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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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meisten bedeutenden österreichischen Schriftsteller, Lenau, Banernfeld,
Ebert u. s. w. Junggeselle ist, daß er in einem befreundeten Hause
ein von Kunst und Geist durchwehtes inniges Familienleben führt
und daß Musik seine innige, vertraute Freundin ist, die ihm als
einen Eingeweihten gerne ihre tiefsten Geheimnisse anvertraut.

Grillparzer hat schon seit Jahren ein Trauerspiel "Rudolph
II." vollendet, aber es darf in Wien nicht aufgeführt werden, da
hier wie in Berlin das großsinnige Censurgesetz besteht, das alle
Anverwandten des regierenden Hauses von der Bühne verbannt,
ein Gesetz, wodurch man die kleine Gesinnung der Königin Elisa¬
beth zu beschämen sucht, die ihren Vater mit allen seinen Lastern
vor allem Volke durch Meister Shakespeare poetische Gerechtigkeit
widerfahren ließ^ Aus dieser Ursache läßt Grillparzer das Stück
auch nicht im "Auslande" aufführen, da ihm das Lob Fremder nicht
genügen würde, wo ihm das Lob seiner LmidSleute fehlt. Ein
merkwürdiger Patriotismus, der den oben angeführten Ausspruch
des Wiener Dichters aus der Concordia zu bestätigen scheint. Die¬
ses und so vieles andere, was ich seinem Gespräche entnommen
oder von Andern gehört habe, beweist mir, daß jener Dualismus,
der das Herz des modernen Oesterreichers spaltet, bei Grillparzer am
deutlichsten hervortritt. Der moderne Oesterreicher kennt alle Schä¬
den, Geschwüre und eingewurzelten Uebel seiner Heimat, aber er
liebt sie trotz dieser Schäden, Geschwüre und Uebel, wie man eine
Geliebte, eine Mutter, ein Kind trotz ihrer Fehler liebt. ES ist
auch wirklich noch so viel Frische, Saft und Kraft und Poesie in
diesem Oesterreich, daß, wenn man es nicht mit politisch tendenziö¬
sem Auge, ansieht, es neben anderen vielgepriesenen Ländern wie
eine frische Frucht neben einer im Backofen gedörrten, wie
eine Blume aus dem Felde neben der Blume im Herbarium
des Botanikers erscheint; und der Oesterreicher liebt die Schön¬
heit dieser Frucht, und vertieft sich gern in ihre Schönheit, wie¬
wohl er weiß, daß mancher Wurm unter ihrer schönen Schale
sie benagt. Grillpmzer ist der höchste und poetischste Ausdruck
dieses Oesterreicherthums. Man glaube ja nicht, er kenne nur
die schönen Seiten seines Vaterlandes; er kennt auch die schlechte,
und verwünscht sie wie irgend eine Liberaler; aber als liebender
Sohn scheut er sich, von den Fehlern seiner Mutter laut zu spre-


meisten bedeutenden österreichischen Schriftsteller, Lenau, Banernfeld,
Ebert u. s. w. Junggeselle ist, daß er in einem befreundeten Hause
ein von Kunst und Geist durchwehtes inniges Familienleben führt
und daß Musik seine innige, vertraute Freundin ist, die ihm als
einen Eingeweihten gerne ihre tiefsten Geheimnisse anvertraut.

Grillparzer hat schon seit Jahren ein Trauerspiel „Rudolph
II." vollendet, aber es darf in Wien nicht aufgeführt werden, da
hier wie in Berlin das großsinnige Censurgesetz besteht, das alle
Anverwandten des regierenden Hauses von der Bühne verbannt,
ein Gesetz, wodurch man die kleine Gesinnung der Königin Elisa¬
beth zu beschämen sucht, die ihren Vater mit allen seinen Lastern
vor allem Volke durch Meister Shakespeare poetische Gerechtigkeit
widerfahren ließ^ Aus dieser Ursache läßt Grillparzer das Stück
auch nicht im „Auslande" aufführen, da ihm das Lob Fremder nicht
genügen würde, wo ihm das Lob seiner LmidSleute fehlt. Ein
merkwürdiger Patriotismus, der den oben angeführten Ausspruch
des Wiener Dichters aus der Concordia zu bestätigen scheint. Die¬
ses und so vieles andere, was ich seinem Gespräche entnommen
oder von Andern gehört habe, beweist mir, daß jener Dualismus,
der das Herz des modernen Oesterreichers spaltet, bei Grillparzer am
deutlichsten hervortritt. Der moderne Oesterreicher kennt alle Schä¬
den, Geschwüre und eingewurzelten Uebel seiner Heimat, aber er
liebt sie trotz dieser Schäden, Geschwüre und Uebel, wie man eine
Geliebte, eine Mutter, ein Kind trotz ihrer Fehler liebt. ES ist
auch wirklich noch so viel Frische, Saft und Kraft und Poesie in
diesem Oesterreich, daß, wenn man es nicht mit politisch tendenziö¬
sem Auge, ansieht, es neben anderen vielgepriesenen Ländern wie
eine frische Frucht neben einer im Backofen gedörrten, wie
eine Blume aus dem Felde neben der Blume im Herbarium
des Botanikers erscheint; und der Oesterreicher liebt die Schön¬
heit dieser Frucht, und vertieft sich gern in ihre Schönheit, wie¬
wohl er weiß, daß mancher Wurm unter ihrer schönen Schale
sie benagt. Grillpmzer ist der höchste und poetischste Ausdruck
dieses Oesterreicherthums. Man glaube ja nicht, er kenne nur
die schönen Seiten seines Vaterlandes; er kennt auch die schlechte,
und verwünscht sie wie irgend eine Liberaler; aber als liebender
Sohn scheut er sich, von den Fehlern seiner Mutter laut zu spre-


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[0325] meisten bedeutenden österreichischen Schriftsteller, Lenau, Banernfeld, Ebert u. s. w. Junggeselle ist, daß er in einem befreundeten Hause ein von Kunst und Geist durchwehtes inniges Familienleben führt und daß Musik seine innige, vertraute Freundin ist, die ihm als einen Eingeweihten gerne ihre tiefsten Geheimnisse anvertraut. Grillparzer hat schon seit Jahren ein Trauerspiel „Rudolph II." vollendet, aber es darf in Wien nicht aufgeführt werden, da hier wie in Berlin das großsinnige Censurgesetz besteht, das alle Anverwandten des regierenden Hauses von der Bühne verbannt, ein Gesetz, wodurch man die kleine Gesinnung der Königin Elisa¬ beth zu beschämen sucht, die ihren Vater mit allen seinen Lastern vor allem Volke durch Meister Shakespeare poetische Gerechtigkeit widerfahren ließ^ Aus dieser Ursache läßt Grillparzer das Stück auch nicht im „Auslande" aufführen, da ihm das Lob Fremder nicht genügen würde, wo ihm das Lob seiner LmidSleute fehlt. Ein merkwürdiger Patriotismus, der den oben angeführten Ausspruch des Wiener Dichters aus der Concordia zu bestätigen scheint. Die¬ ses und so vieles andere, was ich seinem Gespräche entnommen oder von Andern gehört habe, beweist mir, daß jener Dualismus, der das Herz des modernen Oesterreichers spaltet, bei Grillparzer am deutlichsten hervortritt. Der moderne Oesterreicher kennt alle Schä¬ den, Geschwüre und eingewurzelten Uebel seiner Heimat, aber er liebt sie trotz dieser Schäden, Geschwüre und Uebel, wie man eine Geliebte, eine Mutter, ein Kind trotz ihrer Fehler liebt. ES ist auch wirklich noch so viel Frische, Saft und Kraft und Poesie in diesem Oesterreich, daß, wenn man es nicht mit politisch tendenziö¬ sem Auge, ansieht, es neben anderen vielgepriesenen Ländern wie eine frische Frucht neben einer im Backofen gedörrten, wie eine Blume aus dem Felde neben der Blume im Herbarium des Botanikers erscheint; und der Oesterreicher liebt die Schön¬ heit dieser Frucht, und vertieft sich gern in ihre Schönheit, wie¬ wohl er weiß, daß mancher Wurm unter ihrer schönen Schale sie benagt. Grillpmzer ist der höchste und poetischste Ausdruck dieses Oesterreicherthums. Man glaube ja nicht, er kenne nur die schönen Seiten seines Vaterlandes; er kennt auch die schlechte, und verwünscht sie wie irgend eine Liberaler; aber als liebender Sohn scheut er sich, von den Fehlern seiner Mutter laut zu spre-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/325>, abgerufen am 01.09.2024.