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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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Ehrlich gesagt, kann man das wohl rührende, achtungswerthe
Treue nennen, was Sie treibt, die Gesetze Ihres Vaterlandes zu
beleidigen, einen Fürsten zu verleumden, dem Sie im Grunde Ih¬
res Herzens Gerechtigkeit müssen widerfahren lassen, und eine Na¬
tion zu schmähen, deren Großmuth sich in der Frechheit zeigt, mit
der Sie vor ihren Ohren ein Geschlecht von Meineidigen preisen,
welches der Verachtung dieser und aller künftigen Generationen
verfallen ist?

Von den ersten Monaten nach der Revolution bis zum Ja¬
nuar 1832, wo er offen in seinem Blatte die republikanische Fahne
aufpflanzte, sieht man Carrcl allmälig und in sehr merkbaren Ab¬
stufungen bis zur Kriegserklärung gegen die Monarchie sich erhe¬
ben; aber, was sehr wesentlich ist, es handelte sich bei ihm nur
um die verschiedene Wahl der Mittel zur Verwirklichung eines
Principes, über welches er nie seine Ansicht änderte und welches
stets seine Devise blieb: des Principes der Selbstregierung, des
Selfgovernment. Und doch kann man fragen: wie kam Carrel so
geschwind dahin, an der Lebenskraft einer Institution zu verzwei¬
feln, die er Anfangs für das trefflichste Mittel zur Verwirklichung
jenes Principes gehalten hatte?

Carrcl warf einmal die ironische Bemerkung hin: "Vielleicht
hätte man mich gewonnen, wenn man mir ein Regiment gegeben
hätte"; eine Anspielung auf das Geflüster kleiner Seelen, die sei¬
nen Repubikaniömns daher leiteten, daß man ihm nicht, statt einer
Präfccturstclle dritten Ranges, einen Posten gleich dein seines frü¬
heren Mitarbeiters Thiers anvertraut. So viel mag daran wahr
sein: wäre Carrcl durch Uebernahme eines solchen Postens in ein
intimeres Verhältniß zur Negierung getreten, so würde es ihm
bei seinem zarten Pflichtgefühle schwerer geworden sein, dieselbe
ganz aufzugeben; und selbst, wenn die Politik derselben sein
höchstes Mißfallen erregt hätte, so wäre er gewiß der Flügel¬
mann der Linken geworden, ohne jedoch den Boden des monarchi¬
schen Princips zu verlassen. So aber machte es ihm keinen Scru-
pel, mit der neuen Ordnung zu brechen, als er die Ueberzeugung
zu haben glaubte, daß der Wille der Nation und die Wege der
Regierung auseinander gingen. Ein Umstand ist hier besonders
hervorzuheben. Das constitutionelle Leben Frankreichs war damals,
und ist vielleicht noch jetzt in den Windeln; nur darin zeigte sich


Ehrlich gesagt, kann man das wohl rührende, achtungswerthe
Treue nennen, was Sie treibt, die Gesetze Ihres Vaterlandes zu
beleidigen, einen Fürsten zu verleumden, dem Sie im Grunde Ih¬
res Herzens Gerechtigkeit müssen widerfahren lassen, und eine Na¬
tion zu schmähen, deren Großmuth sich in der Frechheit zeigt, mit
der Sie vor ihren Ohren ein Geschlecht von Meineidigen preisen,
welches der Verachtung dieser und aller künftigen Generationen
verfallen ist?

Von den ersten Monaten nach der Revolution bis zum Ja¬
nuar 1832, wo er offen in seinem Blatte die republikanische Fahne
aufpflanzte, sieht man Carrcl allmälig und in sehr merkbaren Ab¬
stufungen bis zur Kriegserklärung gegen die Monarchie sich erhe¬
ben; aber, was sehr wesentlich ist, es handelte sich bei ihm nur
um die verschiedene Wahl der Mittel zur Verwirklichung eines
Principes, über welches er nie seine Ansicht änderte und welches
stets seine Devise blieb: des Principes der Selbstregierung, des
Selfgovernment. Und doch kann man fragen: wie kam Carrel so
geschwind dahin, an der Lebenskraft einer Institution zu verzwei¬
feln, die er Anfangs für das trefflichste Mittel zur Verwirklichung
jenes Principes gehalten hatte?

Carrcl warf einmal die ironische Bemerkung hin: „Vielleicht
hätte man mich gewonnen, wenn man mir ein Regiment gegeben
hätte"; eine Anspielung auf das Geflüster kleiner Seelen, die sei¬
nen Repubikaniömns daher leiteten, daß man ihm nicht, statt einer
Präfccturstclle dritten Ranges, einen Posten gleich dein seines frü¬
heren Mitarbeiters Thiers anvertraut. So viel mag daran wahr
sein: wäre Carrcl durch Uebernahme eines solchen Postens in ein
intimeres Verhältniß zur Negierung getreten, so würde es ihm
bei seinem zarten Pflichtgefühle schwerer geworden sein, dieselbe
ganz aufzugeben; und selbst, wenn die Politik derselben sein
höchstes Mißfallen erregt hätte, so wäre er gewiß der Flügel¬
mann der Linken geworden, ohne jedoch den Boden des monarchi¬
schen Princips zu verlassen. So aber machte es ihm keinen Scru-
pel, mit der neuen Ordnung zu brechen, als er die Ueberzeugung
zu haben glaubte, daß der Wille der Nation und die Wege der
Regierung auseinander gingen. Ein Umstand ist hier besonders
hervorzuheben. Das constitutionelle Leben Frankreichs war damals,
und ist vielleicht noch jetzt in den Windeln; nur darin zeigte sich


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[0166] Ehrlich gesagt, kann man das wohl rührende, achtungswerthe Treue nennen, was Sie treibt, die Gesetze Ihres Vaterlandes zu beleidigen, einen Fürsten zu verleumden, dem Sie im Grunde Ih¬ res Herzens Gerechtigkeit müssen widerfahren lassen, und eine Na¬ tion zu schmähen, deren Großmuth sich in der Frechheit zeigt, mit der Sie vor ihren Ohren ein Geschlecht von Meineidigen preisen, welches der Verachtung dieser und aller künftigen Generationen verfallen ist? Von den ersten Monaten nach der Revolution bis zum Ja¬ nuar 1832, wo er offen in seinem Blatte die republikanische Fahne aufpflanzte, sieht man Carrcl allmälig und in sehr merkbaren Ab¬ stufungen bis zur Kriegserklärung gegen die Monarchie sich erhe¬ ben; aber, was sehr wesentlich ist, es handelte sich bei ihm nur um die verschiedene Wahl der Mittel zur Verwirklichung eines Principes, über welches er nie seine Ansicht änderte und welches stets seine Devise blieb: des Principes der Selbstregierung, des Selfgovernment. Und doch kann man fragen: wie kam Carrel so geschwind dahin, an der Lebenskraft einer Institution zu verzwei¬ feln, die er Anfangs für das trefflichste Mittel zur Verwirklichung jenes Principes gehalten hatte? Carrcl warf einmal die ironische Bemerkung hin: „Vielleicht hätte man mich gewonnen, wenn man mir ein Regiment gegeben hätte"; eine Anspielung auf das Geflüster kleiner Seelen, die sei¬ nen Repubikaniömns daher leiteten, daß man ihm nicht, statt einer Präfccturstclle dritten Ranges, einen Posten gleich dein seines frü¬ heren Mitarbeiters Thiers anvertraut. So viel mag daran wahr sein: wäre Carrcl durch Uebernahme eines solchen Postens in ein intimeres Verhältniß zur Negierung getreten, so würde es ihm bei seinem zarten Pflichtgefühle schwerer geworden sein, dieselbe ganz aufzugeben; und selbst, wenn die Politik derselben sein höchstes Mißfallen erregt hätte, so wäre er gewiß der Flügel¬ mann der Linken geworden, ohne jedoch den Boden des monarchi¬ schen Princips zu verlassen. So aber machte es ihm keinen Scru- pel, mit der neuen Ordnung zu brechen, als er die Ueberzeugung zu haben glaubte, daß der Wille der Nation und die Wege der Regierung auseinander gingen. Ein Umstand ist hier besonders hervorzuheben. Das constitutionelle Leben Frankreichs war damals, und ist vielleicht noch jetzt in den Windeln; nur darin zeigte sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/166>, abgerufen am 01.09.2024.