Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.werben hat, wer könnte das i" wenig Worten schildern! Sogar werben hat, wer könnte das i» wenig Worten schildern! Sogar <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0026" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/181836"/> <p xml:id="ID_43" prev="#ID_42" next="#ID_44"> werben hat, wer könnte das i» wenig Worten schildern! Sogar<lb/> die armen Juden scheinen nicht zu gering und ohnmächtig für die<lb/> Proselitenjagd des Petersburger Cabinets, denn jetzt sieht man erst<lb/> den letzten Grund gewisser Maßregeln, deren Härte seit einigen<lb/> Jahren in ganz Europa Aussehen machte. Als Nußland die Juden<lb/> von der Grenze ins Innere trieb, nannte man dies eine Vorkehrung<lb/> gegen den Schmuggel. Als später eine schwere Steuer auf ihre<lb/> Nationaltracht gelegt, ja als der großen Masse das letzte Erwerbs¬<lb/> mittel, die Erlaubniß, Schenken zu halten, genommen wurde, sagte<lb/> man: Nicolaus will die Juden civilisiren und schickt sie allerdings<lb/> in eine harte Schule. Welche Civilisationstendenz liegt aber im<lb/> neuesten Ukas, der mit tückischer Casuistik in ihre harmlosen religi¬<lb/> ösen Gebräuche eingreift? Die orthodoxen Juden essen nur Fleisch<lb/> von Thieren, die nach einem gewissen, antithierquälerischcn, vom<lb/> Talmud vorgeschriebenen Ritus geschlachtet sind, Und dieses Fleisch<lb/> heißt: koscher. Ueber jedes getödtete Vieh wird eine Art frommer<lb/> Todtenschau gehalten. Findet sich, daß beim Schlachten ein reli¬<lb/> giöser Formfehler stattfand, daß z. B. im Schlachtmesser eine mi¬<lb/> kroskopisch kleine Scharte war, so daß der Scrupulöse annehmen<lb/> kann, das Thier habe einen Augenblick unnöthigen Schmerz gelit¬<lb/> ten; war die Wunde zu tief oder zu schmal, oder hat das Messer<lb/> zweimal angesetzt u. s. w., dann ist das Fleisch: treiffe und darf<lb/> vom orthodoxen Juden nicht genossen werden; in solchen Fällen<lb/> wird daher in allen Ländern an christliche Fleischer verkauft. Ueber<lb/> diese Ceremonien kann man lächeln, aber die russische Arglist lä¬<lb/> chelt und argumentire: Jhr eßt das „treiffe" Fleisch nicht, also hal¬<lb/> tet ihr es für ungesund (!) also dürft ihr es auch nicht an<lb/> Chisten verkaufen, sondern müßt es ein graben. Für das „ko¬<lb/> schere" Fleisch aber, das ihr eßt, zahlt ihr an den Staat, weil<lb/> er euch nicht am Essen hindert, einundzwanzig Silberrubel per<lb/> Stück. Diese asiatische Logik will demnach die Juden durch die<lb/> Hungerkur zur Aufklärung und zum Uebertritt in die von Aeußer-<lb/> lichkeiten und Formalwesen vollkommen freie Vernunftreligion der<lb/> russisch-griechischen Kirche bringen. Das Judenthum, bekannt, we¬<lb/> gen seiner zähen und hartnäckigen Glaubenstreue, muß auf raffi-<lb/> nirte Weise bekämpft werden; aber eben wegen jener Standhaftig-<lb/> keit,, welche die Flammen und Schwerter des Mittelalters über-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0026]
werben hat, wer könnte das i» wenig Worten schildern! Sogar
die armen Juden scheinen nicht zu gering und ohnmächtig für die
Proselitenjagd des Petersburger Cabinets, denn jetzt sieht man erst
den letzten Grund gewisser Maßregeln, deren Härte seit einigen
Jahren in ganz Europa Aussehen machte. Als Nußland die Juden
von der Grenze ins Innere trieb, nannte man dies eine Vorkehrung
gegen den Schmuggel. Als später eine schwere Steuer auf ihre
Nationaltracht gelegt, ja als der großen Masse das letzte Erwerbs¬
mittel, die Erlaubniß, Schenken zu halten, genommen wurde, sagte
man: Nicolaus will die Juden civilisiren und schickt sie allerdings
in eine harte Schule. Welche Civilisationstendenz liegt aber im
neuesten Ukas, der mit tückischer Casuistik in ihre harmlosen religi¬
ösen Gebräuche eingreift? Die orthodoxen Juden essen nur Fleisch
von Thieren, die nach einem gewissen, antithierquälerischcn, vom
Talmud vorgeschriebenen Ritus geschlachtet sind, Und dieses Fleisch
heißt: koscher. Ueber jedes getödtete Vieh wird eine Art frommer
Todtenschau gehalten. Findet sich, daß beim Schlachten ein reli¬
giöser Formfehler stattfand, daß z. B. im Schlachtmesser eine mi¬
kroskopisch kleine Scharte war, so daß der Scrupulöse annehmen
kann, das Thier habe einen Augenblick unnöthigen Schmerz gelit¬
ten; war die Wunde zu tief oder zu schmal, oder hat das Messer
zweimal angesetzt u. s. w., dann ist das Fleisch: treiffe und darf
vom orthodoxen Juden nicht genossen werden; in solchen Fällen
wird daher in allen Ländern an christliche Fleischer verkauft. Ueber
diese Ceremonien kann man lächeln, aber die russische Arglist lä¬
chelt und argumentire: Jhr eßt das „treiffe" Fleisch nicht, also hal¬
tet ihr es für ungesund (!) also dürft ihr es auch nicht an
Chisten verkaufen, sondern müßt es ein graben. Für das „ko¬
schere" Fleisch aber, das ihr eßt, zahlt ihr an den Staat, weil
er euch nicht am Essen hindert, einundzwanzig Silberrubel per
Stück. Diese asiatische Logik will demnach die Juden durch die
Hungerkur zur Aufklärung und zum Uebertritt in die von Aeußer-
lichkeiten und Formalwesen vollkommen freie Vernunftreligion der
russisch-griechischen Kirche bringen. Das Judenthum, bekannt, we¬
gen seiner zähen und hartnäckigen Glaubenstreue, muß auf raffi-
nirte Weise bekämpft werden; aber eben wegen jener Standhaftig-
keit,, welche die Flammen und Schwerter des Mittelalters über-
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