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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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meine Bewunderung. Auch seine persönliche Erscheinung gefiel. Er
war damals schwach und zart Von Gestalt, eine sanfte Freundlich¬
keit milderte die lebhaften Blitze seines Geistes; und obwohl sein
Temperament kalt und unempfänglich schien, hatte er doch eine so
zauberische Anziehungskraft für sein junges Publicum, daß die Zög¬
linge des Pantheons für ihn schwärmten, wie die Soldaten für
ihren Bonoparte.

Cuvier war noch kein Jahr in Patis, als seine Memoiren und
seine Vorträge ihm bereits den Ruf eines großen Naturforschers
errungen hatten. Zugleich mit Daubenton und Lacepi-de wurde er
bei dem neugegründeten "Institut national" im zoologischen Fach
an die Spitze gestellt. Im Jahre 1799 wurde er, nach Dauben-
ton's Tode, Professor der Naturgeschichte im College de France
und endlich 1802 Professor im Jardin des Plantes.

Ehe wir von den unsterblichen anatomischen Leistungen spre¬
chen, durch welche Cuvier, indem er sie auf die fossilen Knochen
anwandte, eine ganz neue Wissenschaft, eine lebendige Geologie ge¬
schaffen und den Schlüssel gefunden hat zu den Geheimnissen der
Erdumwälzungen, müssen wir an die neue Methode erinnern, die
er in der Classification des Thierreichs einführte.

Bis Cuvier hatte man die Thierwelt mehr nach den äußern
Ähnlichkeiten ihrer Geschlechter, als nach einem tiefern Studium
ihres innern Baues eingetheilt. Linne' und Büffon hatten sich nur
wenig mit der innern Organisation der Thiere beschäftigt. Beson¬
ders herrschte in der sechsten Kategorie der Linnvschen Eintheilung
eine grenzenlose Verwirrung; denn nach den Vierfüßern, Vögeln,
Kriechthieren, Fischen und Jnsecten waren alle wirbellosen Thiere,
d. h. mehr als die Hälfte des Thierreichs, ohne weitere Unterschei¬
dung in die allgemeine Classe der "heißblütigen Thiere" zusam¬
mengeworfen worden. Cuvier zeigte gleich in seinem ersten Memoire
(1795) die außerordentliche Verschiedenheit zwischen den unter jener
Bezeichnung zusammengeworfenen Thieren; er unterschied erstens
Mollusken, die ein Herz, ein vollständiges Gefäßsystem und
Kiemen zum Athmen haben; Jnsecten, die statt des Herzens
ein Rückengefäß haben und durch Luftröhren athmen; endlich Zoo-
pH yten (Pflanzenthiere), die weder Herz, noch Gefäße, noch denk>
leche Athmungswerkzeuge besitzen. Dann unterschied er noch drei.


meine Bewunderung. Auch seine persönliche Erscheinung gefiel. Er
war damals schwach und zart Von Gestalt, eine sanfte Freundlich¬
keit milderte die lebhaften Blitze seines Geistes; und obwohl sein
Temperament kalt und unempfänglich schien, hatte er doch eine so
zauberische Anziehungskraft für sein junges Publicum, daß die Zög¬
linge des Pantheons für ihn schwärmten, wie die Soldaten für
ihren Bonoparte.

Cuvier war noch kein Jahr in Patis, als seine Memoiren und
seine Vorträge ihm bereits den Ruf eines großen Naturforschers
errungen hatten. Zugleich mit Daubenton und Lacepi-de wurde er
bei dem neugegründeten „Institut national" im zoologischen Fach
an die Spitze gestellt. Im Jahre 1799 wurde er, nach Dauben-
ton's Tode, Professor der Naturgeschichte im College de France
und endlich 1802 Professor im Jardin des Plantes.

Ehe wir von den unsterblichen anatomischen Leistungen spre¬
chen, durch welche Cuvier, indem er sie auf die fossilen Knochen
anwandte, eine ganz neue Wissenschaft, eine lebendige Geologie ge¬
schaffen und den Schlüssel gefunden hat zu den Geheimnissen der
Erdumwälzungen, müssen wir an die neue Methode erinnern, die
er in der Classification des Thierreichs einführte.

Bis Cuvier hatte man die Thierwelt mehr nach den äußern
Ähnlichkeiten ihrer Geschlechter, als nach einem tiefern Studium
ihres innern Baues eingetheilt. Linne' und Büffon hatten sich nur
wenig mit der innern Organisation der Thiere beschäftigt. Beson¬
ders herrschte in der sechsten Kategorie der Linnvschen Eintheilung
eine grenzenlose Verwirrung; denn nach den Vierfüßern, Vögeln,
Kriechthieren, Fischen und Jnsecten waren alle wirbellosen Thiere,
d. h. mehr als die Hälfte des Thierreichs, ohne weitere Unterschei¬
dung in die allgemeine Classe der „heißblütigen Thiere" zusam¬
mengeworfen worden. Cuvier zeigte gleich in seinem ersten Memoire
(1795) die außerordentliche Verschiedenheit zwischen den unter jener
Bezeichnung zusammengeworfenen Thieren; er unterschied erstens
Mollusken, die ein Herz, ein vollständiges Gefäßsystem und
Kiemen zum Athmen haben; Jnsecten, die statt des Herzens
ein Rückengefäß haben und durch Luftröhren athmen; endlich Zoo-
pH yten (Pflanzenthiere), die weder Herz, noch Gefäße, noch denk>
leche Athmungswerkzeuge besitzen. Dann unterschied er noch drei.


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[0303] meine Bewunderung. Auch seine persönliche Erscheinung gefiel. Er war damals schwach und zart Von Gestalt, eine sanfte Freundlich¬ keit milderte die lebhaften Blitze seines Geistes; und obwohl sein Temperament kalt und unempfänglich schien, hatte er doch eine so zauberische Anziehungskraft für sein junges Publicum, daß die Zög¬ linge des Pantheons für ihn schwärmten, wie die Soldaten für ihren Bonoparte. Cuvier war noch kein Jahr in Patis, als seine Memoiren und seine Vorträge ihm bereits den Ruf eines großen Naturforschers errungen hatten. Zugleich mit Daubenton und Lacepi-de wurde er bei dem neugegründeten „Institut national" im zoologischen Fach an die Spitze gestellt. Im Jahre 1799 wurde er, nach Dauben- ton's Tode, Professor der Naturgeschichte im College de France und endlich 1802 Professor im Jardin des Plantes. Ehe wir von den unsterblichen anatomischen Leistungen spre¬ chen, durch welche Cuvier, indem er sie auf die fossilen Knochen anwandte, eine ganz neue Wissenschaft, eine lebendige Geologie ge¬ schaffen und den Schlüssel gefunden hat zu den Geheimnissen der Erdumwälzungen, müssen wir an die neue Methode erinnern, die er in der Classification des Thierreichs einführte. Bis Cuvier hatte man die Thierwelt mehr nach den äußern Ähnlichkeiten ihrer Geschlechter, als nach einem tiefern Studium ihres innern Baues eingetheilt. Linne' und Büffon hatten sich nur wenig mit der innern Organisation der Thiere beschäftigt. Beson¬ ders herrschte in der sechsten Kategorie der Linnvschen Eintheilung eine grenzenlose Verwirrung; denn nach den Vierfüßern, Vögeln, Kriechthieren, Fischen und Jnsecten waren alle wirbellosen Thiere, d. h. mehr als die Hälfte des Thierreichs, ohne weitere Unterschei¬ dung in die allgemeine Classe der „heißblütigen Thiere" zusam¬ mengeworfen worden. Cuvier zeigte gleich in seinem ersten Memoire (1795) die außerordentliche Verschiedenheit zwischen den unter jener Bezeichnung zusammengeworfenen Thieren; er unterschied erstens Mollusken, die ein Herz, ein vollständiges Gefäßsystem und Kiemen zum Athmen haben; Jnsecten, die statt des Herzens ein Rückengefäß haben und durch Luftröhren athmen; endlich Zoo- pH yten (Pflanzenthiere), die weder Herz, noch Gefäße, noch denk> leche Athmungswerkzeuge besitzen. Dann unterschied er noch drei.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/303>, abgerufen am 01.09.2024.