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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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Und dennoch ist Thomas Moore mit Recht ein gefeierter
Name, und sein Ruhm stützt sich nicht auf eine vorübergehende Vor¬
liebe des Publicums, nicht auf seine Verbindung oder scheinbare
Aehnlichkeit mit jenen bewunderten Söhnen Albions. Vielmehr ge¬
winnt das Bild seiner Poesie, wenn man es für sich betrachtet, und
jetzt, wo er, beinahe der letzte eines glorreichen Sängerkreises, ab-
lein steht, erscheint sein Genius als ein voller, glühender Stern über
der dunkeln, von matten Glühwürmern erhellten Nacht der heutigen
Literatur Englands. Freund wird einem größern nichtenglischen
Publicum seine Schönheit schwer genießbar werden: Byron hat,
auch in der ungenügendsten Uebertragung, durch die Kühnheit der
Reflection, durch das Hervortreten seiner heroischen Subjectivetät,
große Machr und Wirkung; einen Hauptreiz Moore's aber bildet
der leichtverwischbare Duft, die unübertragbare Musik seiner Sprache.
Seine irischen Melodien sind eben so wenig wiederzugeben, als seine
satyrischen Gedichte, mit ihren tausend gegen englische Besonderhei¬
ten gerichteten Pointen, dem Fremden verständlich zu machen sind.
Endlich will Moore, der fast in jeder Einzelheit klein und niedlich
erscheint -- wie seine leibliche Gestalt -- in seiner ganzen genia¬
len Vielseitigkeit überschaut werden, wenn ihm nicht Unrecht wider¬
fahren soll.

Wenn der Reisende von England oder Schottland nach Ir¬
land kommt, so glaubt er sich plötzlich in eine andere Zone ver¬
setzt; weichere, wärmere Lüfte umwehen ihn. Eben so der Leser,
der von Coleridge, Southey, Wordsworth, Crabbe oder Byron zu
Thomas Moore übergeht. Darin liegt eine Hauptbedeutung des
Letztern. Er hat die Sommerwärme seiner Heimath in den Nebel¬
himmel der englischen Literatur gebracht und ist in englischen Ver¬
sen ganz Jrländer geblieben; seine Poesie, die lieblichste Verkörpe¬
rung des irischen Nationalcharakters, mit ihver katholischen Sinn¬
lichkeit, ihrer Naivetät, ihrem leichten Witz und Flattersinn und ih¬
rem bald aufbrausenden bald klagenden Patriotismus, war ein Phä¬
nomen in dieser Hinsicht zu nennen. Lächelnd und scherzend, aber
keck, bekriegte Thomas Moore die Prüderie und Intoleranz der
herrschenden Nation der drei Königreiche. In den Salons der
britischen Aristokratie sang er bald seine schelmischen Liebesroman-
zen,^seine gereimten Verwünschungen gegen die "Sarons," und


Und dennoch ist Thomas Moore mit Recht ein gefeierter
Name, und sein Ruhm stützt sich nicht auf eine vorübergehende Vor¬
liebe des Publicums, nicht auf seine Verbindung oder scheinbare
Aehnlichkeit mit jenen bewunderten Söhnen Albions. Vielmehr ge¬
winnt das Bild seiner Poesie, wenn man es für sich betrachtet, und
jetzt, wo er, beinahe der letzte eines glorreichen Sängerkreises, ab-
lein steht, erscheint sein Genius als ein voller, glühender Stern über
der dunkeln, von matten Glühwürmern erhellten Nacht der heutigen
Literatur Englands. Freund wird einem größern nichtenglischen
Publicum seine Schönheit schwer genießbar werden: Byron hat,
auch in der ungenügendsten Uebertragung, durch die Kühnheit der
Reflection, durch das Hervortreten seiner heroischen Subjectivetät,
große Machr und Wirkung; einen Hauptreiz Moore's aber bildet
der leichtverwischbare Duft, die unübertragbare Musik seiner Sprache.
Seine irischen Melodien sind eben so wenig wiederzugeben, als seine
satyrischen Gedichte, mit ihren tausend gegen englische Besonderhei¬
ten gerichteten Pointen, dem Fremden verständlich zu machen sind.
Endlich will Moore, der fast in jeder Einzelheit klein und niedlich
erscheint — wie seine leibliche Gestalt — in seiner ganzen genia¬
len Vielseitigkeit überschaut werden, wenn ihm nicht Unrecht wider¬
fahren soll.

Wenn der Reisende von England oder Schottland nach Ir¬
land kommt, so glaubt er sich plötzlich in eine andere Zone ver¬
setzt; weichere, wärmere Lüfte umwehen ihn. Eben so der Leser,
der von Coleridge, Southey, Wordsworth, Crabbe oder Byron zu
Thomas Moore übergeht. Darin liegt eine Hauptbedeutung des
Letztern. Er hat die Sommerwärme seiner Heimath in den Nebel¬
himmel der englischen Literatur gebracht und ist in englischen Ver¬
sen ganz Jrländer geblieben; seine Poesie, die lieblichste Verkörpe¬
rung des irischen Nationalcharakters, mit ihver katholischen Sinn¬
lichkeit, ihrer Naivetät, ihrem leichten Witz und Flattersinn und ih¬
rem bald aufbrausenden bald klagenden Patriotismus, war ein Phä¬
nomen in dieser Hinsicht zu nennen. Lächelnd und scherzend, aber
keck, bekriegte Thomas Moore die Prüderie und Intoleranz der
herrschenden Nation der drei Königreiche. In den Salons der
britischen Aristokratie sang er bald seine schelmischen Liebesroman-
zen,^seine gereimten Verwünschungen gegen die „Sarons," und


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[0203] Und dennoch ist Thomas Moore mit Recht ein gefeierter Name, und sein Ruhm stützt sich nicht auf eine vorübergehende Vor¬ liebe des Publicums, nicht auf seine Verbindung oder scheinbare Aehnlichkeit mit jenen bewunderten Söhnen Albions. Vielmehr ge¬ winnt das Bild seiner Poesie, wenn man es für sich betrachtet, und jetzt, wo er, beinahe der letzte eines glorreichen Sängerkreises, ab- lein steht, erscheint sein Genius als ein voller, glühender Stern über der dunkeln, von matten Glühwürmern erhellten Nacht der heutigen Literatur Englands. Freund wird einem größern nichtenglischen Publicum seine Schönheit schwer genießbar werden: Byron hat, auch in der ungenügendsten Uebertragung, durch die Kühnheit der Reflection, durch das Hervortreten seiner heroischen Subjectivetät, große Machr und Wirkung; einen Hauptreiz Moore's aber bildet der leichtverwischbare Duft, die unübertragbare Musik seiner Sprache. Seine irischen Melodien sind eben so wenig wiederzugeben, als seine satyrischen Gedichte, mit ihren tausend gegen englische Besonderhei¬ ten gerichteten Pointen, dem Fremden verständlich zu machen sind. Endlich will Moore, der fast in jeder Einzelheit klein und niedlich erscheint — wie seine leibliche Gestalt — in seiner ganzen genia¬ len Vielseitigkeit überschaut werden, wenn ihm nicht Unrecht wider¬ fahren soll. Wenn der Reisende von England oder Schottland nach Ir¬ land kommt, so glaubt er sich plötzlich in eine andere Zone ver¬ setzt; weichere, wärmere Lüfte umwehen ihn. Eben so der Leser, der von Coleridge, Southey, Wordsworth, Crabbe oder Byron zu Thomas Moore übergeht. Darin liegt eine Hauptbedeutung des Letztern. Er hat die Sommerwärme seiner Heimath in den Nebel¬ himmel der englischen Literatur gebracht und ist in englischen Ver¬ sen ganz Jrländer geblieben; seine Poesie, die lieblichste Verkörpe¬ rung des irischen Nationalcharakters, mit ihver katholischen Sinn¬ lichkeit, ihrer Naivetät, ihrem leichten Witz und Flattersinn und ih¬ rem bald aufbrausenden bald klagenden Patriotismus, war ein Phä¬ nomen in dieser Hinsicht zu nennen. Lächelnd und scherzend, aber keck, bekriegte Thomas Moore die Prüderie und Intoleranz der herrschenden Nation der drei Königreiche. In den Salons der britischen Aristokratie sang er bald seine schelmischen Liebesroman- zen,^seine gereimten Verwünschungen gegen die „Sarons," und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/203>, abgerufen am 01.09.2024.