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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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Häuflein wurde bald zurückgetrieben bis auf das Gebiet von Kra-
kau, und von da blieb kein anderer Weg übrig, als der ins Erik.

Der Fürst ging erst nach England und ließ sich dann bleibend
in Paris nieder, wo er noch jetzt lebt, von Nicolaus zum Tode
verurtheilt. Auch den größten Theil seiner Güter, nämlich alle, die
in Russisch-Polen lagen, hat er durch die Confiscation verloren,
doch sind die Ueberreste seines einst königlichen Vermögens noch
groß genug und setzen ihn in Stand/ die Leiden vieler verbannten
Landsleute zu lindern. Czartoryski hat im Glauben an die Zu¬
kunft seines Vaterlandes sich nicht erschüttern lassen; und wie er
unter den Emigrirten durch Vereine jeder Art das Nationalgefühl
wachzuhalten sucht, so benützt er auch seine Verbindungen mit den
einflußreichsten Männern Europas, um bei jeder Gelegenheit die
Cabinette für Polen milder und günstiger zu stimmen. Der Fürst
Czartoryski ist kein Genie und weder zum Dictator, noch zum
Volkötribun ward er geboren, aber durch Geist, Hochherzigkeit und
Ausdauer war er einer der ersten Patrioten seiner Zeit, und hat
seinem Vaterlande ungeheure Dienste erwiesen, die leider durch die
letzte Katastrophe wieder aufgehoben wurden. Ein unbefangenes
Urtheil über ihn wird man am wenigsten von den heutigen Polen
erwarten dürfen, die in der Verbannung ihren Parteihadcr fort¬
setzen. Die Demokraten und Republikaner erklären Czartoryski für
einen aristokratischen Schwachkopf, der sich von Nußland habe an
der Nase herumführen lassen, wie seine Vorfahren, und der gleich
ihnen ein Unglück für Polen gewesen sei. Diese Wegwerfung ist
eben so ungerecht, wie seine Vergötterung durch die royalistische
Partei an den Wahnwitz gränzt. Diese letztere Partei hält das
Königs - und Hofspielen für die Hauptsache; eine erbliche Dyna¬
stie, meint sie, muß nur erst da sein, dann versteht sich die Eristenz
der Nation von selber, und Polen, glaubt sie, ist von dem Augen¬
blick gerettet, wo sich alle Emigrirten vereinigen, um König Adam
und seinen Nachfolgern zu huldigen. Indeß ist dieser arme König
Adam sechsundsiebenzig Jahre alt. Nikolaus ist gesund und stark,
und die Ordnung herrscht in Warschau.

Mancher Leser mag die flüchtigen Erörterungen, die wir an
die Geschichte eines polnischen Emigranten knüpften, für nutzloses
Widerkäuen abgethaner Dinge halten, so wie man überhaupt die


Häuflein wurde bald zurückgetrieben bis auf das Gebiet von Kra-
kau, und von da blieb kein anderer Weg übrig, als der ins Erik.

Der Fürst ging erst nach England und ließ sich dann bleibend
in Paris nieder, wo er noch jetzt lebt, von Nicolaus zum Tode
verurtheilt. Auch den größten Theil seiner Güter, nämlich alle, die
in Russisch-Polen lagen, hat er durch die Confiscation verloren,
doch sind die Ueberreste seines einst königlichen Vermögens noch
groß genug und setzen ihn in Stand/ die Leiden vieler verbannten
Landsleute zu lindern. Czartoryski hat im Glauben an die Zu¬
kunft seines Vaterlandes sich nicht erschüttern lassen; und wie er
unter den Emigrirten durch Vereine jeder Art das Nationalgefühl
wachzuhalten sucht, so benützt er auch seine Verbindungen mit den
einflußreichsten Männern Europas, um bei jeder Gelegenheit die
Cabinette für Polen milder und günstiger zu stimmen. Der Fürst
Czartoryski ist kein Genie und weder zum Dictator, noch zum
Volkötribun ward er geboren, aber durch Geist, Hochherzigkeit und
Ausdauer war er einer der ersten Patrioten seiner Zeit, und hat
seinem Vaterlande ungeheure Dienste erwiesen, die leider durch die
letzte Katastrophe wieder aufgehoben wurden. Ein unbefangenes
Urtheil über ihn wird man am wenigsten von den heutigen Polen
erwarten dürfen, die in der Verbannung ihren Parteihadcr fort¬
setzen. Die Demokraten und Republikaner erklären Czartoryski für
einen aristokratischen Schwachkopf, der sich von Nußland habe an
der Nase herumführen lassen, wie seine Vorfahren, und der gleich
ihnen ein Unglück für Polen gewesen sei. Diese Wegwerfung ist
eben so ungerecht, wie seine Vergötterung durch die royalistische
Partei an den Wahnwitz gränzt. Diese letztere Partei hält das
Königs - und Hofspielen für die Hauptsache; eine erbliche Dyna¬
stie, meint sie, muß nur erst da sein, dann versteht sich die Eristenz
der Nation von selber, und Polen, glaubt sie, ist von dem Augen¬
blick gerettet, wo sich alle Emigrirten vereinigen, um König Adam
und seinen Nachfolgern zu huldigen. Indeß ist dieser arme König
Adam sechsundsiebenzig Jahre alt. Nikolaus ist gesund und stark,
und die Ordnung herrscht in Warschau.

Mancher Leser mag die flüchtigen Erörterungen, die wir an
die Geschichte eines polnischen Emigranten knüpften, für nutzloses
Widerkäuen abgethaner Dinge halten, so wie man überhaupt die


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[0364] Häuflein wurde bald zurückgetrieben bis auf das Gebiet von Kra- kau, und von da blieb kein anderer Weg übrig, als der ins Erik. Der Fürst ging erst nach England und ließ sich dann bleibend in Paris nieder, wo er noch jetzt lebt, von Nicolaus zum Tode verurtheilt. Auch den größten Theil seiner Güter, nämlich alle, die in Russisch-Polen lagen, hat er durch die Confiscation verloren, doch sind die Ueberreste seines einst königlichen Vermögens noch groß genug und setzen ihn in Stand/ die Leiden vieler verbannten Landsleute zu lindern. Czartoryski hat im Glauben an die Zu¬ kunft seines Vaterlandes sich nicht erschüttern lassen; und wie er unter den Emigrirten durch Vereine jeder Art das Nationalgefühl wachzuhalten sucht, so benützt er auch seine Verbindungen mit den einflußreichsten Männern Europas, um bei jeder Gelegenheit die Cabinette für Polen milder und günstiger zu stimmen. Der Fürst Czartoryski ist kein Genie und weder zum Dictator, noch zum Volkötribun ward er geboren, aber durch Geist, Hochherzigkeit und Ausdauer war er einer der ersten Patrioten seiner Zeit, und hat seinem Vaterlande ungeheure Dienste erwiesen, die leider durch die letzte Katastrophe wieder aufgehoben wurden. Ein unbefangenes Urtheil über ihn wird man am wenigsten von den heutigen Polen erwarten dürfen, die in der Verbannung ihren Parteihadcr fort¬ setzen. Die Demokraten und Republikaner erklären Czartoryski für einen aristokratischen Schwachkopf, der sich von Nußland habe an der Nase herumführen lassen, wie seine Vorfahren, und der gleich ihnen ein Unglück für Polen gewesen sei. Diese Wegwerfung ist eben so ungerecht, wie seine Vergötterung durch die royalistische Partei an den Wahnwitz gränzt. Diese letztere Partei hält das Königs - und Hofspielen für die Hauptsache; eine erbliche Dyna¬ stie, meint sie, muß nur erst da sein, dann versteht sich die Eristenz der Nation von selber, und Polen, glaubt sie, ist von dem Augen¬ blick gerettet, wo sich alle Emigrirten vereinigen, um König Adam und seinen Nachfolgern zu huldigen. Indeß ist dieser arme König Adam sechsundsiebenzig Jahre alt. Nikolaus ist gesund und stark, und die Ordnung herrscht in Warschau. Mancher Leser mag die flüchtigen Erörterungen, die wir an die Geschichte eines polnischen Emigranten knüpften, für nutzloses Widerkäuen abgethaner Dinge halten, so wie man überhaupt die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/364>, abgerufen am 01.09.2024.