Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

größtes und sein größter Verdienst. Aber gehet nach Lübeck, Frankfurt
oder den rcichsfreien Städten welche die Schweiz bilden, und fraget
nach geistigem, nach politischem Fortschritt. Bei uns hat die Noth
beten gelehrt, und auch das können wir noch nicht recht. Aber wo
der altdeutsche Bürger "ausi frei geblieben ist, da blieb er auch der
zäheste Feind jeder Verbesserung, besonders, wenn sie nicht seinen
Beutel betraf.

-- Eine deutsche Zeitung schrieb vor einigen Jahren: "Wir
wissen noch nicht, ob die Princessin Olga oder Helena unsere allge¬
liebte Landesmutter wird." Diesmal ist endlich so Viel entschieden,
daß Princessin Olga weder in Böhmen als zweite Libussa thronen,
noch in Ungar" die Palatium des Slaventhums darstellen wird. In
allen österreichischen Herzen wird l'v Ovum geläutet. Einige Jour¬
nale bestätigen die von uns schon früher mitgetheilte Nachricht, daß
die Kaiserstochter einen würtembergischen Prinzen heirathen soll. Rus¬
sische Einflüsse können hoffentlich in constitutionellen Staaten nicht so
bedenklich sein!

-- Shakespeare ist in ganz Preußen verboten worden... Das
ist, so zu verstehen. Man wirft den jungen Dramatikern, gleichsam
zur Erklärung der tausend Schwierigkeiten, die jede Bühne ihren
Stücken macht, gerne vor, sie seien keine Shakespeares. Aber wenn
die deutsche Poesie so glücklich wäre, einen Genius wie Shakespeare
zu besitzen, was sollte aus seinen historischen Dramen, was sollte über¬
haupt aus ihm werden, da man fast nirgendswo einen historischen
deutschen König oder seinen Vetter oder seinen Urgroßoheim auf die
Bühne bringen darf? Ist doch selbst Laube's "Gottsched und Gellert"
verboten worden wegen eines Prinzen Heinrich aus dem vori¬
gen Jahrhundert. Ueber das Thema ließe sich sehr viel reden. Ge¬
nug, ein preußischer Shakespeare dürfte vor Allem nicht national sein.
Und das ist so deutsch, daß sich daraus allein erklärt, warum Deutsch¬
land nicht nur keinen Shakespeare hat, sondern auch nicht haben kann
oder zu haben verdient. Unsere Zustände und Thaten sind zu misera¬
bel, um eines großen Dichters werth zu sein. Wenn man schon mit
den Brettern, welche die Welt blos bedeuten, so großsinnig verfährt,
so läßt sich schließen, wie groß man erst auf den Brettern der wirk¬
lichen Welt einher- und auftritt.

-- Der spanische General Prim wurde vor einigen Jahren von
einem Leipziger Scherzblatt für eine" Deutschen und ehemaligen
preußischen Corporal Preuß ausgegeben; die Mystification glückte und
lief durch alle Zeitungen von Augsburg bis Hamburg; eben so wie
General Amettler mit dem Journalisten Rudolph Mettler identificirt
wurde. Nun zeigt es sich, aus einer Bekanntmachung des Herrn
von Suckow, daß Prim, Graf von Neuß, der Sohn einer Deutschen
ist. Es ist also doch etwas Wahres an dem Scherz gewesen. Unsere


größtes und sein größter Verdienst. Aber gehet nach Lübeck, Frankfurt
oder den rcichsfreien Städten welche die Schweiz bilden, und fraget
nach geistigem, nach politischem Fortschritt. Bei uns hat die Noth
beten gelehrt, und auch das können wir noch nicht recht. Aber wo
der altdeutsche Bürger «ausi frei geblieben ist, da blieb er auch der
zäheste Feind jeder Verbesserung, besonders, wenn sie nicht seinen
Beutel betraf.

— Eine deutsche Zeitung schrieb vor einigen Jahren: „Wir
wissen noch nicht, ob die Princessin Olga oder Helena unsere allge¬
liebte Landesmutter wird." Diesmal ist endlich so Viel entschieden,
daß Princessin Olga weder in Böhmen als zweite Libussa thronen,
noch in Ungar» die Palatium des Slaventhums darstellen wird. In
allen österreichischen Herzen wird l'v Ovum geläutet. Einige Jour¬
nale bestätigen die von uns schon früher mitgetheilte Nachricht, daß
die Kaiserstochter einen würtembergischen Prinzen heirathen soll. Rus¬
sische Einflüsse können hoffentlich in constitutionellen Staaten nicht so
bedenklich sein!

— Shakespeare ist in ganz Preußen verboten worden... Das
ist, so zu verstehen. Man wirft den jungen Dramatikern, gleichsam
zur Erklärung der tausend Schwierigkeiten, die jede Bühne ihren
Stücken macht, gerne vor, sie seien keine Shakespeares. Aber wenn
die deutsche Poesie so glücklich wäre, einen Genius wie Shakespeare
zu besitzen, was sollte aus seinen historischen Dramen, was sollte über¬
haupt aus ihm werden, da man fast nirgendswo einen historischen
deutschen König oder seinen Vetter oder seinen Urgroßoheim auf die
Bühne bringen darf? Ist doch selbst Laube's „Gottsched und Gellert"
verboten worden wegen eines Prinzen Heinrich aus dem vori¬
gen Jahrhundert. Ueber das Thema ließe sich sehr viel reden. Ge¬
nug, ein preußischer Shakespeare dürfte vor Allem nicht national sein.
Und das ist so deutsch, daß sich daraus allein erklärt, warum Deutsch¬
land nicht nur keinen Shakespeare hat, sondern auch nicht haben kann
oder zu haben verdient. Unsere Zustände und Thaten sind zu misera¬
bel, um eines großen Dichters werth zu sein. Wenn man schon mit
den Brettern, welche die Welt blos bedeuten, so großsinnig verfährt,
so läßt sich schließen, wie groß man erst auf den Brettern der wirk¬
lichen Welt einher- und auftritt.

— Der spanische General Prim wurde vor einigen Jahren von
einem Leipziger Scherzblatt für eine» Deutschen und ehemaligen
preußischen Corporal Preuß ausgegeben; die Mystification glückte und
lief durch alle Zeitungen von Augsburg bis Hamburg; eben so wie
General Amettler mit dem Journalisten Rudolph Mettler identificirt
wurde. Nun zeigt es sich, aus einer Bekanntmachung des Herrn
von Suckow, daß Prim, Graf von Neuß, der Sohn einer Deutschen
ist. Es ist also doch etwas Wahres an dem Scherz gewesen. Unsere


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0257" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182057"/>
            <p xml:id="ID_563" prev="#ID_562"> größtes und sein größter Verdienst. Aber gehet nach Lübeck, Frankfurt<lb/>
oder den rcichsfreien Städten welche die Schweiz bilden, und fraget<lb/>
nach geistigem, nach politischem Fortschritt. Bei uns hat die Noth<lb/>
beten gelehrt, und auch das können wir noch nicht recht. Aber wo<lb/>
der altdeutsche Bürger «ausi frei geblieben ist, da blieb er auch der<lb/>
zäheste Feind jeder Verbesserung, besonders, wenn sie nicht seinen<lb/>
Beutel betraf.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_564"> &#x2014; Eine deutsche Zeitung schrieb vor einigen Jahren: &#x201E;Wir<lb/>
wissen noch nicht, ob die Princessin Olga oder Helena unsere allge¬<lb/>
liebte Landesmutter wird." Diesmal ist endlich so Viel entschieden,<lb/>
daß Princessin Olga weder in Böhmen als zweite Libussa thronen,<lb/>
noch in Ungar» die Palatium des Slaventhums darstellen wird. In<lb/>
allen österreichischen Herzen wird l'v Ovum geläutet. Einige Jour¬<lb/>
nale bestätigen die von uns schon früher mitgetheilte Nachricht, daß<lb/>
die Kaiserstochter einen würtembergischen Prinzen heirathen soll. Rus¬<lb/>
sische Einflüsse können hoffentlich in constitutionellen Staaten nicht so<lb/>
bedenklich sein!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_565"> &#x2014; Shakespeare ist in ganz Preußen verboten worden... Das<lb/>
ist, so zu verstehen. Man wirft den jungen Dramatikern, gleichsam<lb/>
zur Erklärung der tausend Schwierigkeiten, die jede Bühne ihren<lb/>
Stücken macht, gerne vor, sie seien keine Shakespeares. Aber wenn<lb/>
die deutsche Poesie so glücklich wäre, einen Genius wie Shakespeare<lb/>
zu besitzen, was sollte aus seinen historischen Dramen, was sollte über¬<lb/>
haupt aus ihm werden, da man fast nirgendswo einen historischen<lb/>
deutschen König oder seinen Vetter oder seinen Urgroßoheim auf die<lb/>
Bühne bringen darf? Ist doch selbst Laube's &#x201E;Gottsched und Gellert"<lb/>
verboten worden wegen eines Prinzen Heinrich aus dem vori¬<lb/>
gen Jahrhundert. Ueber das Thema ließe sich sehr viel reden. Ge¬<lb/>
nug, ein preußischer Shakespeare dürfte vor Allem nicht national sein.<lb/>
Und das ist so deutsch, daß sich daraus allein erklärt, warum Deutsch¬<lb/>
land nicht nur keinen Shakespeare hat, sondern auch nicht haben kann<lb/>
oder zu haben verdient. Unsere Zustände und Thaten sind zu misera¬<lb/>
bel, um eines großen Dichters werth zu sein. Wenn man schon mit<lb/>
den Brettern, welche die Welt blos bedeuten, so großsinnig verfährt,<lb/>
so läßt sich schließen, wie groß man erst auf den Brettern der wirk¬<lb/>
lichen Welt einher- und auftritt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_566" next="#ID_567"> &#x2014; Der spanische General Prim wurde vor einigen Jahren von<lb/>
einem Leipziger Scherzblatt für eine» Deutschen und ehemaligen<lb/>
preußischen Corporal Preuß ausgegeben; die Mystification glückte und<lb/>
lief durch alle Zeitungen von Augsburg bis Hamburg; eben so wie<lb/>
General Amettler mit dem Journalisten Rudolph Mettler identificirt<lb/>
wurde. Nun zeigt es sich, aus einer Bekanntmachung des Herrn<lb/>
von Suckow, daß Prim, Graf von Neuß, der Sohn einer Deutschen<lb/>
ist.  Es ist also doch etwas Wahres an dem Scherz gewesen. Unsere</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0257] größtes und sein größter Verdienst. Aber gehet nach Lübeck, Frankfurt oder den rcichsfreien Städten welche die Schweiz bilden, und fraget nach geistigem, nach politischem Fortschritt. Bei uns hat die Noth beten gelehrt, und auch das können wir noch nicht recht. Aber wo der altdeutsche Bürger «ausi frei geblieben ist, da blieb er auch der zäheste Feind jeder Verbesserung, besonders, wenn sie nicht seinen Beutel betraf. — Eine deutsche Zeitung schrieb vor einigen Jahren: „Wir wissen noch nicht, ob die Princessin Olga oder Helena unsere allge¬ liebte Landesmutter wird." Diesmal ist endlich so Viel entschieden, daß Princessin Olga weder in Böhmen als zweite Libussa thronen, noch in Ungar» die Palatium des Slaventhums darstellen wird. In allen österreichischen Herzen wird l'v Ovum geläutet. Einige Jour¬ nale bestätigen die von uns schon früher mitgetheilte Nachricht, daß die Kaiserstochter einen würtembergischen Prinzen heirathen soll. Rus¬ sische Einflüsse können hoffentlich in constitutionellen Staaten nicht so bedenklich sein! — Shakespeare ist in ganz Preußen verboten worden... Das ist, so zu verstehen. Man wirft den jungen Dramatikern, gleichsam zur Erklärung der tausend Schwierigkeiten, die jede Bühne ihren Stücken macht, gerne vor, sie seien keine Shakespeares. Aber wenn die deutsche Poesie so glücklich wäre, einen Genius wie Shakespeare zu besitzen, was sollte aus seinen historischen Dramen, was sollte über¬ haupt aus ihm werden, da man fast nirgendswo einen historischen deutschen König oder seinen Vetter oder seinen Urgroßoheim auf die Bühne bringen darf? Ist doch selbst Laube's „Gottsched und Gellert" verboten worden wegen eines Prinzen Heinrich aus dem vori¬ gen Jahrhundert. Ueber das Thema ließe sich sehr viel reden. Ge¬ nug, ein preußischer Shakespeare dürfte vor Allem nicht national sein. Und das ist so deutsch, daß sich daraus allein erklärt, warum Deutsch¬ land nicht nur keinen Shakespeare hat, sondern auch nicht haben kann oder zu haben verdient. Unsere Zustände und Thaten sind zu misera¬ bel, um eines großen Dichters werth zu sein. Wenn man schon mit den Brettern, welche die Welt blos bedeuten, so großsinnig verfährt, so läßt sich schließen, wie groß man erst auf den Brettern der wirk¬ lichen Welt einher- und auftritt. — Der spanische General Prim wurde vor einigen Jahren von einem Leipziger Scherzblatt für eine» Deutschen und ehemaligen preußischen Corporal Preuß ausgegeben; die Mystification glückte und lief durch alle Zeitungen von Augsburg bis Hamburg; eben so wie General Amettler mit dem Journalisten Rudolph Mettler identificirt wurde. Nun zeigt es sich, aus einer Bekanntmachung des Herrn von Suckow, daß Prim, Graf von Neuß, der Sohn einer Deutschen ist. Es ist also doch etwas Wahres an dem Scherz gewesen. Unsere

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/257
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/257>, abgerufen am 28.07.2024.