Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.nicht von selbst auseinanderfiel, sondern auseinandergerissen wurde, Neuerdings haben russische Stimmendie Theilung und Unterjochung *) Das erträglichste Loos ist offenbar dem preußischen Theil Polens ge¬
worden, er genießt ein Glück, auf welches Rußland mit Ingrimm blickt und das es gern durch Insinuationen jeder Art trüben möchte. nicht von selbst auseinanderfiel, sondern auseinandergerissen wurde, Neuerdings haben russische Stimmendie Theilung und Unterjochung *) Das erträglichste Loos ist offenbar dem preußischen Theil Polens ge¬
worden, er genießt ein Glück, auf welches Rußland mit Ingrimm blickt und das es gern durch Insinuationen jeder Art trüben möchte. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0352" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182162"/> <p xml:id="ID_786" prev="#ID_785"> nicht von selbst auseinanderfiel, sondern auseinandergerissen wurde,<lb/> steht man aus der Perfidie, mit welcher die fremden Mächte die<lb/> schon erloschenen anarchischen Gluthen wieder aufzublasen sich an¬<lb/> strengten. Polen war im Begriff, durch die Czartoryskischen Re¬<lb/> formen zu solidem Zuständen zu gelangen, aber jeder Stütze die sie<lb/> dem wankenden Reiche brachten, wurde ein hinterlistiges Bein ge¬<lb/> stellt. Unsere gründlichen Doktrinärs möchten die politische Unfä¬<lb/> higkeit der Polen, ihre einseitige Adelsherrschaft und Parteienwuth<lb/> allein verantwortlich machen für den Untergang des Sarmatenreichs,<lb/> doch so groß waren die polnischen Staatstalcnte jedenfalls, daß sie,<lb/> wenn auch nicht zu intriguiren und zu erobern wußten, wie die<lb/> Bourbonen, wie der „große" Friederich, dieRussen und die Oesterreicher,<lb/> doch im Stande waren steh selbst zu regieren) die polnischen Unruhen, ab¬<lb/> gesehen von ihrem ausländischen Ursprug, griffen niemals in die Nach¬<lb/> barländer über, die Polen machten keine Propaganda. Der Druck<lb/> des leibeigenen Volkes durch den Adel hat die Fremden auch nicht<lb/> zur Theilung aufgefordert, denn derselbe besteht auch noch jetzt in<lb/> Russisch Polen und bestand bis vor Kurzem noch in demselben<lb/> Grade in Ungarn und Galizien.») Die Fehler Altpolens erklären<lb/> blos die Uebermacht seiner feindseligen Beschützer, entschuldigen aber<lb/> nicht im Mindesten den gewissenlosen Mißbrauch dieser Uebermacht.<lb/> War es den drei Schutzmächten wirklich um Beruhigung und Bes¬<lb/> serung ihres Mündels zu thun, so hätten sie ihm einen strengen<lb/> Curator und Dictator eingesetzt und wenigstens die beschworen?<lb/> Integrität Polens aufrecht erhalten, aber so rissen sie es ausein¬<lb/> ander, weil Volker ohne eine mit den übrigen Herrnhäuscrn ver¬<lb/> schwägerte Dvmastie als Herrnloses Gut, als wilde Thierheerde<lb/> betrachtet wurden, die man einfangen und stückweise verkaufen oder<lb/> vertheilen kann.</p><lb/> <p xml:id="ID_787" next="#ID_788"> Neuerdings haben russische Stimmendie Theilung und Unterjochung<lb/> Polens als eine legitime Rache für die Unbilden, die Polen im<lb/> Mittelalter den Russen zugefügt, rechtfertigen und sanctioniren wollen.<lb/> Dies ist nicht so christlich, wie Maria Theresia's Neu- und</p><lb/> <note xml:id="FID_13" place="foot"> *) Das erträglichste Loos ist offenbar dem preußischen Theil Polens ge¬<lb/> worden, er genießt ein Glück, auf welches Rußland mit Ingrimm blickt und<lb/> das es gern durch Insinuationen jeder Art trüben möchte.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0352]
nicht von selbst auseinanderfiel, sondern auseinandergerissen wurde,
steht man aus der Perfidie, mit welcher die fremden Mächte die
schon erloschenen anarchischen Gluthen wieder aufzublasen sich an¬
strengten. Polen war im Begriff, durch die Czartoryskischen Re¬
formen zu solidem Zuständen zu gelangen, aber jeder Stütze die sie
dem wankenden Reiche brachten, wurde ein hinterlistiges Bein ge¬
stellt. Unsere gründlichen Doktrinärs möchten die politische Unfä¬
higkeit der Polen, ihre einseitige Adelsherrschaft und Parteienwuth
allein verantwortlich machen für den Untergang des Sarmatenreichs,
doch so groß waren die polnischen Staatstalcnte jedenfalls, daß sie,
wenn auch nicht zu intriguiren und zu erobern wußten, wie die
Bourbonen, wie der „große" Friederich, dieRussen und die Oesterreicher,
doch im Stande waren steh selbst zu regieren) die polnischen Unruhen, ab¬
gesehen von ihrem ausländischen Ursprug, griffen niemals in die Nach¬
barländer über, die Polen machten keine Propaganda. Der Druck
des leibeigenen Volkes durch den Adel hat die Fremden auch nicht
zur Theilung aufgefordert, denn derselbe besteht auch noch jetzt in
Russisch Polen und bestand bis vor Kurzem noch in demselben
Grade in Ungarn und Galizien.») Die Fehler Altpolens erklären
blos die Uebermacht seiner feindseligen Beschützer, entschuldigen aber
nicht im Mindesten den gewissenlosen Mißbrauch dieser Uebermacht.
War es den drei Schutzmächten wirklich um Beruhigung und Bes¬
serung ihres Mündels zu thun, so hätten sie ihm einen strengen
Curator und Dictator eingesetzt und wenigstens die beschworen?
Integrität Polens aufrecht erhalten, aber so rissen sie es ausein¬
ander, weil Volker ohne eine mit den übrigen Herrnhäuscrn ver¬
schwägerte Dvmastie als Herrnloses Gut, als wilde Thierheerde
betrachtet wurden, die man einfangen und stückweise verkaufen oder
vertheilen kann.
Neuerdings haben russische Stimmendie Theilung und Unterjochung
Polens als eine legitime Rache für die Unbilden, die Polen im
Mittelalter den Russen zugefügt, rechtfertigen und sanctioniren wollen.
Dies ist nicht so christlich, wie Maria Theresia's Neu- und
*) Das erträglichste Loos ist offenbar dem preußischen Theil Polens ge¬
worden, er genießt ein Glück, auf welches Rußland mit Ingrimm blickt und
das es gern durch Insinuationen jeder Art trüben möchte.
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