versuch in Preußen ge¬
nommen hat, ist in hohem Grade lehrreich. Anfangs wirkte nur die
Literarische Zeitung gegen die oppositionelle Presse. Damals fühlten
sich die Vertheidiger des herrschenden Princips noch ganz auf der Höhe
der Macht; die freiere Bewegung der oppositionellen Presse war, so zu
sagen, eine octroyirre, und es konnte noch scheinen, als würde sie
eben so leicht wieder zu ersticken sein, als sie entzündet worden war.
Die Literarische Zeitung that nur was diesem Standpunkte gemäß war,
indem, sie die liberale Presse, anstatt sich auf Gründe mit ihr zu
duelliren, von oben herab heruntermachte, aushunzte und kurzweg --
den Staatsbehörden dcnuncirte. Dann kam die Königsberger Allge¬
meine Zeitung, welche jetzt in die "Zeitung für Preußen" umgeschaf¬
fen ist. Diese trabte nicht auf dem hohen Pferde der Literarischen
einher; sie stellte sich schon auf gleichen Boden mit dem Gegner, sie
warf ihm den Handschuh hin, sie ließ sich aus Discussion ein. Aber
sie war noch durchdrungen von der richtigen Einsicht, daß eine
Discussion bei ungleichen Principien unmöglich ist; was sie that,
war daher dies, daß sie von vornherein jede Opposition, die sich nicht
innerhalb des herrschenden Princips, innerhalb der vom Könige ge¬
setzten Schranken hielt, für unberechtigt erklärte und ernstlich vom
Kampfplatze zurückwies. Ich habe die Meinung der damaligen libe¬
ralen Presse über dieses Organ nie getheilt, ich habe den Standpunkt
und die Leistungen desselben sehr achtungswerth gefunden. Aber seine
Zeit ist vorüber. Es ist jetzt die Zeit des Rheinischen Beobachters.


dell, wo kein Sonderinteresse und kein widerstrebendes Princip im
Spiele ist, wo Gründe gegen Gründe streiten, Gründen von den be¬
theiligten Parteien Gehör gegeben wird, und endlich Der vielleicht
den Sieg davon trägt, welcher die besten, überzeugendsten, einschmei¬
chelndsten Gründe vorgebracht hat. Aber principiell einander entge¬
gengesetzte Parteien kämpfen vergeblich mit Gründen gegen einander.
Der Schwächere, der Unterdrückte pflegt sonst gewöhnlich die Forde¬
rung an den Mächtigeren und Unterdrücker zu stellen: widerlege mich
doch, du widerlegst mich schlecht mit Gewalt, mit Gründen widerlege
mich! Die gewöhnliche Antwort ist aber immer nur wieder Gewalt;
und es ist gar nicht anders möglich, denn die theoretischen Widerle¬
gungen verfangen nichts, eben wegen der principiellen Verschiedenheit.
Jetzt da wir Regierungen zu dem Versuche greifen sehen, die Presse
durch die Presse zu bekämpfen, zu entwaffnen, anstatt sich der Re-
gierungsgewalt dazu zu bedienen, ist dies ein untrügliches Zeichen, daß
das früher unberechtigte, nur mit List oder Todesverachtung hier und
da hindurchbrechende oppositionelle Princip stark genug geworden, um
die Vertreter des herrschenden Princips selber an dessen Unfehlbar¬
keit und Unerschütterlichkeit irre zu machen: sie wagen den gefährlichen
Schritt den Gegner, das oppositionelle Princip, in dessen eigenem La¬
ger anzugreifen. Der Gang, welchen dieser Versuch in Preußen ge¬
nommen hat, ist in hohem Grade lehrreich. Anfangs wirkte nur die
Literarische Zeitung gegen die oppositionelle Presse. Damals fühlten
sich die Vertheidiger des herrschenden Princips noch ganz auf der Höhe
der Macht; die freiere Bewegung der oppositionellen Presse war, so zu
sagen, eine octroyirre, und es konnte noch scheinen, als würde sie
eben so leicht wieder zu ersticken sein, als sie entzündet worden war.
Die Literarische Zeitung that nur was diesem Standpunkte gemäß war,
indem, sie die liberale Presse, anstatt sich auf Gründe mit ihr zu
duelliren, von oben herab heruntermachte, aushunzte und kurzweg —
den Staatsbehörden dcnuncirte. Dann kam die Königsberger Allge¬
meine Zeitung, welche jetzt in die „Zeitung für Preußen" umgeschaf¬
fen ist. Diese trabte nicht auf dem hohen Pferde der Literarischen
einher; sie stellte sich schon auf gleichen Boden mit dem Gegner, sie
warf ihm den Handschuh hin, sie ließ sich aus Discussion ein. Aber
sie war noch durchdrungen von der richtigen Einsicht, daß eine
Discussion bei ungleichen Principien unmöglich ist; was sie that,
war daher dies, daß sie von vornherein jede Opposition, die sich nicht
innerhalb des herrschenden Princips, innerhalb der vom Könige ge¬
setzten Schranken hielt, für unberechtigt erklärte und ernstlich vom
Kampfplatze zurückwies. Ich habe die Meinung der damaligen libe¬
ralen Presse über dieses Organ nie getheilt, ich habe den Standpunkt
und die Leistungen desselben sehr achtungswerth gefunden. Aber seine
Zeit ist vorüber. Es ist jetzt die Zeit des Rheinischen Beobachters.


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[0380] dell, wo kein Sonderinteresse und kein widerstrebendes Princip im Spiele ist, wo Gründe gegen Gründe streiten, Gründen von den be¬ theiligten Parteien Gehör gegeben wird, und endlich Der vielleicht den Sieg davon trägt, welcher die besten, überzeugendsten, einschmei¬ chelndsten Gründe vorgebracht hat. Aber principiell einander entge¬ gengesetzte Parteien kämpfen vergeblich mit Gründen gegen einander. Der Schwächere, der Unterdrückte pflegt sonst gewöhnlich die Forde¬ rung an den Mächtigeren und Unterdrücker zu stellen: widerlege mich doch, du widerlegst mich schlecht mit Gewalt, mit Gründen widerlege mich! Die gewöhnliche Antwort ist aber immer nur wieder Gewalt; und es ist gar nicht anders möglich, denn die theoretischen Widerle¬ gungen verfangen nichts, eben wegen der principiellen Verschiedenheit. Jetzt da wir Regierungen zu dem Versuche greifen sehen, die Presse durch die Presse zu bekämpfen, zu entwaffnen, anstatt sich der Re- gierungsgewalt dazu zu bedienen, ist dies ein untrügliches Zeichen, daß das früher unberechtigte, nur mit List oder Todesverachtung hier und da hindurchbrechende oppositionelle Princip stark genug geworden, um die Vertreter des herrschenden Princips selber an dessen Unfehlbar¬ keit und Unerschütterlichkeit irre zu machen: sie wagen den gefährlichen Schritt den Gegner, das oppositionelle Princip, in dessen eigenem La¬ ger anzugreifen. Der Gang, welchen dieser Versuch in Preußen ge¬ nommen hat, ist in hohem Grade lehrreich. Anfangs wirkte nur die Literarische Zeitung gegen die oppositionelle Presse. Damals fühlten sich die Vertheidiger des herrschenden Princips noch ganz auf der Höhe der Macht; die freiere Bewegung der oppositionellen Presse war, so zu sagen, eine octroyirre, und es konnte noch scheinen, als würde sie eben so leicht wieder zu ersticken sein, als sie entzündet worden war. Die Literarische Zeitung that nur was diesem Standpunkte gemäß war, indem, sie die liberale Presse, anstatt sich auf Gründe mit ihr zu duelliren, von oben herab heruntermachte, aushunzte und kurzweg — den Staatsbehörden dcnuncirte. Dann kam die Königsberger Allge¬ meine Zeitung, welche jetzt in die „Zeitung für Preußen" umgeschaf¬ fen ist. Diese trabte nicht auf dem hohen Pferde der Literarischen einher; sie stellte sich schon auf gleichen Boden mit dem Gegner, sie warf ihm den Handschuh hin, sie ließ sich aus Discussion ein. Aber sie war noch durchdrungen von der richtigen Einsicht, daß eine Discussion bei ungleichen Principien unmöglich ist; was sie that, war daher dies, daß sie von vornherein jede Opposition, die sich nicht innerhalb des herrschenden Princips, innerhalb der vom Könige ge¬ setzten Schranken hielt, für unberechtigt erklärte und ernstlich vom Kampfplatze zurückwies. Ich habe die Meinung der damaligen libe¬ ralen Presse über dieses Organ nie getheilt, ich habe den Standpunkt und die Leistungen desselben sehr achtungswerth gefunden. Aber seine Zeit ist vorüber. Es ist jetzt die Zeit des Rheinischen Beobachters.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/380>, abgerufen am 28.07.2024.