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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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Correspondenz mit beredten Worten hervorgehoben, welch ein strah¬
lendes Genie, welch ein reifer, männlicher Geist sich bereits in die¬
sen Jugendbriefen offenbare, geschrieben in einer Zeit, da Cuvier
noch mit allen Fasern und Wurzeln seines Wesens an Deutschland
hing, da ihm Frankreich noch eine wildfremde Welt war. Aber es
ist auch der Mühe werth, darauf hinzuweisen, wie schnell Frankreich
den gewonnenen Schatz zu würdigen wußte, mit welchem Eifer es
Cuviers Bestrebungen unterstützte und mit welchen Ehren es seine
unsterblichen Verdienste krönte. Wenn jener Briefwechsel den deut¬
schen Ursprung und die deutschen Anfänge des berühmten Forschers
in das schönste Licht stellt, so mögen die nachfolgenden Notizen
nach französischen Quellen, nach den Berichten von Flourens, Pas-
quier, Bourdon und Dupie, die glänzende Laufbahn schildern, welche
unsern Landsmann zu einem Franzosen machte. Doch wird es un¬
erläßlich sein, mit einem Rückblick auf seine Jugend und Abstam¬
mung anzufangen.

Die Franzosen legen kein geringes Gewicht darauf, daß Cu-
viers Familie ursprünglich aus dein Jura und zwar aus einem
Dorfe, welches noch heute den Namen Cuvier führt, gegen Ende
des 16. Jahrhunderts nach dem Großherzogthum Würtemberg
ausgewandert sei, um unter einem protestantischen Souverain zu
leben, da sie selbst hugenottisch war. Cuvier's Großvater war
Stadtschreiber in Mömpelgard und starb ohne Vermögen. Cuvier's
Vater diente dreißig Jahre in einem Schweizerregiment, das in
französischem Solde stand, und zog sich dann als Officier und Be¬
sitzer eines militärischen Verdienstordens in seinen Geburtsort zu¬
rück, wo er seine bescheidene Pension verzehrte und zugleich, als
Commandant der Platzartillcrie, ein eben so bescheidenes Gehalt
bezog. Cuvier selbst wurde im selben Jahre mit Napoleon (1769)
von einer geiht- und seelenvollen Mutter geboren, die seine erste
Lehrerin war. In seinem vierten Jahre konnte er schon lesen und
schrieb eine schone Hand; in seinem achten Jahre empfand der
frühreife Knabe eine Anwandlung erster Liebe (wie einst Dante);
im zehnten Jahre hatte er diese Kinderkrankheit des Herzens längst
vergesst" und kannte nur eine leidenschaftliche Liebe zur Naturge-



') Ändere behaupten, Cuviers Vorfahren hätten Küfer geheißen

Correspondenz mit beredten Worten hervorgehoben, welch ein strah¬
lendes Genie, welch ein reifer, männlicher Geist sich bereits in die¬
sen Jugendbriefen offenbare, geschrieben in einer Zeit, da Cuvier
noch mit allen Fasern und Wurzeln seines Wesens an Deutschland
hing, da ihm Frankreich noch eine wildfremde Welt war. Aber es
ist auch der Mühe werth, darauf hinzuweisen, wie schnell Frankreich
den gewonnenen Schatz zu würdigen wußte, mit welchem Eifer es
Cuviers Bestrebungen unterstützte und mit welchen Ehren es seine
unsterblichen Verdienste krönte. Wenn jener Briefwechsel den deut¬
schen Ursprung und die deutschen Anfänge des berühmten Forschers
in das schönste Licht stellt, so mögen die nachfolgenden Notizen
nach französischen Quellen, nach den Berichten von Flourens, Pas-
quier, Bourdon und Dupie, die glänzende Laufbahn schildern, welche
unsern Landsmann zu einem Franzosen machte. Doch wird es un¬
erläßlich sein, mit einem Rückblick auf seine Jugend und Abstam¬
mung anzufangen.

Die Franzosen legen kein geringes Gewicht darauf, daß Cu-
viers Familie ursprünglich aus dein Jura und zwar aus einem
Dorfe, welches noch heute den Namen Cuvier führt, gegen Ende
des 16. Jahrhunderts nach dem Großherzogthum Würtemberg
ausgewandert sei, um unter einem protestantischen Souverain zu
leben, da sie selbst hugenottisch war. Cuvier's Großvater war
Stadtschreiber in Mömpelgard und starb ohne Vermögen. Cuvier's
Vater diente dreißig Jahre in einem Schweizerregiment, das in
französischem Solde stand, und zog sich dann als Officier und Be¬
sitzer eines militärischen Verdienstordens in seinen Geburtsort zu¬
rück, wo er seine bescheidene Pension verzehrte und zugleich, als
Commandant der Platzartillcrie, ein eben so bescheidenes Gehalt
bezog. Cuvier selbst wurde im selben Jahre mit Napoleon (1769)
von einer geiht- und seelenvollen Mutter geboren, die seine erste
Lehrerin war. In seinem vierten Jahre konnte er schon lesen und
schrieb eine schone Hand; in seinem achten Jahre empfand der
frühreife Knabe eine Anwandlung erster Liebe (wie einst Dante);
im zehnten Jahre hatte er diese Kinderkrankheit des Herzens längst
vergesst» und kannte nur eine leidenschaftliche Liebe zur Naturge-



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[0298] Correspondenz mit beredten Worten hervorgehoben, welch ein strah¬ lendes Genie, welch ein reifer, männlicher Geist sich bereits in die¬ sen Jugendbriefen offenbare, geschrieben in einer Zeit, da Cuvier noch mit allen Fasern und Wurzeln seines Wesens an Deutschland hing, da ihm Frankreich noch eine wildfremde Welt war. Aber es ist auch der Mühe werth, darauf hinzuweisen, wie schnell Frankreich den gewonnenen Schatz zu würdigen wußte, mit welchem Eifer es Cuviers Bestrebungen unterstützte und mit welchen Ehren es seine unsterblichen Verdienste krönte. Wenn jener Briefwechsel den deut¬ schen Ursprung und die deutschen Anfänge des berühmten Forschers in das schönste Licht stellt, so mögen die nachfolgenden Notizen nach französischen Quellen, nach den Berichten von Flourens, Pas- quier, Bourdon und Dupie, die glänzende Laufbahn schildern, welche unsern Landsmann zu einem Franzosen machte. Doch wird es un¬ erläßlich sein, mit einem Rückblick auf seine Jugend und Abstam¬ mung anzufangen. Die Franzosen legen kein geringes Gewicht darauf, daß Cu- viers Familie ursprünglich aus dein Jura und zwar aus einem Dorfe, welches noch heute den Namen Cuvier führt, gegen Ende des 16. Jahrhunderts nach dem Großherzogthum Würtemberg ausgewandert sei, um unter einem protestantischen Souverain zu leben, da sie selbst hugenottisch war. Cuvier's Großvater war Stadtschreiber in Mömpelgard und starb ohne Vermögen. Cuvier's Vater diente dreißig Jahre in einem Schweizerregiment, das in französischem Solde stand, und zog sich dann als Officier und Be¬ sitzer eines militärischen Verdienstordens in seinen Geburtsort zu¬ rück, wo er seine bescheidene Pension verzehrte und zugleich, als Commandant der Platzartillcrie, ein eben so bescheidenes Gehalt bezog. Cuvier selbst wurde im selben Jahre mit Napoleon (1769) von einer geiht- und seelenvollen Mutter geboren, die seine erste Lehrerin war. In seinem vierten Jahre konnte er schon lesen und schrieb eine schone Hand; in seinem achten Jahre empfand der frühreife Knabe eine Anwandlung erster Liebe (wie einst Dante); im zehnten Jahre hatte er diese Kinderkrankheit des Herzens längst vergesst» und kannte nur eine leidenschaftliche Liebe zur Naturge- ') Ändere behaupten, Cuviers Vorfahren hätten Küfer geheißen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/298>, abgerufen am 01.09.2024.