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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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Gedichte, mit denen Grillparzer hie und da eine Zeitschrift oder
einen Almanach bedenkt.

Natürlich mußte bald der Wunsch in mir rege werden, Grill-
parzer persönlich kennen zu lernen. -- Es giebt Dichter und Schrift¬
steller, vor deren persönlicher Bekanntschaft ich mich hüte, weil mir
ein gewisser Jnstinct sagt, sie werde mich einer schönen Illusion be¬
rauben und mir die Freude an allen ihren Werken nehmen, die ich
nachher kennen lerne. Nicht so bei Grillparzer; bei ihm wie bei
Nicolaus Lenau hatte ich voraus die feste Ueberzeugung, daß ihre
Person ihre Dichtung nicht Lügen strafe. Zwar kann man Grill-
parzer nicht wie die meisten Wiener Schriftsteller an öffentlichen
Orten, wie z. B. in dem bekannten Neunerschen Kaffeehause sehen,
aber es ist nicht schwer sich bei ihm einführen zu lassen. Ein Freund
von mir, der auch ihm persönlich befreundet war, trug mir seine
Dienste an, und wir bestimmten einen Tag. Er kam heran, und wir
warm schon auf dem Wege; aber ich gestehe, mein Herz pochte.
Es erschien mir wie eine Anmaßung, gelinde gesagt, daß ich mich
an einen solchen Dichter drängte. Was konnte ich dem Herzen
voll Tiefen, dem Geiste mit weithin sehenden Blicken bieten? ich
der junge, erfahrungsarme Mensch, dessen Kinn wie dessen Geist erst
seine Männlichkeit zu zeigen anfing. Aber mein Freund tröstete
mich mit der Liebenswürdigkeit des Dichters und mit seiner Auf-
munterungs- und Anerkennungslust dem jungen Geschlechte gegen¬
über. Wir gingen über den Minoritenplatz in das Gebäude des
Hofarchivs, dessen Director Grillparzer ist, und wo er einen großen
Theil des Tages zubringt. Auf einer großen Tafel über einer
Thüre stand in großen Lettern: Archivdirector Franz v. Grillparzer.
So viel ich weiß, ist der Dichter ein Mann aus dem Volke und
nicht aus einem adeligen Hause und dankt dieses "von" wahr¬
scheinlich blos der Wiener Höflichkeit, die alle Welt adelt und das
unabligirte "von" machmal auch in den Kanzleistyl einfließen läßt.
Grillparzer arbeitet in einer kleiner, düstern Stube. Als wir ein¬
traten, legte er sogleich die Feder hin und kam uns mit der
größten Freundlichkeit entgegen, die meine Schüchternheit schnell
verschwinden machte. Bald war ein Gespräch angeknüpft, und wir
sprachen über hunderterlei reinmenschliche, nicht literarische Dinge;
ein Umstand, der mir um >o mehr gefiel, als ich gewöhnt war mit un-


Grenzbotc", 184", I. 4le

Gedichte, mit denen Grillparzer hie und da eine Zeitschrift oder
einen Almanach bedenkt.

Natürlich mußte bald der Wunsch in mir rege werden, Grill-
parzer persönlich kennen zu lernen. — Es giebt Dichter und Schrift¬
steller, vor deren persönlicher Bekanntschaft ich mich hüte, weil mir
ein gewisser Jnstinct sagt, sie werde mich einer schönen Illusion be¬
rauben und mir die Freude an allen ihren Werken nehmen, die ich
nachher kennen lerne. Nicht so bei Grillparzer; bei ihm wie bei
Nicolaus Lenau hatte ich voraus die feste Ueberzeugung, daß ihre
Person ihre Dichtung nicht Lügen strafe. Zwar kann man Grill-
parzer nicht wie die meisten Wiener Schriftsteller an öffentlichen
Orten, wie z. B. in dem bekannten Neunerschen Kaffeehause sehen,
aber es ist nicht schwer sich bei ihm einführen zu lassen. Ein Freund
von mir, der auch ihm persönlich befreundet war, trug mir seine
Dienste an, und wir bestimmten einen Tag. Er kam heran, und wir
warm schon auf dem Wege; aber ich gestehe, mein Herz pochte.
Es erschien mir wie eine Anmaßung, gelinde gesagt, daß ich mich
an einen solchen Dichter drängte. Was konnte ich dem Herzen
voll Tiefen, dem Geiste mit weithin sehenden Blicken bieten? ich
der junge, erfahrungsarme Mensch, dessen Kinn wie dessen Geist erst
seine Männlichkeit zu zeigen anfing. Aber mein Freund tröstete
mich mit der Liebenswürdigkeit des Dichters und mit seiner Auf-
munterungs- und Anerkennungslust dem jungen Geschlechte gegen¬
über. Wir gingen über den Minoritenplatz in das Gebäude des
Hofarchivs, dessen Director Grillparzer ist, und wo er einen großen
Theil des Tages zubringt. Auf einer großen Tafel über einer
Thüre stand in großen Lettern: Archivdirector Franz v. Grillparzer.
So viel ich weiß, ist der Dichter ein Mann aus dem Volke und
nicht aus einem adeligen Hause und dankt dieses „von" wahr¬
scheinlich blos der Wiener Höflichkeit, die alle Welt adelt und das
unabligirte „von" machmal auch in den Kanzleistyl einfließen läßt.
Grillparzer arbeitet in einer kleiner, düstern Stube. Als wir ein¬
traten, legte er sogleich die Feder hin und kam uns mit der
größten Freundlichkeit entgegen, die meine Schüchternheit schnell
verschwinden machte. Bald war ein Gespräch angeknüpft, und wir
sprachen über hunderterlei reinmenschliche, nicht literarische Dinge;
ein Umstand, der mir um >o mehr gefiel, als ich gewöhnt war mit un-


Grenzbotc», 184«, I. 4le
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[0321] Gedichte, mit denen Grillparzer hie und da eine Zeitschrift oder einen Almanach bedenkt. Natürlich mußte bald der Wunsch in mir rege werden, Grill- parzer persönlich kennen zu lernen. — Es giebt Dichter und Schrift¬ steller, vor deren persönlicher Bekanntschaft ich mich hüte, weil mir ein gewisser Jnstinct sagt, sie werde mich einer schönen Illusion be¬ rauben und mir die Freude an allen ihren Werken nehmen, die ich nachher kennen lerne. Nicht so bei Grillparzer; bei ihm wie bei Nicolaus Lenau hatte ich voraus die feste Ueberzeugung, daß ihre Person ihre Dichtung nicht Lügen strafe. Zwar kann man Grill- parzer nicht wie die meisten Wiener Schriftsteller an öffentlichen Orten, wie z. B. in dem bekannten Neunerschen Kaffeehause sehen, aber es ist nicht schwer sich bei ihm einführen zu lassen. Ein Freund von mir, der auch ihm persönlich befreundet war, trug mir seine Dienste an, und wir bestimmten einen Tag. Er kam heran, und wir warm schon auf dem Wege; aber ich gestehe, mein Herz pochte. Es erschien mir wie eine Anmaßung, gelinde gesagt, daß ich mich an einen solchen Dichter drängte. Was konnte ich dem Herzen voll Tiefen, dem Geiste mit weithin sehenden Blicken bieten? ich der junge, erfahrungsarme Mensch, dessen Kinn wie dessen Geist erst seine Männlichkeit zu zeigen anfing. Aber mein Freund tröstete mich mit der Liebenswürdigkeit des Dichters und mit seiner Auf- munterungs- und Anerkennungslust dem jungen Geschlechte gegen¬ über. Wir gingen über den Minoritenplatz in das Gebäude des Hofarchivs, dessen Director Grillparzer ist, und wo er einen großen Theil des Tages zubringt. Auf einer großen Tafel über einer Thüre stand in großen Lettern: Archivdirector Franz v. Grillparzer. So viel ich weiß, ist der Dichter ein Mann aus dem Volke und nicht aus einem adeligen Hause und dankt dieses „von" wahr¬ scheinlich blos der Wiener Höflichkeit, die alle Welt adelt und das unabligirte „von" machmal auch in den Kanzleistyl einfließen läßt. Grillparzer arbeitet in einer kleiner, düstern Stube. Als wir ein¬ traten, legte er sogleich die Feder hin und kam uns mit der größten Freundlichkeit entgegen, die meine Schüchternheit schnell verschwinden machte. Bald war ein Gespräch angeknüpft, und wir sprachen über hunderterlei reinmenschliche, nicht literarische Dinge; ein Umstand, der mir um >o mehr gefiel, als ich gewöhnt war mit un- Grenzbotc», 184«, I. 4le

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/321>, abgerufen am 01.09.2024.