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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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ihn bald für immer der Themis. Seine "Oden AnakeronS", die im I.
1800 erschienen, und mehr eine reizende Modernisirung, als eine ge¬
treue und einfache Uebersetzung des antiken LiebesdichtcrS waren,
machten vielleicht eben deshalb Furore. Sie waren dem Prin¬
zen von Wales gewidmet, der, wie alle Kronprinzen, sehr libe¬
ral, ein Freund von Sheridan und For, ein Anhänger der Whigs,
und ein Mäcen der schönen Künste war. Es konnte nicht fehlen,
daß Moore unter solchen Auspicien in die vornehmsten Cirkel einge¬
führt wurde; und die großen Erwartungen, die man von seinem
dichterischen Talent hatte, bewogen ihn, das Jus ganz über Bord
zu werfen. Ein Jahr später gab er einen Band erotischer Poesien
(die juvvnil" pu"mL), theils Original, theils Nachahmung der Al¬
ten, unter dem Pseudonym Little (Klein) heraus. Mr. Little, sagt
Moore in der Vorrede, war einundzwanzig Jahre alt, als er starb; er
hatte keinen Ehrgeiz, war etwas träge und ein großer Verehrer
von Tibull, Catull und Properz. Sein Leben und seine Herkunft
können das Publicum nicht sehr interessiren, aber die meisten seiner
Verse sind in einem so zarten Alter verfaßt, daß die Kritik einige
Nachsicht mit ihnen haben muß. -- Das zarte Alter hatte übri¬
gens diesen kleinen Amor nicht verhindert, die poetische Licenz oft
so weit zu treiben, daß die Prüderie der großen Kinder daran An¬
stoß nehmen konnte. Selsamer Weise aber biß das prüde Albion,
oder doch die Gesellschaft des Ki^K like, mit großem Behagen in
die verbotene Frucht. Tom-Little, oder Moore-Anakreon, wie man
ihn zu nennen pflegte, besaß außer seinem poetischen Talent auch
auch alle gesellschaftlichen Talente; er war ein guter Musiker, ein
angenehmer Sänger, ein witziger Plauderer, ein Verehrer des schö¬
nen Geschlechts und bei seinen 4 Fuß, acht Zoll gar niedlich ge¬
baut; man kann sich daher denken, wie sich die Blaustrümpfe und
die romantischen Wittwen um den kleinen Lion zu reißen anfingen.
Wir setzen natürlich voraus, daß seine schönen und geistreichen
Verehrerinnen nicht auch die Noten lasen, mit denen Moore nach
englischer Sitte überall so verschwenderisch umgeht, so wie wir glau¬
ben, daß die heutigen Ladies sich über die Mottos aus Pindar
nicht den Kopf zerbrechen, die Bulwer vor jedem Kapitel seiner
fashonablen Romane prangen läßt. Mit Moore's Noten hat es
gleichwohl eine ernstere Bewandtniß; sie verrathen eine erstaunliche


ihn bald für immer der Themis. Seine „Oden AnakeronS", die im I.
1800 erschienen, und mehr eine reizende Modernisirung, als eine ge¬
treue und einfache Uebersetzung des antiken LiebesdichtcrS waren,
machten vielleicht eben deshalb Furore. Sie waren dem Prin¬
zen von Wales gewidmet, der, wie alle Kronprinzen, sehr libe¬
ral, ein Freund von Sheridan und For, ein Anhänger der Whigs,
und ein Mäcen der schönen Künste war. Es konnte nicht fehlen,
daß Moore unter solchen Auspicien in die vornehmsten Cirkel einge¬
führt wurde; und die großen Erwartungen, die man von seinem
dichterischen Talent hatte, bewogen ihn, das Jus ganz über Bord
zu werfen. Ein Jahr später gab er einen Band erotischer Poesien
(die juvvnil« pu«mL), theils Original, theils Nachahmung der Al¬
ten, unter dem Pseudonym Little (Klein) heraus. Mr. Little, sagt
Moore in der Vorrede, war einundzwanzig Jahre alt, als er starb; er
hatte keinen Ehrgeiz, war etwas träge und ein großer Verehrer
von Tibull, Catull und Properz. Sein Leben und seine Herkunft
können das Publicum nicht sehr interessiren, aber die meisten seiner
Verse sind in einem so zarten Alter verfaßt, daß die Kritik einige
Nachsicht mit ihnen haben muß. — Das zarte Alter hatte übri¬
gens diesen kleinen Amor nicht verhindert, die poetische Licenz oft
so weit zu treiben, daß die Prüderie der großen Kinder daran An¬
stoß nehmen konnte. Selsamer Weise aber biß das prüde Albion,
oder doch die Gesellschaft des Ki^K like, mit großem Behagen in
die verbotene Frucht. Tom-Little, oder Moore-Anakreon, wie man
ihn zu nennen pflegte, besaß außer seinem poetischen Talent auch
auch alle gesellschaftlichen Talente; er war ein guter Musiker, ein
angenehmer Sänger, ein witziger Plauderer, ein Verehrer des schö¬
nen Geschlechts und bei seinen 4 Fuß, acht Zoll gar niedlich ge¬
baut; man kann sich daher denken, wie sich die Blaustrümpfe und
die romantischen Wittwen um den kleinen Lion zu reißen anfingen.
Wir setzen natürlich voraus, daß seine schönen und geistreichen
Verehrerinnen nicht auch die Noten lasen, mit denen Moore nach
englischer Sitte überall so verschwenderisch umgeht, so wie wir glau¬
ben, daß die heutigen Ladies sich über die Mottos aus Pindar
nicht den Kopf zerbrechen, die Bulwer vor jedem Kapitel seiner
fashonablen Romane prangen läßt. Mit Moore's Noten hat es
gleichwohl eine ernstere Bewandtniß; sie verrathen eine erstaunliche


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[0210] ihn bald für immer der Themis. Seine „Oden AnakeronS", die im I. 1800 erschienen, und mehr eine reizende Modernisirung, als eine ge¬ treue und einfache Uebersetzung des antiken LiebesdichtcrS waren, machten vielleicht eben deshalb Furore. Sie waren dem Prin¬ zen von Wales gewidmet, der, wie alle Kronprinzen, sehr libe¬ ral, ein Freund von Sheridan und For, ein Anhänger der Whigs, und ein Mäcen der schönen Künste war. Es konnte nicht fehlen, daß Moore unter solchen Auspicien in die vornehmsten Cirkel einge¬ führt wurde; und die großen Erwartungen, die man von seinem dichterischen Talent hatte, bewogen ihn, das Jus ganz über Bord zu werfen. Ein Jahr später gab er einen Band erotischer Poesien (die juvvnil« pu«mL), theils Original, theils Nachahmung der Al¬ ten, unter dem Pseudonym Little (Klein) heraus. Mr. Little, sagt Moore in der Vorrede, war einundzwanzig Jahre alt, als er starb; er hatte keinen Ehrgeiz, war etwas träge und ein großer Verehrer von Tibull, Catull und Properz. Sein Leben und seine Herkunft können das Publicum nicht sehr interessiren, aber die meisten seiner Verse sind in einem so zarten Alter verfaßt, daß die Kritik einige Nachsicht mit ihnen haben muß. — Das zarte Alter hatte übri¬ gens diesen kleinen Amor nicht verhindert, die poetische Licenz oft so weit zu treiben, daß die Prüderie der großen Kinder daran An¬ stoß nehmen konnte. Selsamer Weise aber biß das prüde Albion, oder doch die Gesellschaft des Ki^K like, mit großem Behagen in die verbotene Frucht. Tom-Little, oder Moore-Anakreon, wie man ihn zu nennen pflegte, besaß außer seinem poetischen Talent auch auch alle gesellschaftlichen Talente; er war ein guter Musiker, ein angenehmer Sänger, ein witziger Plauderer, ein Verehrer des schö¬ nen Geschlechts und bei seinen 4 Fuß, acht Zoll gar niedlich ge¬ baut; man kann sich daher denken, wie sich die Blaustrümpfe und die romantischen Wittwen um den kleinen Lion zu reißen anfingen. Wir setzen natürlich voraus, daß seine schönen und geistreichen Verehrerinnen nicht auch die Noten lasen, mit denen Moore nach englischer Sitte überall so verschwenderisch umgeht, so wie wir glau¬ ben, daß die heutigen Ladies sich über die Mottos aus Pindar nicht den Kopf zerbrechen, die Bulwer vor jedem Kapitel seiner fashonablen Romane prangen läßt. Mit Moore's Noten hat es gleichwohl eine ernstere Bewandtniß; sie verrathen eine erstaunliche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/210>, abgerufen am 02.09.2024.