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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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Grillparzer ist nicht wie einer von jenen dramatischen Dichtern, die
Vom baltischen bis zum adriatischen Meere, von der rußisch-polni¬
schen bis zur belgisch-französischen Gränze jede Bühne mit Kor¬
respondenten, Herolden, Ausrufern und Marktschreiern besetzt ha¬
ben. So kommt es, daß Herr Theodor Mundt in Berlin sich un¬
terstehen darf, ihn in seiner cliquenhaften Geschichte der modernen
Literatur mit drei Zeilen, und als bloßen Verfasser der Ahnfrau
abzufertigen. Es ist das eben die "Komödie dee Neigungen," diese
lächerliche, kleinliche Komödie.

Während sich Grillparzer mit meinem Freunde über Privat¬
angelegenheiten unterhielt, hatte ich Zeit, ihn mit Muße zu betrach¬
ten und mir sein Bild lebendig einzuprägen. Sein Kopf ist groß
und stark markirt und von dem von innen nach, außen arbeitenden
Meister Geist bis ins Kleinste ausgearbeitet. Sein faltenreiches
Gesicht ist ein reiches Buch von Gedichten und inneren Geschich¬
ten. Sein großer Mund erinnerte mich an das Instrument, wel¬
ches griechische Tragöden an die Lippen befestigten um ihrer Stimme
größere Gewalt und ihren Reveil tieferen Eindruck zu verschaffen.
s>s in.iffii-t hin-ins! Aber sein mildblickendes schönes Auge, war
mir wie die deutsche Romantik, welche die ClassiMt in seinen
Gedichten warm durchweht und mildert. Sein Haar ist schon dicht
mit Grau durchwoben und noch fehlt ihm der Lorbeer der deut¬
schen Nation es zu bedecken. Seine Gestalt ist schmächtig und
schwankend und für diesen mächtigen Kopf unverhältnißmäßig schwach.

Als wir gingen, lud mich der Dichter noch aufs freundlichste
ein, ihn öfter zu besuchen; leider konnte das meiner baldigen Ab¬
reise wegen nicht geschehen. Doch ging ich ganz glücklich von ihm,
so glücklich wie ein jugendliches Gemüth immer ist, wenn es sich
in seinen schönsten Träumen nicht getäuscht sieht. Wir gingen in
ein Weinhaus und tranken in einem guten Oesterreicher auf das
Wohl unseres Dichters. Mein Freund erzählte mir noch vieles
von ihm, das ich, wie sehr schön und charakteristisch auch alles, ist,
doch als das Privatleben betreffend verschweigen will, um nicht in
den Fehler unserer Notabilitätsjäger zu verfallen, die sich nicht ent¬
blöden, mit plumper Hand den heiligen Schleier zu zerreißen, der
das Familienleben bedeutender Menschen verdeckt. So viel aber
ist wohl erlaubt öffentlich mitzutheilen, daß Grillparzer, so wie die


Grillparzer ist nicht wie einer von jenen dramatischen Dichtern, die
Vom baltischen bis zum adriatischen Meere, von der rußisch-polni¬
schen bis zur belgisch-französischen Gränze jede Bühne mit Kor¬
respondenten, Herolden, Ausrufern und Marktschreiern besetzt ha¬
ben. So kommt es, daß Herr Theodor Mundt in Berlin sich un¬
terstehen darf, ihn in seiner cliquenhaften Geschichte der modernen
Literatur mit drei Zeilen, und als bloßen Verfasser der Ahnfrau
abzufertigen. Es ist das eben die „Komödie dee Neigungen," diese
lächerliche, kleinliche Komödie.

Während sich Grillparzer mit meinem Freunde über Privat¬
angelegenheiten unterhielt, hatte ich Zeit, ihn mit Muße zu betrach¬
ten und mir sein Bild lebendig einzuprägen. Sein Kopf ist groß
und stark markirt und von dem von innen nach, außen arbeitenden
Meister Geist bis ins Kleinste ausgearbeitet. Sein faltenreiches
Gesicht ist ein reiches Buch von Gedichten und inneren Geschich¬
ten. Sein großer Mund erinnerte mich an das Instrument, wel¬
ches griechische Tragöden an die Lippen befestigten um ihrer Stimme
größere Gewalt und ihren Reveil tieferen Eindruck zu verschaffen.
s>s in.iffii-t hin-ins! Aber sein mildblickendes schönes Auge, war
mir wie die deutsche Romantik, welche die ClassiMt in seinen
Gedichten warm durchweht und mildert. Sein Haar ist schon dicht
mit Grau durchwoben und noch fehlt ihm der Lorbeer der deut¬
schen Nation es zu bedecken. Seine Gestalt ist schmächtig und
schwankend und für diesen mächtigen Kopf unverhältnißmäßig schwach.

Als wir gingen, lud mich der Dichter noch aufs freundlichste
ein, ihn öfter zu besuchen; leider konnte das meiner baldigen Ab¬
reise wegen nicht geschehen. Doch ging ich ganz glücklich von ihm,
so glücklich wie ein jugendliches Gemüth immer ist, wenn es sich
in seinen schönsten Träumen nicht getäuscht sieht. Wir gingen in
ein Weinhaus und tranken in einem guten Oesterreicher auf das
Wohl unseres Dichters. Mein Freund erzählte mir noch vieles
von ihm, das ich, wie sehr schön und charakteristisch auch alles, ist,
doch als das Privatleben betreffend verschweigen will, um nicht in
den Fehler unserer Notabilitätsjäger zu verfallen, die sich nicht ent¬
blöden, mit plumper Hand den heiligen Schleier zu zerreißen, der
das Familienleben bedeutender Menschen verdeckt. So viel aber
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[0324] Grillparzer ist nicht wie einer von jenen dramatischen Dichtern, die Vom baltischen bis zum adriatischen Meere, von der rußisch-polni¬ schen bis zur belgisch-französischen Gränze jede Bühne mit Kor¬ respondenten, Herolden, Ausrufern und Marktschreiern besetzt ha¬ ben. So kommt es, daß Herr Theodor Mundt in Berlin sich un¬ terstehen darf, ihn in seiner cliquenhaften Geschichte der modernen Literatur mit drei Zeilen, und als bloßen Verfasser der Ahnfrau abzufertigen. Es ist das eben die „Komödie dee Neigungen," diese lächerliche, kleinliche Komödie. Während sich Grillparzer mit meinem Freunde über Privat¬ angelegenheiten unterhielt, hatte ich Zeit, ihn mit Muße zu betrach¬ ten und mir sein Bild lebendig einzuprägen. Sein Kopf ist groß und stark markirt und von dem von innen nach, außen arbeitenden Meister Geist bis ins Kleinste ausgearbeitet. Sein faltenreiches Gesicht ist ein reiches Buch von Gedichten und inneren Geschich¬ ten. Sein großer Mund erinnerte mich an das Instrument, wel¬ ches griechische Tragöden an die Lippen befestigten um ihrer Stimme größere Gewalt und ihren Reveil tieferen Eindruck zu verschaffen. s>s in.iffii-t hin-ins! Aber sein mildblickendes schönes Auge, war mir wie die deutsche Romantik, welche die ClassiMt in seinen Gedichten warm durchweht und mildert. Sein Haar ist schon dicht mit Grau durchwoben und noch fehlt ihm der Lorbeer der deut¬ schen Nation es zu bedecken. Seine Gestalt ist schmächtig und schwankend und für diesen mächtigen Kopf unverhältnißmäßig schwach. Als wir gingen, lud mich der Dichter noch aufs freundlichste ein, ihn öfter zu besuchen; leider konnte das meiner baldigen Ab¬ reise wegen nicht geschehen. Doch ging ich ganz glücklich von ihm, so glücklich wie ein jugendliches Gemüth immer ist, wenn es sich in seinen schönsten Träumen nicht getäuscht sieht. Wir gingen in ein Weinhaus und tranken in einem guten Oesterreicher auf das Wohl unseres Dichters. Mein Freund erzählte mir noch vieles von ihm, das ich, wie sehr schön und charakteristisch auch alles, ist, doch als das Privatleben betreffend verschweigen will, um nicht in den Fehler unserer Notabilitätsjäger zu verfallen, die sich nicht ent¬ blöden, mit plumper Hand den heiligen Schleier zu zerreißen, der das Familienleben bedeutender Menschen verdeckt. So viel aber ist wohl erlaubt öffentlich mitzutheilen, daß Grillparzer, so wie die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/324>, abgerufen am 01.09.2024.