Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.bringt: den Indifferentismus. Wenn die protestantische Kirche ge¬ Von diesem Gesichtspunkte aus kann man auch die Demon¬ bringt: den Indifferentismus. Wenn die protestantische Kirche ge¬ Von diesem Gesichtspunkte aus kann man auch die Demon¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0014" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/181824"/> <p xml:id="ID_20" prev="#ID_19"> bringt: den Indifferentismus. Wenn die protestantische Kirche ge¬<lb/> rade in diesem Augenblicke an einem ihrer Wendepunkte steht, wenn<lb/> das Wühlen der Kritik und der philosophischen Fortbildung sie in<lb/> ihren, Hauptwurzeln erschüttert, so hat das seinen Grund darin,<lb/> daß eben Kritik und Fortbildung im Grundwesen des Protestantin<lb/> aus liegt. Aber gerade so liegt in den weichen, gedankenlosen<lb/> Formen der katholischen Kirche die allmälige Folge des mechanischen<lb/> Gottesdienstes: der Indifferentismus. Hätte man diesen ungestört<lb/> fortvegetiren lassen, so hätte der geistige Fortschritt, der Widerwille<lb/> gegen alles Faradische, die freiere Weltanschauung, unter den ge¬<lb/> bildeten Ständen der katholischen Welt mehr um sich gegriffen,<lb/> als jetzt die donnernde Polemik der protestantischen Presse ihr er¬<lb/> obern wird. Ja, der Erfolg dieser Polemik ist ein ganz entgegen¬<lb/> gesetzter; die Lauer, die Eingeschläferten unter den Katholiken, die<lb/> lange Zeit allen Ceremonien fremd wurden, oder ihren Humor<lb/> daran übten, haben diese fortgesetzten Angriffe wieder zu ihrer Fahne<lb/> gelockt, und sie vertheidigen mit gleicher Heftigkeit jetzt als Familien-<lb/> und Parteisache, was ihnen früher gleichgiltig, wenn nicht gar lä¬<lb/> stig war. Wir fanden letzthin in Leipzig einen durch Verdienst und<lb/> Geist in Deutschland wohlbekannten süddeutschen Officier, einen hei¬<lb/> tern, lebensfroher und nichts weniger als fanatischen Mann, einen<lb/> Katholiken; wir sprachen ihm von den Neligionsbewegungen in<lb/> Deutschland und er beklagte sich über die Bitterkeit der protestan¬<lb/> tischen Polemik. „Sehen Sie," sagte er, „ich bin fünfzehn Jahr<lb/> nicht in die Mess' gegangen, aber jetzt leg' ich das Betbüchl gar<lb/> nicht aus der Hand, denn 's ist für uns eine Ehrensache geworden."</p><lb/> <p xml:id="ID_21" next="#ID_22"> Von diesem Gesichtspunkte aus kann man auch die Demon¬<lb/> strationen, mit welchen einige protestantische Städte die deutschka¬<lb/> tholischen Führer aufgenommen haben, nichts weniger als billigen.<lb/> Wir wollen hier auf den Kern der deutschkatholischen Bewegung<lb/> nicht eingehen, obgleich wir über die Tact- und um grade heraus<lb/> zu reden, über die Talentlosigkeit ihrer Führer manches zu sagen<lb/> hätten. Der Deutschkatholicismus hätte, wenn Männer von Genie,<lb/> von innerem Schwerpunkt, von einer über den Augenblick hinausrei¬<lb/> chenden Klugheit an seiner Spitze gestanden hätten, von unberechen¬<lb/> baren Folgen sein können, er hätte unabsehbare Eroberungen im</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0014]
bringt: den Indifferentismus. Wenn die protestantische Kirche ge¬
rade in diesem Augenblicke an einem ihrer Wendepunkte steht, wenn
das Wühlen der Kritik und der philosophischen Fortbildung sie in
ihren, Hauptwurzeln erschüttert, so hat das seinen Grund darin,
daß eben Kritik und Fortbildung im Grundwesen des Protestantin
aus liegt. Aber gerade so liegt in den weichen, gedankenlosen
Formen der katholischen Kirche die allmälige Folge des mechanischen
Gottesdienstes: der Indifferentismus. Hätte man diesen ungestört
fortvegetiren lassen, so hätte der geistige Fortschritt, der Widerwille
gegen alles Faradische, die freiere Weltanschauung, unter den ge¬
bildeten Ständen der katholischen Welt mehr um sich gegriffen,
als jetzt die donnernde Polemik der protestantischen Presse ihr er¬
obern wird. Ja, der Erfolg dieser Polemik ist ein ganz entgegen¬
gesetzter; die Lauer, die Eingeschläferten unter den Katholiken, die
lange Zeit allen Ceremonien fremd wurden, oder ihren Humor
daran übten, haben diese fortgesetzten Angriffe wieder zu ihrer Fahne
gelockt, und sie vertheidigen mit gleicher Heftigkeit jetzt als Familien-
und Parteisache, was ihnen früher gleichgiltig, wenn nicht gar lä¬
stig war. Wir fanden letzthin in Leipzig einen durch Verdienst und
Geist in Deutschland wohlbekannten süddeutschen Officier, einen hei¬
tern, lebensfroher und nichts weniger als fanatischen Mann, einen
Katholiken; wir sprachen ihm von den Neligionsbewegungen in
Deutschland und er beklagte sich über die Bitterkeit der protestan¬
tischen Polemik. „Sehen Sie," sagte er, „ich bin fünfzehn Jahr
nicht in die Mess' gegangen, aber jetzt leg' ich das Betbüchl gar
nicht aus der Hand, denn 's ist für uns eine Ehrensache geworden."
Von diesem Gesichtspunkte aus kann man auch die Demon¬
strationen, mit welchen einige protestantische Städte die deutschka¬
tholischen Führer aufgenommen haben, nichts weniger als billigen.
Wir wollen hier auf den Kern der deutschkatholischen Bewegung
nicht eingehen, obgleich wir über die Tact- und um grade heraus
zu reden, über die Talentlosigkeit ihrer Führer manches zu sagen
hätten. Der Deutschkatholicismus hätte, wenn Männer von Genie,
von innerem Schwerpunkt, von einer über den Augenblick hinausrei¬
chenden Klugheit an seiner Spitze gestanden hätten, von unberechen¬
baren Folgen sein können, er hätte unabsehbare Eroberungen im
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