Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

schon dieselbe "Routine", wie in den aufgefahrenen Gleisen alter
Verfassungen, daß die Opposition^-Parteien ihrem persönlichen
Ehrgeiz stöhnten ; dieselbe Partei, die mit ihm in der Opposition
einen so edlen Schwung gezeigt hatte, vergaß jetzt, da sie am
Ruder war, viele ihrer guten Vor- und Grundsätze. Diejenigen,
die es wagten, sie deshalb der Undankbarkeit zu zeihen, wurden,
wie es überall geht, negative, impotente Köpfe gescholten. Die
Herrn Thiers und Konsorten fügten sich nur zu gern jener höhern
Einsicht, die, wegen gewisser Krisen von Innen und Außen, deren
Bedeutung man sehr übertrieb, es für nothwendig fand, das con-
stitutionelle Leben "vorläufig" ein wenig einzudämmen; was die
Franzosen, ihrer Natur gemäß, sich nur zu leicht gefallen ließen,
denn so souverain dieses Volk in Momente,: großer Aufwallung
sich zu benehmen weiß, so wenig besitzt es noch Geduld und Aus¬
dauer, um die Früchte einer Revolution langsam anzubauen, um
die Controlle der Regierung fortwährend mit nimmermüder Wach¬
samkeit zu führen, kurz, um das Princip des Selfgovernment
täglich zu üben. Zum Beweise protestirte Frankreich weniger in
den Kammern gegen jene klugen Manöver, sondern die Minorität
träumte immer nur von glorreichem "Waffenkampf", und zersplitterte
sich in außerparlamentarischen kleinen Factionen und verschwörungs¬
süchtigen Gesellschaften. Carrel nun war nichts weniger als ein
Factionsmensch, als ein Danton paradirender Gewaltprediger,
aber er war Franzose genug, um die Schuld statt auf den Man¬
gel an Selbstregicrungstalent seines Volkes, auf die Verfassung
und deren Commentar durch die Diener der höhern Einsicht zu
schieben. Er glaubte unter einer Republik würde das Selfgovern¬
ment in Frankreich eine Wahrheit werden. Ob er sich nicht auch
dann täuschte, ob er nicht mit Unrecht den Franzosen Eigenschaf¬
ten und Tugenden beilegte, die nur er und einige Wenige seines
Gleichen besaßen, das wird am Besten daraus hervorgehen, wie
er von der sogenannten republikanischen Partei verstanden und be¬
handelt wurde.

Von dem Tage an, wo er das Banner der Republik aufge¬
pflanzt, war sein Leben ein fortwährender und doppelter Kampf
gegen die Disciplinlosigkeit der Seinen, wie gegen die Geschicklich-
keit seiner Gegner. Wenn er einerseits durch den ritterlichen Muth,


schon dieselbe „Routine", wie in den aufgefahrenen Gleisen alter
Verfassungen, daß die Opposition^-Parteien ihrem persönlichen
Ehrgeiz stöhnten ; dieselbe Partei, die mit ihm in der Opposition
einen so edlen Schwung gezeigt hatte, vergaß jetzt, da sie am
Ruder war, viele ihrer guten Vor- und Grundsätze. Diejenigen,
die es wagten, sie deshalb der Undankbarkeit zu zeihen, wurden,
wie es überall geht, negative, impotente Köpfe gescholten. Die
Herrn Thiers und Konsorten fügten sich nur zu gern jener höhern
Einsicht, die, wegen gewisser Krisen von Innen und Außen, deren
Bedeutung man sehr übertrieb, es für nothwendig fand, das con-
stitutionelle Leben „vorläufig" ein wenig einzudämmen; was die
Franzosen, ihrer Natur gemäß, sich nur zu leicht gefallen ließen,
denn so souverain dieses Volk in Momente,: großer Aufwallung
sich zu benehmen weiß, so wenig besitzt es noch Geduld und Aus¬
dauer, um die Früchte einer Revolution langsam anzubauen, um
die Controlle der Regierung fortwährend mit nimmermüder Wach¬
samkeit zu führen, kurz, um das Princip des Selfgovernment
täglich zu üben. Zum Beweise protestirte Frankreich weniger in
den Kammern gegen jene klugen Manöver, sondern die Minorität
träumte immer nur von glorreichem „Waffenkampf", und zersplitterte
sich in außerparlamentarischen kleinen Factionen und verschwörungs¬
süchtigen Gesellschaften. Carrel nun war nichts weniger als ein
Factionsmensch, als ein Danton paradirender Gewaltprediger,
aber er war Franzose genug, um die Schuld statt auf den Man¬
gel an Selbstregicrungstalent seines Volkes, auf die Verfassung
und deren Commentar durch die Diener der höhern Einsicht zu
schieben. Er glaubte unter einer Republik würde das Selfgovern¬
ment in Frankreich eine Wahrheit werden. Ob er sich nicht auch
dann täuschte, ob er nicht mit Unrecht den Franzosen Eigenschaf¬
ten und Tugenden beilegte, die nur er und einige Wenige seines
Gleichen besaßen, das wird am Besten daraus hervorgehen, wie
er von der sogenannten republikanischen Partei verstanden und be¬
handelt wurde.

Von dem Tage an, wo er das Banner der Republik aufge¬
pflanzt, war sein Leben ein fortwährender und doppelter Kampf
gegen die Disciplinlosigkeit der Seinen, wie gegen die Geschicklich-
keit seiner Gegner. Wenn er einerseits durch den ritterlichen Muth,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0167" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/181977"/>
          <p xml:id="ID_353" prev="#ID_352"> schon dieselbe &#x201E;Routine", wie in den aufgefahrenen Gleisen alter<lb/>
Verfassungen, daß die Opposition^-Parteien ihrem persönlichen<lb/>
Ehrgeiz stöhnten ; dieselbe Partei, die mit ihm in der Opposition<lb/>
einen so edlen Schwung gezeigt hatte, vergaß jetzt, da sie am<lb/>
Ruder war, viele ihrer guten Vor- und Grundsätze. Diejenigen,<lb/>
die es wagten, sie deshalb der Undankbarkeit zu zeihen, wurden,<lb/>
wie es überall geht, negative, impotente Köpfe gescholten. Die<lb/>
Herrn Thiers und Konsorten fügten sich nur zu gern jener höhern<lb/>
Einsicht, die, wegen gewisser Krisen von Innen und Außen, deren<lb/>
Bedeutung man sehr übertrieb, es für nothwendig fand, das con-<lb/>
stitutionelle Leben &#x201E;vorläufig" ein wenig einzudämmen; was die<lb/>
Franzosen, ihrer Natur gemäß, sich nur zu leicht gefallen ließen,<lb/>
denn so souverain dieses Volk in Momente,: großer Aufwallung<lb/>
sich zu benehmen weiß, so wenig besitzt es noch Geduld und Aus¬<lb/>
dauer, um die Früchte einer Revolution langsam anzubauen, um<lb/>
die Controlle der Regierung fortwährend mit nimmermüder Wach¬<lb/>
samkeit zu führen, kurz, um das Princip des Selfgovernment<lb/>
täglich zu üben. Zum Beweise protestirte Frankreich weniger in<lb/>
den Kammern gegen jene klugen Manöver, sondern die Minorität<lb/>
träumte immer nur von glorreichem &#x201E;Waffenkampf", und zersplitterte<lb/>
sich in außerparlamentarischen kleinen Factionen und verschwörungs¬<lb/>
süchtigen Gesellschaften.  Carrel nun war nichts weniger als ein<lb/>
Factionsmensch,  als ein Danton paradirender Gewaltprediger,<lb/>
aber er war Franzose genug, um die Schuld statt auf den Man¬<lb/>
gel an Selbstregicrungstalent seines Volkes, auf die Verfassung<lb/>
und deren Commentar durch die Diener der höhern Einsicht zu<lb/>
schieben. Er glaubte unter einer Republik würde das Selfgovern¬<lb/>
ment in Frankreich eine Wahrheit werden. Ob er sich nicht auch<lb/>
dann täuschte, ob er nicht mit Unrecht den Franzosen Eigenschaf¬<lb/>
ten und Tugenden beilegte, die nur er und einige Wenige seines<lb/>
Gleichen besaßen, das wird am Besten daraus hervorgehen, wie<lb/>
er von der sogenannten republikanischen Partei verstanden und be¬<lb/>
handelt wurde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_354" next="#ID_355"> Von dem Tage an, wo er das Banner der Republik aufge¬<lb/>
pflanzt, war sein Leben ein fortwährender und doppelter Kampf<lb/>
gegen die Disciplinlosigkeit der Seinen, wie gegen die Geschicklich-<lb/>
keit seiner Gegner. Wenn er einerseits durch den ritterlichen Muth,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0167] schon dieselbe „Routine", wie in den aufgefahrenen Gleisen alter Verfassungen, daß die Opposition^-Parteien ihrem persönlichen Ehrgeiz stöhnten ; dieselbe Partei, die mit ihm in der Opposition einen so edlen Schwung gezeigt hatte, vergaß jetzt, da sie am Ruder war, viele ihrer guten Vor- und Grundsätze. Diejenigen, die es wagten, sie deshalb der Undankbarkeit zu zeihen, wurden, wie es überall geht, negative, impotente Köpfe gescholten. Die Herrn Thiers und Konsorten fügten sich nur zu gern jener höhern Einsicht, die, wegen gewisser Krisen von Innen und Außen, deren Bedeutung man sehr übertrieb, es für nothwendig fand, das con- stitutionelle Leben „vorläufig" ein wenig einzudämmen; was die Franzosen, ihrer Natur gemäß, sich nur zu leicht gefallen ließen, denn so souverain dieses Volk in Momente,: großer Aufwallung sich zu benehmen weiß, so wenig besitzt es noch Geduld und Aus¬ dauer, um die Früchte einer Revolution langsam anzubauen, um die Controlle der Regierung fortwährend mit nimmermüder Wach¬ samkeit zu führen, kurz, um das Princip des Selfgovernment täglich zu üben. Zum Beweise protestirte Frankreich weniger in den Kammern gegen jene klugen Manöver, sondern die Minorität träumte immer nur von glorreichem „Waffenkampf", und zersplitterte sich in außerparlamentarischen kleinen Factionen und verschwörungs¬ süchtigen Gesellschaften. Carrel nun war nichts weniger als ein Factionsmensch, als ein Danton paradirender Gewaltprediger, aber er war Franzose genug, um die Schuld statt auf den Man¬ gel an Selbstregicrungstalent seines Volkes, auf die Verfassung und deren Commentar durch die Diener der höhern Einsicht zu schieben. Er glaubte unter einer Republik würde das Selfgovern¬ ment in Frankreich eine Wahrheit werden. Ob er sich nicht auch dann täuschte, ob er nicht mit Unrecht den Franzosen Eigenschaf¬ ten und Tugenden beilegte, die nur er und einige Wenige seines Gleichen besaßen, das wird am Besten daraus hervorgehen, wie er von der sogenannten republikanischen Partei verstanden und be¬ handelt wurde. Von dem Tage an, wo er das Banner der Republik aufge¬ pflanzt, war sein Leben ein fortwährender und doppelter Kampf gegen die Disciplinlosigkeit der Seinen, wie gegen die Geschicklich- keit seiner Gegner. Wenn er einerseits durch den ritterlichen Muth,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/167
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/167>, abgerufen am 23.12.2024.