Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.sen, der ward überrascht von der Kraft, die sich auf seinem origi¬ Armand Carrel hat keine Kinder hinterlassen und war nicht sen, der ward überrascht von der Kraft, die sich auf seinem origi¬ Armand Carrel hat keine Kinder hinterlassen und war nicht <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0173" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/181983"/> <p xml:id="ID_374" prev="#ID_373"> sen, der ward überrascht von der Kraft, die sich auf seinem origi¬<lb/> nellen Antlitz und in seinem ganzen Wesen ausprägte. Unter die¬<lb/> ser Kraft verrieth sich aber auch eine edle Freiheit, die besonders<lb/> in der Bildung der Lippen und in seinem sanftstolzen Auge<lb/> ausgesprochen war. Dagegen äußerte sich in seinem Benehmen<lb/> eine peinliche Empfindlichkeit und Gezwungenheit, wie die eines<lb/> Mannes von Ehre, der sich verkannt, oder doch nicht recht gewür¬<lb/> digt glaubt. Man sah ihm überdies den Militär in Civilklcidern<lb/> an. Nach der Revolution war es, als sei ihm ein Stein vom<lb/> Herzen gefallen, als habe er zum zweiten Mal im Proceß Leben<lb/> und Freiheit gewonnen. Die Größe seiner Aufgabe, und die Be¬<lb/> deutung der Rolle, die er zu spielen hatte, die Erwartung großer<lb/> Gefahren und großer Erfolge, alles was mehr untergeordnete<lb/> Geister berauscht und aufgeregt hätte, alles das beruhigte ihn.<lb/> Sein sonst düsteres Antlitz hatte sich aufgehellt, seine Züge, ohne<lb/> von ihrem scharfen Gepräge zu verlieren, waren sanfter geworden,<lb/> und seine einfache, höchst natürliche Höflichkeit, seine ungesuchte<lb/> Liebenswürdigkeit im Umgange gab ihm einen so verführerischen<lb/> Reiz, daß man bereits in dem ausgezeichneten Schriftsteller die<lb/> schöne Persönlichkeit hervorhob, und daß die Cyniker seiner Partei<lb/> ihm seine Glacehandschuhe und seine aristokratischen Prätensionen<lb/> vorwarfen.</p><lb/> <p xml:id="ID_375"> Armand Carrel hat keine Kinder hinterlassen und war nicht<lb/> verheirathet: er lebte viele Jahre in freier Ehe mit einer von ihrem<lb/> Manne geschiedenen Frau. Die tiefste gegenseitige Achtung und die<lb/> edelste Hingebung beider Theile heiligten diese Verbindung, welche<lb/> die gesetzliche Sanction nicht durch Carrel's Schuld entbehrte.<lb/> Denn das Scheitern des Ehescheidungögesetzes, welches mehrmals<lb/> von der Deputirtenkammer angenommen und von der Pairskammer<lb/> stets verworfen wurde, schmerzte ihn tief und er hat sich nur schwer<lb/> darüber trösten können. Aber ungleich mancher legalen Wittwe,<lb/> die durch unwürdige neue Verbindungen das Andenken eines mehr<lb/> oder weniger berühmten Gatten entweiht, — wie man in unsern<lb/> Tagen nur zu häufig sah — hat die Dame, die Carrel's Herz<lb/> besaß, sich in Trauer zurückgezogen und gleich Moore's irischer<lb/> Wittwe, kennt sie keine andere Liebe mehr als Carrels Grab.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0173]
sen, der ward überrascht von der Kraft, die sich auf seinem origi¬
nellen Antlitz und in seinem ganzen Wesen ausprägte. Unter die¬
ser Kraft verrieth sich aber auch eine edle Freiheit, die besonders
in der Bildung der Lippen und in seinem sanftstolzen Auge
ausgesprochen war. Dagegen äußerte sich in seinem Benehmen
eine peinliche Empfindlichkeit und Gezwungenheit, wie die eines
Mannes von Ehre, der sich verkannt, oder doch nicht recht gewür¬
digt glaubt. Man sah ihm überdies den Militär in Civilklcidern
an. Nach der Revolution war es, als sei ihm ein Stein vom
Herzen gefallen, als habe er zum zweiten Mal im Proceß Leben
und Freiheit gewonnen. Die Größe seiner Aufgabe, und die Be¬
deutung der Rolle, die er zu spielen hatte, die Erwartung großer
Gefahren und großer Erfolge, alles was mehr untergeordnete
Geister berauscht und aufgeregt hätte, alles das beruhigte ihn.
Sein sonst düsteres Antlitz hatte sich aufgehellt, seine Züge, ohne
von ihrem scharfen Gepräge zu verlieren, waren sanfter geworden,
und seine einfache, höchst natürliche Höflichkeit, seine ungesuchte
Liebenswürdigkeit im Umgange gab ihm einen so verführerischen
Reiz, daß man bereits in dem ausgezeichneten Schriftsteller die
schöne Persönlichkeit hervorhob, und daß die Cyniker seiner Partei
ihm seine Glacehandschuhe und seine aristokratischen Prätensionen
vorwarfen.
Armand Carrel hat keine Kinder hinterlassen und war nicht
verheirathet: er lebte viele Jahre in freier Ehe mit einer von ihrem
Manne geschiedenen Frau. Die tiefste gegenseitige Achtung und die
edelste Hingebung beider Theile heiligten diese Verbindung, welche
die gesetzliche Sanction nicht durch Carrel's Schuld entbehrte.
Denn das Scheitern des Ehescheidungögesetzes, welches mehrmals
von der Deputirtenkammer angenommen und von der Pairskammer
stets verworfen wurde, schmerzte ihn tief und er hat sich nur schwer
darüber trösten können. Aber ungleich mancher legalen Wittwe,
die durch unwürdige neue Verbindungen das Andenken eines mehr
oder weniger berühmten Gatten entweiht, — wie man in unsern
Tagen nur zu häufig sah — hat die Dame, die Carrel's Herz
besaß, sich in Trauer zurückgezogen und gleich Moore's irischer
Wittwe, kennt sie keine andere Liebe mehr als Carrels Grab.
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