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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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Tessier erkannte gleich ans der Klaue den Löwen, und Cuvier,
hoch erfreut, einen Menschen zu finden, der ihn verstand, schloß sich
enger an den Pariser Gelehrten an und zeigte ihm seine Hefte und
Zeichnungen, seine Sammlungen und anatomischen Präparate.
Tessier schrieb sogleich an seine Pariser Freunde und > College" von
der Akademie, Männer, deren Namen in der Wissenschaft zu den
ersten Europas gehörten, an Jussieu, Geoffroy, Lacvpede u. s. w.:
Ich habe eine Perle gefunden auf dem Misthaufen der Normandie.
Ihr wißt, ich habe Delambre der Akademie gegeben; das wird in
seiner Art auch ein Delambre werden. Der französische Gelehrte
sprach also schon von der Akademie, in dem Augenblick, wo sein
Schützling, ein junger Mensch von einigen und zwanzig Jahren,
weder Professor noch Hofrath, sondern einfach Hofmeister des Gra¬
fen d'H"5ricy und nebenbei ein Genie war. Dies ist ein liebens¬
würdiger Mangel an Pedanterie und Gclehrtenrangstolz, den man
den Gelehrten aller Fächer und den Professoren und Akademikern
aller Länder nicht genug empfehlen kann.

Kaum war die Schreckensregierung gestürzt, als, im Frühling
1795, Cuvier auf die Empfehlung Tessier'ö nach Paris berufen
und vor der Hand zum Mitglied der "Commission des Arts" so
wie zum Professor an der Centralschule des Pantheons ernannt
wurde. Als bald darauf Professor Mertrud den Lehrstuhl der ver¬
gleichenden Anatomie am naturhistorischen Museum erhielt, bewo¬
gen Jussieu, Geoffroy und Lacchede diesen alten, seiner Arbeit nicht
mehr gewachsenen Mann, den jungen Cuvier zu seinem Supplenten
zu machen. Einmal im Besitz dieser Stellen, dachte Cuvier an
seine Familie, und ließ seinen alten Vater und seinen Bruder Fried¬
rich, die einzigen Verwandten, die ihm geblieben waren, zu sich nach
Paris kommen. Damals fing er an, jene großartige, besonders in
osteologischer Hinsicht unerreichte Sammlung anzulegen, die allen
europäischen Gelehrten, die nach Paris kommen, unschätzbare Dienste
leistet; er suchte selbst in den Dachstuben des Museums nach und
ordnete die alten Skelette, die Büffon port als unnützen Trödel
hatte hinwerfen lassen. Er hatte dabei manche Chicane zu bekäm¬
pfen, aber es gelang ihm, die Wichtigkeit seiner Sammlung so nach¬
zuweisen, daß sich Niemand mehr ihrer Vergrößerung entgegenstellte.
Seine Vorlesungen am Pantheon und im Museum erregten allge-


Tessier erkannte gleich ans der Klaue den Löwen, und Cuvier,
hoch erfreut, einen Menschen zu finden, der ihn verstand, schloß sich
enger an den Pariser Gelehrten an und zeigte ihm seine Hefte und
Zeichnungen, seine Sammlungen und anatomischen Präparate.
Tessier schrieb sogleich an seine Pariser Freunde und > College» von
der Akademie, Männer, deren Namen in der Wissenschaft zu den
ersten Europas gehörten, an Jussieu, Geoffroy, Lacvpede u. s. w.:
Ich habe eine Perle gefunden auf dem Misthaufen der Normandie.
Ihr wißt, ich habe Delambre der Akademie gegeben; das wird in
seiner Art auch ein Delambre werden. Der französische Gelehrte
sprach also schon von der Akademie, in dem Augenblick, wo sein
Schützling, ein junger Mensch von einigen und zwanzig Jahren,
weder Professor noch Hofrath, sondern einfach Hofmeister des Gra¬
fen d'H«5ricy und nebenbei ein Genie war. Dies ist ein liebens¬
würdiger Mangel an Pedanterie und Gclehrtenrangstolz, den man
den Gelehrten aller Fächer und den Professoren und Akademikern
aller Länder nicht genug empfehlen kann.

Kaum war die Schreckensregierung gestürzt, als, im Frühling
1795, Cuvier auf die Empfehlung Tessier'ö nach Paris berufen
und vor der Hand zum Mitglied der „Commission des Arts" so
wie zum Professor an der Centralschule des Pantheons ernannt
wurde. Als bald darauf Professor Mertrud den Lehrstuhl der ver¬
gleichenden Anatomie am naturhistorischen Museum erhielt, bewo¬
gen Jussieu, Geoffroy und Lacchede diesen alten, seiner Arbeit nicht
mehr gewachsenen Mann, den jungen Cuvier zu seinem Supplenten
zu machen. Einmal im Besitz dieser Stellen, dachte Cuvier an
seine Familie, und ließ seinen alten Vater und seinen Bruder Fried¬
rich, die einzigen Verwandten, die ihm geblieben waren, zu sich nach
Paris kommen. Damals fing er an, jene großartige, besonders in
osteologischer Hinsicht unerreichte Sammlung anzulegen, die allen
europäischen Gelehrten, die nach Paris kommen, unschätzbare Dienste
leistet; er suchte selbst in den Dachstuben des Museums nach und
ordnete die alten Skelette, die Büffon port als unnützen Trödel
hatte hinwerfen lassen. Er hatte dabei manche Chicane zu bekäm¬
pfen, aber es gelang ihm, die Wichtigkeit seiner Sammlung so nach¬
zuweisen, daß sich Niemand mehr ihrer Vergrößerung entgegenstellte.
Seine Vorlesungen am Pantheon und im Museum erregten allge-


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[0302] Tessier erkannte gleich ans der Klaue den Löwen, und Cuvier, hoch erfreut, einen Menschen zu finden, der ihn verstand, schloß sich enger an den Pariser Gelehrten an und zeigte ihm seine Hefte und Zeichnungen, seine Sammlungen und anatomischen Präparate. Tessier schrieb sogleich an seine Pariser Freunde und > College» von der Akademie, Männer, deren Namen in der Wissenschaft zu den ersten Europas gehörten, an Jussieu, Geoffroy, Lacvpede u. s. w.: Ich habe eine Perle gefunden auf dem Misthaufen der Normandie. Ihr wißt, ich habe Delambre der Akademie gegeben; das wird in seiner Art auch ein Delambre werden. Der französische Gelehrte sprach also schon von der Akademie, in dem Augenblick, wo sein Schützling, ein junger Mensch von einigen und zwanzig Jahren, weder Professor noch Hofrath, sondern einfach Hofmeister des Gra¬ fen d'H«5ricy und nebenbei ein Genie war. Dies ist ein liebens¬ würdiger Mangel an Pedanterie und Gclehrtenrangstolz, den man den Gelehrten aller Fächer und den Professoren und Akademikern aller Länder nicht genug empfehlen kann. Kaum war die Schreckensregierung gestürzt, als, im Frühling 1795, Cuvier auf die Empfehlung Tessier'ö nach Paris berufen und vor der Hand zum Mitglied der „Commission des Arts" so wie zum Professor an der Centralschule des Pantheons ernannt wurde. Als bald darauf Professor Mertrud den Lehrstuhl der ver¬ gleichenden Anatomie am naturhistorischen Museum erhielt, bewo¬ gen Jussieu, Geoffroy und Lacchede diesen alten, seiner Arbeit nicht mehr gewachsenen Mann, den jungen Cuvier zu seinem Supplenten zu machen. Einmal im Besitz dieser Stellen, dachte Cuvier an seine Familie, und ließ seinen alten Vater und seinen Bruder Fried¬ rich, die einzigen Verwandten, die ihm geblieben waren, zu sich nach Paris kommen. Damals fing er an, jene großartige, besonders in osteologischer Hinsicht unerreichte Sammlung anzulegen, die allen europäischen Gelehrten, die nach Paris kommen, unschätzbare Dienste leistet; er suchte selbst in den Dachstuben des Museums nach und ordnete die alten Skelette, die Büffon port als unnützen Trödel hatte hinwerfen lassen. Er hatte dabei manche Chicane zu bekäm¬ pfen, aber es gelang ihm, die Wichtigkeit seiner Sammlung so nach¬ zuweisen, daß sich Niemand mehr ihrer Vergrößerung entgegenstellte. Seine Vorlesungen am Pantheon und im Museum erregten allge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/302>, abgerufen am 01.09.2024.