Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.den Wagen von Jaggernaut genagelt -- dessen Räder, von blind¬ Es muß tragisch sein, von einem solchen Posten aus die Län¬ den Wagen von Jaggernaut genagelt — dessen Räder, von blind¬ Es muß tragisch sein, von einem solchen Posten aus die Län¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0028" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/181838"/> <p xml:id="ID_46" prev="#ID_45"> den Wagen von Jaggernaut genagelt — dessen Räder, von blind¬<lb/> wüthenden Sklaven gezogen, die Menschheit zermalmen — vor<lb/> Grauen zum Götzenbild versteinert. Der Czar wäre wie ein Mei¬<lb/> ster, den sein Sklave beherrscht durch die blendende und zwingende<lb/> Gewalt der Dienste, die er leistet. Nußland erschiene wie ein ko¬<lb/> lossaler Goten, der, einmal in Bewegung gesetzt, immer neue Ar¬<lb/> beit vom Herrn heischt, um seine dämonische Kraft nicht gegen ihn<lb/> zu wenden, der ihm die Gelüste und die Träume aus den Augen<lb/> liest und schadenfroh zur Spottgeburt verwirklicht; der die weise¬<lb/> sten Plane und die menschlichsten Befehle des Herrn in seiner<lb/> Weise ausführt. Der Herrscher ahnt und erkennt, durch welche<lb/> grauenvollen Wege, durch welche Blut- und Thränenströme, der<lb/> Dämon seinen Lauf mit ihm nimmt, allein er hat keine andern<lb/> Diener und Helfer; so verzichtet er denn allmälig auf Recht und<lb/> Menschlichkeit, verhärtet sein Herz , verstopft sein Ohr, und wendet<lb/> das Auge unverrückt auf das Ziel, welches die Ehrsucht der Ah¬<lb/> nen, die Tradition des Hauses, der blinde Glaube und der wilde<lb/> Jnstinct der Russen ihm als heilige Bestimmung aufgestellt.</p><lb/> <p xml:id="ID_47" next="#ID_48"> Es muß tragisch sein, von einem solchen Posten aus die Län¬<lb/> der einer mildern Sitte zu überschauen, die Gefühle und Begriffe<lb/> einer sittlichem Welt zu verstehen. Trauervvlles Geschick, ein Mann<lb/> voll Hohheit und Seelengröße, und dabei Autokrat zu sein; der<lb/> glänzendste Stern in der russischen Nacht und sie doch nicht erhel¬<lb/> len zu können. Keiner von den Czaren seit Peter, an dem dieser<lb/> Zwiespalt nicht rächend ausgebrochen wäre. Es sind lauter große,<lb/> charakterkühne Gestalten, wie geschaffen für den Griffel eines Sha¬<lb/> kespeare; geborene tragische Helden, denen weder das Zeichen der<lb/> Schuld, noch der Nemesis fehlt: die unweibliche Katharina, der<lb/> stolze, bis zum Wahnsinn trotzige Paul und der schwermüthige Ale-<lb/> rander. Es giebt eine russische Sage, daß kein Czar über eine<lb/> zugemessene Reihe von Jahren ungestraft auf seinem hohen Throne<lb/> sitzen könne, dann fasse ihn der Schwindel der Allmacht, und in<lb/> seltsamer Verblendung sei er getrieben zu den gefährlichsten Ertre-<lb/> men. Auch diese Tradition scheint Nicolaus Lügen zu strafen. Vor<lb/> einem Jahre munkelten deutsche Blätter vou der bösen Stunde, die<lb/> den Herrscher an der Newa oft unruhig durch die Straßen treibe.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0028]
den Wagen von Jaggernaut genagelt — dessen Räder, von blind¬
wüthenden Sklaven gezogen, die Menschheit zermalmen — vor
Grauen zum Götzenbild versteinert. Der Czar wäre wie ein Mei¬
ster, den sein Sklave beherrscht durch die blendende und zwingende
Gewalt der Dienste, die er leistet. Nußland erschiene wie ein ko¬
lossaler Goten, der, einmal in Bewegung gesetzt, immer neue Ar¬
beit vom Herrn heischt, um seine dämonische Kraft nicht gegen ihn
zu wenden, der ihm die Gelüste und die Träume aus den Augen
liest und schadenfroh zur Spottgeburt verwirklicht; der die weise¬
sten Plane und die menschlichsten Befehle des Herrn in seiner
Weise ausführt. Der Herrscher ahnt und erkennt, durch welche
grauenvollen Wege, durch welche Blut- und Thränenströme, der
Dämon seinen Lauf mit ihm nimmt, allein er hat keine andern
Diener und Helfer; so verzichtet er denn allmälig auf Recht und
Menschlichkeit, verhärtet sein Herz , verstopft sein Ohr, und wendet
das Auge unverrückt auf das Ziel, welches die Ehrsucht der Ah¬
nen, die Tradition des Hauses, der blinde Glaube und der wilde
Jnstinct der Russen ihm als heilige Bestimmung aufgestellt.
Es muß tragisch sein, von einem solchen Posten aus die Län¬
der einer mildern Sitte zu überschauen, die Gefühle und Begriffe
einer sittlichem Welt zu verstehen. Trauervvlles Geschick, ein Mann
voll Hohheit und Seelengröße, und dabei Autokrat zu sein; der
glänzendste Stern in der russischen Nacht und sie doch nicht erhel¬
len zu können. Keiner von den Czaren seit Peter, an dem dieser
Zwiespalt nicht rächend ausgebrochen wäre. Es sind lauter große,
charakterkühne Gestalten, wie geschaffen für den Griffel eines Sha¬
kespeare; geborene tragische Helden, denen weder das Zeichen der
Schuld, noch der Nemesis fehlt: die unweibliche Katharina, der
stolze, bis zum Wahnsinn trotzige Paul und der schwermüthige Ale-
rander. Es giebt eine russische Sage, daß kein Czar über eine
zugemessene Reihe von Jahren ungestraft auf seinem hohen Throne
sitzen könne, dann fasse ihn der Schwindel der Allmacht, und in
seltsamer Verblendung sei er getrieben zu den gefährlichsten Ertre-
men. Auch diese Tradition scheint Nicolaus Lügen zu strafen. Vor
einem Jahre munkelten deutsche Blätter vou der bösen Stunde, die
den Herrscher an der Newa oft unruhig durch die Straßen treibe.
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