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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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fern belletristischen Berühmtheiten meist literarische Scandale, Thea-
tcrdircctionen und wenn es hoch kam Redaktionen zu behandeln. Ja
eine unserer größten norddemschcn Celebritäten sing, als ich sie einst
besuchte sogleich bei meinem Eintritte über Buchhändler, ihre Ho-
iwrare und die Fonds über die sie zu verfügen haben, zu sprechen an,
Ich sah bald, daß ich hier mit einen Dichter sprach, der trotz sei¬
ner langen Laufbahn nicht zum literarischen Kaufmann oder gar
Handwerker herabgesunken war. Ja, erstaunet, ihr Dramatiker des
Nordens, selbst von der Tantieme, die damals funkelnagelneu war,
und euch und hundert Zeitungen in tiefster Seele beschäftigte, selbst
von der Tantieme, sprach der dramatische Dichter Grillparzer nicht.
Erst auf einem langen Umwege und auf Veranlassung eines jour¬
nalistischen Vorfalles, der damals in Wien viel von sich reden
machte und einen Freund des Dichters betraf, kamen wir auf das
litcransche Feld. Grillparzer sprach mit tiefster Entrüstung von der
Herabwürdigung der öffentlichen Organe durch ihre Träger, und
daß man in der Gesellschaft der Geister Bursche dulden müße, die
man aus jeder andern honetten Gesellschaft werfen würde. Das
wird wohl Manchen etwas aristokratisch erscheinen, aber, ich glaube,
auch der größte literarische Republikaner muß von Zeit zu Zeit
auf solche Gedanken kommen, wenn er sieht, wie von gewissen Leu¬
ten mit dem Geschmacke, mit dem gesunden Sinne des Publicums
gewirthschaftet wird, zumal in Wien, wo diesen Verderben: und
"literarischen Köchinnen" wie sie Grillparzer nannte, der obwalten¬
den Umstände wegen, nicht einmal der Krieg gemacht werden kann.

Auf meine Frage ob das Trauerspiel "Hanibal," von welchem
ich im Witthauerschen Album für die Pesther Ueberschwemmten ein
herrliches Bruchstück, eine Unterredung des Carthagerö mit Scipio
gelesen, vollendet sei, antwortete er mit der aufrichtigsten Naivität,
daß von dem ganzen Stücke keine Sylbe mehr geschrieben sei, als
dieses Fragment enthalte. Ja, ich glaube sogar: er gestand mir.
es sei eigens geschrieben worden, um auch etwas zu dem wohlthä¬
tigen Unternehmen beisteuern zu können. Er klagte über Kränk¬
lichkeit, die ihm nicht erlaube an ein größeres Werk zu gehen, und
mit Rührung las ich in seinen Zügen die Wahrheit seiner Klage.
Doch aber, setzte er mit Heiterkeit hinzu, hoffe er, es werde schon
noch die "gute Stunde", vielleicht auch die "gute Zeit" kommen.


fern belletristischen Berühmtheiten meist literarische Scandale, Thea-
tcrdircctionen und wenn es hoch kam Redaktionen zu behandeln. Ja
eine unserer größten norddemschcn Celebritäten sing, als ich sie einst
besuchte sogleich bei meinem Eintritte über Buchhändler, ihre Ho-
iwrare und die Fonds über die sie zu verfügen haben, zu sprechen an,
Ich sah bald, daß ich hier mit einen Dichter sprach, der trotz sei¬
ner langen Laufbahn nicht zum literarischen Kaufmann oder gar
Handwerker herabgesunken war. Ja, erstaunet, ihr Dramatiker des
Nordens, selbst von der Tantieme, die damals funkelnagelneu war,
und euch und hundert Zeitungen in tiefster Seele beschäftigte, selbst
von der Tantieme, sprach der dramatische Dichter Grillparzer nicht.
Erst auf einem langen Umwege und auf Veranlassung eines jour¬
nalistischen Vorfalles, der damals in Wien viel von sich reden
machte und einen Freund des Dichters betraf, kamen wir auf das
litcransche Feld. Grillparzer sprach mit tiefster Entrüstung von der
Herabwürdigung der öffentlichen Organe durch ihre Träger, und
daß man in der Gesellschaft der Geister Bursche dulden müße, die
man aus jeder andern honetten Gesellschaft werfen würde. Das
wird wohl Manchen etwas aristokratisch erscheinen, aber, ich glaube,
auch der größte literarische Republikaner muß von Zeit zu Zeit
auf solche Gedanken kommen, wenn er sieht, wie von gewissen Leu¬
ten mit dem Geschmacke, mit dem gesunden Sinne des Publicums
gewirthschaftet wird, zumal in Wien, wo diesen Verderben: und
„literarischen Köchinnen" wie sie Grillparzer nannte, der obwalten¬
den Umstände wegen, nicht einmal der Krieg gemacht werden kann.

Auf meine Frage ob das Trauerspiel „Hanibal," von welchem
ich im Witthauerschen Album für die Pesther Ueberschwemmten ein
herrliches Bruchstück, eine Unterredung des Carthagerö mit Scipio
gelesen, vollendet sei, antwortete er mit der aufrichtigsten Naivität,
daß von dem ganzen Stücke keine Sylbe mehr geschrieben sei, als
dieses Fragment enthalte. Ja, ich glaube sogar: er gestand mir.
es sei eigens geschrieben worden, um auch etwas zu dem wohlthä¬
tigen Unternehmen beisteuern zu können. Er klagte über Kränk¬
lichkeit, die ihm nicht erlaube an ein größeres Werk zu gehen, und
mit Rührung las ich in seinen Zügen die Wahrheit seiner Klage.
Doch aber, setzte er mit Heiterkeit hinzu, hoffe er, es werde schon
noch die „gute Stunde", vielleicht auch die „gute Zeit" kommen.


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[0322] fern belletristischen Berühmtheiten meist literarische Scandale, Thea- tcrdircctionen und wenn es hoch kam Redaktionen zu behandeln. Ja eine unserer größten norddemschcn Celebritäten sing, als ich sie einst besuchte sogleich bei meinem Eintritte über Buchhändler, ihre Ho- iwrare und die Fonds über die sie zu verfügen haben, zu sprechen an, Ich sah bald, daß ich hier mit einen Dichter sprach, der trotz sei¬ ner langen Laufbahn nicht zum literarischen Kaufmann oder gar Handwerker herabgesunken war. Ja, erstaunet, ihr Dramatiker des Nordens, selbst von der Tantieme, die damals funkelnagelneu war, und euch und hundert Zeitungen in tiefster Seele beschäftigte, selbst von der Tantieme, sprach der dramatische Dichter Grillparzer nicht. Erst auf einem langen Umwege und auf Veranlassung eines jour¬ nalistischen Vorfalles, der damals in Wien viel von sich reden machte und einen Freund des Dichters betraf, kamen wir auf das litcransche Feld. Grillparzer sprach mit tiefster Entrüstung von der Herabwürdigung der öffentlichen Organe durch ihre Träger, und daß man in der Gesellschaft der Geister Bursche dulden müße, die man aus jeder andern honetten Gesellschaft werfen würde. Das wird wohl Manchen etwas aristokratisch erscheinen, aber, ich glaube, auch der größte literarische Republikaner muß von Zeit zu Zeit auf solche Gedanken kommen, wenn er sieht, wie von gewissen Leu¬ ten mit dem Geschmacke, mit dem gesunden Sinne des Publicums gewirthschaftet wird, zumal in Wien, wo diesen Verderben: und „literarischen Köchinnen" wie sie Grillparzer nannte, der obwalten¬ den Umstände wegen, nicht einmal der Krieg gemacht werden kann. Auf meine Frage ob das Trauerspiel „Hanibal," von welchem ich im Witthauerschen Album für die Pesther Ueberschwemmten ein herrliches Bruchstück, eine Unterredung des Carthagerö mit Scipio gelesen, vollendet sei, antwortete er mit der aufrichtigsten Naivität, daß von dem ganzen Stücke keine Sylbe mehr geschrieben sei, als dieses Fragment enthalte. Ja, ich glaube sogar: er gestand mir. es sei eigens geschrieben worden, um auch etwas zu dem wohlthä¬ tigen Unternehmen beisteuern zu können. Er klagte über Kränk¬ lichkeit, die ihm nicht erlaube an ein größeres Werk zu gehen, und mit Rührung las ich in seinen Zügen die Wahrheit seiner Klage. Doch aber, setzte er mit Heiterkeit hinzu, hoffe er, es werde schon noch die „gute Stunde", vielleicht auch die „gute Zeit" kommen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/322>, abgerufen am 01.09.2024.