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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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deutschen Mystifikationen sind unwillkürlich prophetisch; wenn das so
fortgeht, wird am Ende auch die preußische Constitutionssage zur Wahrheit.

-- Der Freundesenthusiasmus, welcher sich in unserer heutigen Li¬
teratur nur zu oft eine breite Bahn bricht, spricht auch sans Adolph
Stahr's neuester Brochüre, betitelt: "die moderne Tragödie und
Julius Mosen's Trauerspiel Don Johann von Oesterreich." Dage¬
gen muß die dramaturgische Exposition des Stückes mit vollstem Lob
anerkannt werden, wenn man gleich nicht mit dem Urtheil überein¬
stimmen kann, daß Julius Mosen im Johann von Oestreich den
Kranz der modernen Tragödie vollständig Errungen habe. Ueber den
Werth des Stückes hat sich jedenfalls I. Mendelssohn kritisch
richtiger in "Eine Ecke Deutschlands; Reisesilhouetten, Charaktere und
Zustande," wenngleich nur beiläufig ausgesprochen. Ueberhaupt ist
diese Brochüre gerad in Hinsicht auf Oldenburger Theater- und Lite¬
raturzustände wohl am bemerkenswerthesten, während ihr übriger In¬
halt bloß eine höfliche Visitenkarte für Oldenburg, ein Zeichen dank¬
-- A --> baren Andenkens für freundliche Aufnahme zu sein scheint.




Zur Erklärung. In Bezug auf den Artikel "Ständi¬
sches in Böhmen" (Grenzboten Ur. 3.) ist uns aus Prag eine
Reclamation zugekommen, "zum Privatgebrauch" (!) wie der Herr
Einsender sich ausdrückt. Mit Privatberichtigungen und Privatpole-
mik ist jedoch keiner politischen Sache gedient. Wir wollen nicht in
Abrede stellen, daß der erwähnte Artikel an Einseitigkeit leidet und die
Bestrebungen der Herren Stände Böhmens noch eine ganz andere Be¬
leuchtung zulassen. Allein warum gibt sich keiner der betheiligten Herrn
die Mühe, der öffentlichen Meinung in Deutschland über ihre Tenden¬
zen und den wahren Gehalt ihrer Bestrebungen Aufschlüsse zu ver¬
schaffen? Seit mehreren Wochen läuft ein vages Gerücht durch die
deutschen Journale: die böhmischen Stände haben eine außerordent¬
liche Versammlung gehalten, bei der es sehr stürmisch zugegangen sei.
Nun kömmt uns ein Bericht zu, der einiges Licht auf diese Sache
wirft. Sollten wir ihn etwa zurückweisen ? Ist die Beleuchtung par-
theiisch, einseitig, leidenschaftlich, um so mehr ist es Pflicht, ihn öffent¬
lich zu widerlegen. Unsre Spalten stehen bereitwillig jeder Widerle¬
gung offen; ausführliche und freimüthige Berichte über die ständischen
Bestrebungen Böhmens werden uns stets willkommen sein. Die ge¬
nannten Herrn Stände besitzen in ihrer Mitte manche publicistisch
erprobte Feder, und unsere Discretion hat sich hoffentlich seit dem
fünfjährigen Bestehen unseres Blattes hinlänglich bewährt.


Die Redaction der Grenzboten.


Verlag von Fr.Ludw. Herbig. -- Redacteur I. Knrandcl.
Druck von Friedrich Andrä.

deutschen Mystifikationen sind unwillkürlich prophetisch; wenn das so
fortgeht, wird am Ende auch die preußische Constitutionssage zur Wahrheit.

— Der Freundesenthusiasmus, welcher sich in unserer heutigen Li¬
teratur nur zu oft eine breite Bahn bricht, spricht auch sans Adolph
Stahr's neuester Brochüre, betitelt: „die moderne Tragödie und
Julius Mosen's Trauerspiel Don Johann von Oesterreich." Dage¬
gen muß die dramaturgische Exposition des Stückes mit vollstem Lob
anerkannt werden, wenn man gleich nicht mit dem Urtheil überein¬
stimmen kann, daß Julius Mosen im Johann von Oestreich den
Kranz der modernen Tragödie vollständig Errungen habe. Ueber den
Werth des Stückes hat sich jedenfalls I. Mendelssohn kritisch
richtiger in „Eine Ecke Deutschlands; Reisesilhouetten, Charaktere und
Zustande," wenngleich nur beiläufig ausgesprochen. Ueberhaupt ist
diese Brochüre gerad in Hinsicht auf Oldenburger Theater- und Lite¬
raturzustände wohl am bemerkenswerthesten, während ihr übriger In¬
halt bloß eine höfliche Visitenkarte für Oldenburg, ein Zeichen dank¬
— A —> baren Andenkens für freundliche Aufnahme zu sein scheint.




Zur Erklärung. In Bezug auf den Artikel „Ständi¬
sches in Böhmen" (Grenzboten Ur. 3.) ist uns aus Prag eine
Reclamation zugekommen, „zum Privatgebrauch" (!) wie der Herr
Einsender sich ausdrückt. Mit Privatberichtigungen und Privatpole-
mik ist jedoch keiner politischen Sache gedient. Wir wollen nicht in
Abrede stellen, daß der erwähnte Artikel an Einseitigkeit leidet und die
Bestrebungen der Herren Stände Böhmens noch eine ganz andere Be¬
leuchtung zulassen. Allein warum gibt sich keiner der betheiligten Herrn
die Mühe, der öffentlichen Meinung in Deutschland über ihre Tenden¬
zen und den wahren Gehalt ihrer Bestrebungen Aufschlüsse zu ver¬
schaffen? Seit mehreren Wochen läuft ein vages Gerücht durch die
deutschen Journale: die böhmischen Stände haben eine außerordent¬
liche Versammlung gehalten, bei der es sehr stürmisch zugegangen sei.
Nun kömmt uns ein Bericht zu, der einiges Licht auf diese Sache
wirft. Sollten wir ihn etwa zurückweisen ? Ist die Beleuchtung par-
theiisch, einseitig, leidenschaftlich, um so mehr ist es Pflicht, ihn öffent¬
lich zu widerlegen. Unsre Spalten stehen bereitwillig jeder Widerle¬
gung offen; ausführliche und freimüthige Berichte über die ständischen
Bestrebungen Böhmens werden uns stets willkommen sein. Die ge¬
nannten Herrn Stände besitzen in ihrer Mitte manche publicistisch
erprobte Feder, und unsere Discretion hat sich hoffentlich seit dem
fünfjährigen Bestehen unseres Blattes hinlänglich bewährt.


Die Redaction der Grenzboten.


Verlag von Fr.Ludw. Herbig. — Redacteur I. Knrandcl.
Druck von Friedrich Andrä.
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[0258] deutschen Mystifikationen sind unwillkürlich prophetisch; wenn das so fortgeht, wird am Ende auch die preußische Constitutionssage zur Wahrheit. — Der Freundesenthusiasmus, welcher sich in unserer heutigen Li¬ teratur nur zu oft eine breite Bahn bricht, spricht auch sans Adolph Stahr's neuester Brochüre, betitelt: „die moderne Tragödie und Julius Mosen's Trauerspiel Don Johann von Oesterreich." Dage¬ gen muß die dramaturgische Exposition des Stückes mit vollstem Lob anerkannt werden, wenn man gleich nicht mit dem Urtheil überein¬ stimmen kann, daß Julius Mosen im Johann von Oestreich den Kranz der modernen Tragödie vollständig Errungen habe. Ueber den Werth des Stückes hat sich jedenfalls I. Mendelssohn kritisch richtiger in „Eine Ecke Deutschlands; Reisesilhouetten, Charaktere und Zustande," wenngleich nur beiläufig ausgesprochen. Ueberhaupt ist diese Brochüre gerad in Hinsicht auf Oldenburger Theater- und Lite¬ raturzustände wohl am bemerkenswerthesten, während ihr übriger In¬ halt bloß eine höfliche Visitenkarte für Oldenburg, ein Zeichen dank¬ — A —> baren Andenkens für freundliche Aufnahme zu sein scheint. Zur Erklärung. In Bezug auf den Artikel „Ständi¬ sches in Böhmen" (Grenzboten Ur. 3.) ist uns aus Prag eine Reclamation zugekommen, „zum Privatgebrauch" (!) wie der Herr Einsender sich ausdrückt. Mit Privatberichtigungen und Privatpole- mik ist jedoch keiner politischen Sache gedient. Wir wollen nicht in Abrede stellen, daß der erwähnte Artikel an Einseitigkeit leidet und die Bestrebungen der Herren Stände Böhmens noch eine ganz andere Be¬ leuchtung zulassen. Allein warum gibt sich keiner der betheiligten Herrn die Mühe, der öffentlichen Meinung in Deutschland über ihre Tenden¬ zen und den wahren Gehalt ihrer Bestrebungen Aufschlüsse zu ver¬ schaffen? Seit mehreren Wochen läuft ein vages Gerücht durch die deutschen Journale: die böhmischen Stände haben eine außerordent¬ liche Versammlung gehalten, bei der es sehr stürmisch zugegangen sei. Nun kömmt uns ein Bericht zu, der einiges Licht auf diese Sache wirft. Sollten wir ihn etwa zurückweisen ? Ist die Beleuchtung par- theiisch, einseitig, leidenschaftlich, um so mehr ist es Pflicht, ihn öffent¬ lich zu widerlegen. Unsre Spalten stehen bereitwillig jeder Widerle¬ gung offen; ausführliche und freimüthige Berichte über die ständischen Bestrebungen Böhmens werden uns stets willkommen sein. Die ge¬ nannten Herrn Stände besitzen in ihrer Mitte manche publicistisch erprobte Feder, und unsere Discretion hat sich hoffentlich seit dem fünfjährigen Bestehen unseres Blattes hinlänglich bewährt. Die Redaction der Grenzboten. Verlag von Fr.Ludw. Herbig. — Redacteur I. Knrandcl. Druck von Friedrich Andrä.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/258>, abgerufen am 29.07.2024.