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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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Kirche als einen morschen Ban, als hohl uno innerlich verfault,
der den Stößen der Vernunft nicht mehr widerstehen kann, und um
stößt man mit einer Leidenschaftlichkeit und einer Rücksichtslosigkeit
darauf zu, welche die Gegner empören, reizen und zu gleichem,
wenn nicht noch heftigem und leidenschaftlichem Stößen veranlassen
muß. Wir sprechen hier nicht von dem Clerus. Die privilegirten
Gottessoldaten zählen in beiden Lagern eine große Menge, welche
gleich ehrgeizig, gleich fanatisch, gleich herrschsüchtig und vernich-
tungölustig ist. Die katholische Geistlichkeit hat noch obenein viel
von dem Hochmuth der alten Reichsritter und aristokratischen Mus-
quetairs, die ihren Stammbaum nicht vergessen können, und abge¬
sehen von dem gewöhnlichen Haß gegen das feindliche Heer auch
noch mit aristokratischem Dünkel auf die republcianischen Parvenues,
die gegen sie fechten, herabsehen. Die protestantischen Geistlichen
dagegen sind wie die schlechtbezcchltcn Officiere des Nationalconvents,
Jeder ist auf sein Schwert angewiesen, Jeder glaubt den Mar¬
schallsstab in der Tasche zu führen, und darum sind sie um so "er¬
pichter auf den Kampf, darum fechten sie um so hitziger, Mann
gegen Mann. Die katholischen Priester, die ein gemeinsames Ober¬
haupt und eine seit einem Jahrtausend geübte Artillerie haben,
kämpfen gerne in Massen, während die protestantischen den
Einzelnkampf dem Kleingewehrfeuer vorziehn. Diese stehenden Heere
der Gotteskrieger haben alle Laster der stehenden Heere überhaupt
und von ihnen sprechen wir also nicht. Aber die Laien, die fried¬
lichen Völkerschaften, die angewiesen sind, in Eintracht und Ver¬
bindung miteinander zu leben, und Einer dem Andern die Schwach¬
heiten und Eitelkeiten und wenn man will -- die Dummheiten zü
vergeben und nachzusehen aus guter Nachbarschaft, welche Tarantel
hat sie gestochen, daß sie plötzlich gegen einander losfahren in Wuth
und drohendem Haß. Die Protestanten welche den überwiegenden
Verstand und die größere Objektivität für sich in Anspruch nehmen,
und zum Theil mit großem Recht, vergessen, daß weder Kritik noch
Vernunftgründe eine compacte religiöse Masse auseinandersprengen
kann, die eben die Beseitigung aller religiösen Kritik als eine ihrer
ersten Bedingungen betrachtet; sie vergessen, daß sie durch die
Heftigkeit ihrer Polemik gerade dasjenige Element im Katholicismus
stören, welches in seinem Umsichgreifen ihnen die größten Vortheile


Kirche als einen morschen Ban, als hohl uno innerlich verfault,
der den Stößen der Vernunft nicht mehr widerstehen kann, und um
stößt man mit einer Leidenschaftlichkeit und einer Rücksichtslosigkeit
darauf zu, welche die Gegner empören, reizen und zu gleichem,
wenn nicht noch heftigem und leidenschaftlichem Stößen veranlassen
muß. Wir sprechen hier nicht von dem Clerus. Die privilegirten
Gottessoldaten zählen in beiden Lagern eine große Menge, welche
gleich ehrgeizig, gleich fanatisch, gleich herrschsüchtig und vernich-
tungölustig ist. Die katholische Geistlichkeit hat noch obenein viel
von dem Hochmuth der alten Reichsritter und aristokratischen Mus-
quetairs, die ihren Stammbaum nicht vergessen können, und abge¬
sehen von dem gewöhnlichen Haß gegen das feindliche Heer auch
noch mit aristokratischem Dünkel auf die republcianischen Parvenues,
die gegen sie fechten, herabsehen. Die protestantischen Geistlichen
dagegen sind wie die schlechtbezcchltcn Officiere des Nationalconvents,
Jeder ist auf sein Schwert angewiesen, Jeder glaubt den Mar¬
schallsstab in der Tasche zu führen, und darum sind sie um so »er¬
pichter auf den Kampf, darum fechten sie um so hitziger, Mann
gegen Mann. Die katholischen Priester, die ein gemeinsames Ober¬
haupt und eine seit einem Jahrtausend geübte Artillerie haben,
kämpfen gerne in Massen, während die protestantischen den
Einzelnkampf dem Kleingewehrfeuer vorziehn. Diese stehenden Heere
der Gotteskrieger haben alle Laster der stehenden Heere überhaupt
und von ihnen sprechen wir also nicht. Aber die Laien, die fried¬
lichen Völkerschaften, die angewiesen sind, in Eintracht und Ver¬
bindung miteinander zu leben, und Einer dem Andern die Schwach¬
heiten und Eitelkeiten und wenn man will — die Dummheiten zü
vergeben und nachzusehen aus guter Nachbarschaft, welche Tarantel
hat sie gestochen, daß sie plötzlich gegen einander losfahren in Wuth
und drohendem Haß. Die Protestanten welche den überwiegenden
Verstand und die größere Objektivität für sich in Anspruch nehmen,
und zum Theil mit großem Recht, vergessen, daß weder Kritik noch
Vernunftgründe eine compacte religiöse Masse auseinandersprengen
kann, die eben die Beseitigung aller religiösen Kritik als eine ihrer
ersten Bedingungen betrachtet; sie vergessen, daß sie durch die
Heftigkeit ihrer Polemik gerade dasjenige Element im Katholicismus
stören, welches in seinem Umsichgreifen ihnen die größten Vortheile


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[0013] Kirche als einen morschen Ban, als hohl uno innerlich verfault, der den Stößen der Vernunft nicht mehr widerstehen kann, und um stößt man mit einer Leidenschaftlichkeit und einer Rücksichtslosigkeit darauf zu, welche die Gegner empören, reizen und zu gleichem, wenn nicht noch heftigem und leidenschaftlichem Stößen veranlassen muß. Wir sprechen hier nicht von dem Clerus. Die privilegirten Gottessoldaten zählen in beiden Lagern eine große Menge, welche gleich ehrgeizig, gleich fanatisch, gleich herrschsüchtig und vernich- tungölustig ist. Die katholische Geistlichkeit hat noch obenein viel von dem Hochmuth der alten Reichsritter und aristokratischen Mus- quetairs, die ihren Stammbaum nicht vergessen können, und abge¬ sehen von dem gewöhnlichen Haß gegen das feindliche Heer auch noch mit aristokratischem Dünkel auf die republcianischen Parvenues, die gegen sie fechten, herabsehen. Die protestantischen Geistlichen dagegen sind wie die schlechtbezcchltcn Officiere des Nationalconvents, Jeder ist auf sein Schwert angewiesen, Jeder glaubt den Mar¬ schallsstab in der Tasche zu führen, und darum sind sie um so »er¬ pichter auf den Kampf, darum fechten sie um so hitziger, Mann gegen Mann. Die katholischen Priester, die ein gemeinsames Ober¬ haupt und eine seit einem Jahrtausend geübte Artillerie haben, kämpfen gerne in Massen, während die protestantischen den Einzelnkampf dem Kleingewehrfeuer vorziehn. Diese stehenden Heere der Gotteskrieger haben alle Laster der stehenden Heere überhaupt und von ihnen sprechen wir also nicht. Aber die Laien, die fried¬ lichen Völkerschaften, die angewiesen sind, in Eintracht und Ver¬ bindung miteinander zu leben, und Einer dem Andern die Schwach¬ heiten und Eitelkeiten und wenn man will — die Dummheiten zü vergeben und nachzusehen aus guter Nachbarschaft, welche Tarantel hat sie gestochen, daß sie plötzlich gegen einander losfahren in Wuth und drohendem Haß. Die Protestanten welche den überwiegenden Verstand und die größere Objektivität für sich in Anspruch nehmen, und zum Theil mit großem Recht, vergessen, daß weder Kritik noch Vernunftgründe eine compacte religiöse Masse auseinandersprengen kann, die eben die Beseitigung aller religiösen Kritik als eine ihrer ersten Bedingungen betrachtet; sie vergessen, daß sie durch die Heftigkeit ihrer Polemik gerade dasjenige Element im Katholicismus stören, welches in seinem Umsichgreifen ihnen die größten Vortheile

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/13>, abgerufen am 22.12.2024.