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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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polnische Frage schon für altmodisch hält. Die polnische Frage
aber ist aufgeschoben, nicht aufgehoben. Wir können nicht ent¬
scheiden, wann für den unglücklichsten und edelsten Slavenstamm
die Stunde der Auferstehung schlägt, aber den Gedanken, daß
sie nie mehr schlagen sollte, können wir noch nicht fassen. Die
Völker haben ein zähes Leben. -- Franzosen und Englän¬
dern kann am Ende die Frage gleichgültiger sein als uns Deut¬
schen. Jene haben von jeher die natürliche Allianz mit den
Nüssen gesucht, und würden sie wieder suchen, wenn die Rück¬
sichten für die noch lebende Generation und für die Volkssympa-
thien in Frankreich und wenn die legitimistischen Empfindlichkeiten in
Petersburg einmal vorbei wären. Auch ein großes Polenreich
wäre Frankreichs natürliche Allianz gewesen, aber wenn an dersel¬
ben Stelle, "600 Stunden weit von der französischen Grenze", ein
polnisch-russisches Reich steht, so wird man sich auch mit diesem
verständigen, und keinen Anstoß daran nehmen, daß es um eine
Kleinigkeit größer ist. -- Wenn aber Deutsche und zwar, wie sie
selbst glauben, nationalgesinnte Deutsche neuerdings in allgemeiner
Slavenverachtung diese Kleinigkeit für gleichgültig halten und sa¬
gen: "Ach was, die Polen sind nicht besser als die Russen, sind
auch Deutschfeinde. Mögen sie in einander aufgehen; dann kön¬
nen wir das ganze Pack in Bausch und Bogen bekämpfen", --
so ist das eine von den traurigen Maulmachereien, in denen sich
unsere guten Deutschen, für die tägliche Faulheit mit großen But-
ter auf die Zukunft sich vertröstend, so sehr gefallen; ähnlich dem
Zechbrüder, der seine Schuldrechnungen bis zu einem Capital auf¬
laufen läßt.

Erstens ist ein großer Unterschied zwischen Slaven und Sla¬
ven, und dann ist der Panslavismus kein leerer Wahn mehr, so¬
bald Polen aufgehört hat. Wir halten Nußland nicht für so ge¬
waltig, daß es Welteroberungen und Universalmonarchien im al¬
ten Styl unternehmen könnte, und die "uniformirte-Völkerwande¬
rung" scheint uns sogar ein Popanz. Rußland ist keiner römischen
Waffenthaten und keiner großen organischen Schöpfung fähig, aber
unorganisch wächst es, wie der Stein im Erdreich, durch langsames
Agglomeriren, bis es zum erdrückenden Felsen wird. Sollte ein¬
mal Polen ganz umgepflügt und mit russischer Erde verschütter


polnische Frage schon für altmodisch hält. Die polnische Frage
aber ist aufgeschoben, nicht aufgehoben. Wir können nicht ent¬
scheiden, wann für den unglücklichsten und edelsten Slavenstamm
die Stunde der Auferstehung schlägt, aber den Gedanken, daß
sie nie mehr schlagen sollte, können wir noch nicht fassen. Die
Völker haben ein zähes Leben. — Franzosen und Englän¬
dern kann am Ende die Frage gleichgültiger sein als uns Deut¬
schen. Jene haben von jeher die natürliche Allianz mit den
Nüssen gesucht, und würden sie wieder suchen, wenn die Rück¬
sichten für die noch lebende Generation und für die Volkssympa-
thien in Frankreich und wenn die legitimistischen Empfindlichkeiten in
Petersburg einmal vorbei wären. Auch ein großes Polenreich
wäre Frankreichs natürliche Allianz gewesen, aber wenn an dersel¬
ben Stelle, „600 Stunden weit von der französischen Grenze", ein
polnisch-russisches Reich steht, so wird man sich auch mit diesem
verständigen, und keinen Anstoß daran nehmen, daß es um eine
Kleinigkeit größer ist. — Wenn aber Deutsche und zwar, wie sie
selbst glauben, nationalgesinnte Deutsche neuerdings in allgemeiner
Slavenverachtung diese Kleinigkeit für gleichgültig halten und sa¬
gen: „Ach was, die Polen sind nicht besser als die Russen, sind
auch Deutschfeinde. Mögen sie in einander aufgehen; dann kön¬
nen wir das ganze Pack in Bausch und Bogen bekämpfen", —
so ist das eine von den traurigen Maulmachereien, in denen sich
unsere guten Deutschen, für die tägliche Faulheit mit großen But-
ter auf die Zukunft sich vertröstend, so sehr gefallen; ähnlich dem
Zechbrüder, der seine Schuldrechnungen bis zu einem Capital auf¬
laufen läßt.

Erstens ist ein großer Unterschied zwischen Slaven und Sla¬
ven, und dann ist der Panslavismus kein leerer Wahn mehr, so¬
bald Polen aufgehört hat. Wir halten Nußland nicht für so ge¬
waltig, daß es Welteroberungen und Universalmonarchien im al¬
ten Styl unternehmen könnte, und die „uniformirte-Völkerwande¬
rung" scheint uns sogar ein Popanz. Rußland ist keiner römischen
Waffenthaten und keiner großen organischen Schöpfung fähig, aber
unorganisch wächst es, wie der Stein im Erdreich, durch langsames
Agglomeriren, bis es zum erdrückenden Felsen wird. Sollte ein¬
mal Polen ganz umgepflügt und mit russischer Erde verschütter


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[0365] polnische Frage schon für altmodisch hält. Die polnische Frage aber ist aufgeschoben, nicht aufgehoben. Wir können nicht ent¬ scheiden, wann für den unglücklichsten und edelsten Slavenstamm die Stunde der Auferstehung schlägt, aber den Gedanken, daß sie nie mehr schlagen sollte, können wir noch nicht fassen. Die Völker haben ein zähes Leben. — Franzosen und Englän¬ dern kann am Ende die Frage gleichgültiger sein als uns Deut¬ schen. Jene haben von jeher die natürliche Allianz mit den Nüssen gesucht, und würden sie wieder suchen, wenn die Rück¬ sichten für die noch lebende Generation und für die Volkssympa- thien in Frankreich und wenn die legitimistischen Empfindlichkeiten in Petersburg einmal vorbei wären. Auch ein großes Polenreich wäre Frankreichs natürliche Allianz gewesen, aber wenn an dersel¬ ben Stelle, „600 Stunden weit von der französischen Grenze", ein polnisch-russisches Reich steht, so wird man sich auch mit diesem verständigen, und keinen Anstoß daran nehmen, daß es um eine Kleinigkeit größer ist. — Wenn aber Deutsche und zwar, wie sie selbst glauben, nationalgesinnte Deutsche neuerdings in allgemeiner Slavenverachtung diese Kleinigkeit für gleichgültig halten und sa¬ gen: „Ach was, die Polen sind nicht besser als die Russen, sind auch Deutschfeinde. Mögen sie in einander aufgehen; dann kön¬ nen wir das ganze Pack in Bausch und Bogen bekämpfen", — so ist das eine von den traurigen Maulmachereien, in denen sich unsere guten Deutschen, für die tägliche Faulheit mit großen But- ter auf die Zukunft sich vertröstend, so sehr gefallen; ähnlich dem Zechbrüder, der seine Schuldrechnungen bis zu einem Capital auf¬ laufen läßt. Erstens ist ein großer Unterschied zwischen Slaven und Sla¬ ven, und dann ist der Panslavismus kein leerer Wahn mehr, so¬ bald Polen aufgehört hat. Wir halten Nußland nicht für so ge¬ waltig, daß es Welteroberungen und Universalmonarchien im al¬ ten Styl unternehmen könnte, und die „uniformirte-Völkerwande¬ rung" scheint uns sogar ein Popanz. Rußland ist keiner römischen Waffenthaten und keiner großen organischen Schöpfung fähig, aber unorganisch wächst es, wie der Stein im Erdreich, durch langsames Agglomeriren, bis es zum erdrückenden Felsen wird. Sollte ein¬ mal Polen ganz umgepflügt und mit russischer Erde verschütter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/365>, abgerufen am 01.09.2024.