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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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ter ihm begannen sie nun wirklich die Ausführung jener Reformen,
die Polen Anfangs wie ein verzogenes Kind eine bittere Medizin
annahm, deren Trefflichkeit und Weisheit es aber erst zwanzig Jahre
später einsah, als es eben zu spät war.

Das hatte Nußland nicht gewollt. Poniatowski sollte ihm
nur als Diebsschlüssel dienen zu den Schätzen polnischer Freiheit
und Selbständigkeit; als es daher sah, wie die Czartoryskis aus
ihm vielmehr einen Riegel machen wollten gegen fremde Einflüsse
und einen Damm gegen die Fluthen der Anarchie, die das Land
in den Rachen des Nachbars zu schwemmen versprachen, da stimmte
es plötzlich einen andern Ton an und hatte (schon damals)
Unverschämtheit genug, um dem polnischen Großkanzler befehlen zu
lassen, er solle von seinem Posten abtreten. Der stolze Greis --
blieb auf seinem Posten. Da versuchte Rußland die andern Par¬
teien gegen ihn aufzuhetzen und ihn vor Gericht ziehen zu lassen.
Als auch dieses loyale Manöver Nichts fruchtete, und selbst unter
den Gegnern Michael's sich keine Richter sür ihn fanden; als so¬
gar Polen, durch die Erfahrung gewitzigt, endlich das unglückselige
lilx-nim volo abschaffen wollte, da verständigte sich Nußland mit
Preußen, und die Welt rieb sich verwundert die Augen, als sie sehen
mußte, wie zwei absolute Monarchen jenes Werkzeug der
Anarchie öffentlich in Schutz nahmen! Rußland wollte natür¬
lich blos die altpolnischen Freiheiten des Adels, auch gegen dessen
eigenen Willen, schützen; aber so wie es jetzt in der Türkei die Sa¬
trapenwillkür und den Fanatismus des Pöbels gegen die Partei
Reschids, in den Donaufürstenthümern dagegen (siehe das letzte
Kapitel der serbischen Geschichte) den Geist der Volksherrschaft und
das Recht der bewaffneten Opposition auf Augenblicke begünstigt;
grade so, wie es nicht ermangeln würde, nöthigenfalls für die
Selbstständigkeit kleiner Hoheiten gegen eine größere Einheit des
deutschen Staatenbundes als Beschützer aufzutreten. Unbegreiflich
dienst es, wie manche Herren aus der alten Schule mit Rußland,
um seines angeblichen Legitimismus und seines streng monarchischen
Princips willen, sympathisiren können. Abgesehen von den obliga¬
ten Palastrevolutionen, die eine so legitime Rolle in der Geschichte
der nordischen Herrscher spielen, hat Rußland oft genug bewiesen,
daß es nur in seinen innern Angelegenheiten und nur gegen sein


ter ihm begannen sie nun wirklich die Ausführung jener Reformen,
die Polen Anfangs wie ein verzogenes Kind eine bittere Medizin
annahm, deren Trefflichkeit und Weisheit es aber erst zwanzig Jahre
später einsah, als es eben zu spät war.

Das hatte Nußland nicht gewollt. Poniatowski sollte ihm
nur als Diebsschlüssel dienen zu den Schätzen polnischer Freiheit
und Selbständigkeit; als es daher sah, wie die Czartoryskis aus
ihm vielmehr einen Riegel machen wollten gegen fremde Einflüsse
und einen Damm gegen die Fluthen der Anarchie, die das Land
in den Rachen des Nachbars zu schwemmen versprachen, da stimmte
es plötzlich einen andern Ton an und hatte (schon damals)
Unverschämtheit genug, um dem polnischen Großkanzler befehlen zu
lassen, er solle von seinem Posten abtreten. Der stolze Greis —
blieb auf seinem Posten. Da versuchte Rußland die andern Par¬
teien gegen ihn aufzuhetzen und ihn vor Gericht ziehen zu lassen.
Als auch dieses loyale Manöver Nichts fruchtete, und selbst unter
den Gegnern Michael's sich keine Richter sür ihn fanden; als so¬
gar Polen, durch die Erfahrung gewitzigt, endlich das unglückselige
lilx-nim volo abschaffen wollte, da verständigte sich Nußland mit
Preußen, und die Welt rieb sich verwundert die Augen, als sie sehen
mußte, wie zwei absolute Monarchen jenes Werkzeug der
Anarchie öffentlich in Schutz nahmen! Rußland wollte natür¬
lich blos die altpolnischen Freiheiten des Adels, auch gegen dessen
eigenen Willen, schützen; aber so wie es jetzt in der Türkei die Sa¬
trapenwillkür und den Fanatismus des Pöbels gegen die Partei
Reschids, in den Donaufürstenthümern dagegen (siehe das letzte
Kapitel der serbischen Geschichte) den Geist der Volksherrschaft und
das Recht der bewaffneten Opposition auf Augenblicke begünstigt;
grade so, wie es nicht ermangeln würde, nöthigenfalls für die
Selbstständigkeit kleiner Hoheiten gegen eine größere Einheit des
deutschen Staatenbundes als Beschützer aufzutreten. Unbegreiflich
dienst es, wie manche Herren aus der alten Schule mit Rußland,
um seines angeblichen Legitimismus und seines streng monarchischen
Princips willen, sympathisiren können. Abgesehen von den obliga¬
ten Palastrevolutionen, die eine so legitime Rolle in der Geschichte
der nordischen Herrscher spielen, hat Rußland oft genug bewiesen,
daß es nur in seinen innern Angelegenheiten und nur gegen sein


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[0349] ter ihm begannen sie nun wirklich die Ausführung jener Reformen, die Polen Anfangs wie ein verzogenes Kind eine bittere Medizin annahm, deren Trefflichkeit und Weisheit es aber erst zwanzig Jahre später einsah, als es eben zu spät war. Das hatte Nußland nicht gewollt. Poniatowski sollte ihm nur als Diebsschlüssel dienen zu den Schätzen polnischer Freiheit und Selbständigkeit; als es daher sah, wie die Czartoryskis aus ihm vielmehr einen Riegel machen wollten gegen fremde Einflüsse und einen Damm gegen die Fluthen der Anarchie, die das Land in den Rachen des Nachbars zu schwemmen versprachen, da stimmte es plötzlich einen andern Ton an und hatte (schon damals) Unverschämtheit genug, um dem polnischen Großkanzler befehlen zu lassen, er solle von seinem Posten abtreten. Der stolze Greis — blieb auf seinem Posten. Da versuchte Rußland die andern Par¬ teien gegen ihn aufzuhetzen und ihn vor Gericht ziehen zu lassen. Als auch dieses loyale Manöver Nichts fruchtete, und selbst unter den Gegnern Michael's sich keine Richter sür ihn fanden; als so¬ gar Polen, durch die Erfahrung gewitzigt, endlich das unglückselige lilx-nim volo abschaffen wollte, da verständigte sich Nußland mit Preußen, und die Welt rieb sich verwundert die Augen, als sie sehen mußte, wie zwei absolute Monarchen jenes Werkzeug der Anarchie öffentlich in Schutz nahmen! Rußland wollte natür¬ lich blos die altpolnischen Freiheiten des Adels, auch gegen dessen eigenen Willen, schützen; aber so wie es jetzt in der Türkei die Sa¬ trapenwillkür und den Fanatismus des Pöbels gegen die Partei Reschids, in den Donaufürstenthümern dagegen (siehe das letzte Kapitel der serbischen Geschichte) den Geist der Volksherrschaft und das Recht der bewaffneten Opposition auf Augenblicke begünstigt; grade so, wie es nicht ermangeln würde, nöthigenfalls für die Selbstständigkeit kleiner Hoheiten gegen eine größere Einheit des deutschen Staatenbundes als Beschützer aufzutreten. Unbegreiflich dienst es, wie manche Herren aus der alten Schule mit Rußland, um seines angeblichen Legitimismus und seines streng monarchischen Princips willen, sympathisiren können. Abgesehen von den obliga¬ ten Palastrevolutionen, die eine so legitime Rolle in der Geschichte der nordischen Herrscher spielen, hat Rußland oft genug bewiesen, daß es nur in seinen innern Angelegenheiten und nur gegen sein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/349>, abgerufen am 01.09.2024.