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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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wiß in so und so vielen Exemplaren gedruckt worden sei, daß außer¬
dem sehr viele Bücher unter 20 Bogen erschienen wären, daß also in
dem großen preußischen Staate nicht 560 und einige Bücher, sondern
so und so viel Tausende in's Publikum gebracht worden seien. Ist
das zum Todtlachen oder zum Todtärgern? O gesegnete deutsche Presse!

Was bleibt Einem nun da übrig, als zu schweigen oder sich die
Schellenkappe über die Ohren zu ziehen?


III.
Ans Erfurt.

Mißhandlung eines Kindes. -- Der "Stadt- und Landbote". -- Censurwcchsel.

Der "Erfurter Stadt- und Land-Bote", redigirt vom Buchhänd¬
ler v> Berlepsch und Kaufmann G. Krackrügge, der eine oppositionelle
Tendenz verfolgt, bespricht gegenwärtig eine Angelegenheit, die mit
jener von Caspar Häuser viele Aehnlichkeit hat. Seit länger denn
8 Jahren war in einer sehr reichen adeligen Familie ".der Vater war
Regierungsrath) ein Madchen eingesperrt gehalten, über dessen hohe
Abkunft mancherlei dunkle Gerüchte umgehen. Die Unglückliche war
in Folge von Mißhandlungen und Entbehrungen dem Tode nahe, als
der Stadt- und Landbote sie befreite; er denunciren öffentlich die Fa¬
milie und ihre That. Jetzt ist die Criminaluntersuchung eingeleitet.
Die Unglückliche ist den Eltern entzogen und befindet sich gegenwärtig
in einer öffentlichen Krankenanstalt. Der Stadt- und Landbote ent¬
hält in einer seiner letzten Nummern (103) einen Artikel unter der
Ueberschrift: "Triumph der Oeffentlichkeit," worin er erzählt, daß ihm
erst kürzlich, erst am 27. November, durch ein Mitglied des Bürger-
Hülfsvereins Nachricht von der schauerlichen Begebenheit zugekommen
sei, und dann noch einige Einzelheiten über den Austand mittheilt, in
welchem das Madchen gesunden worden. Fernere Mittheilungen hat
der Censor !)>-. Koch unterdrückt, worüber beim Obercensurgericht Be¬
schwerde erhoben ist. Das Blatt ist überhaupt fortwährend im Streite
mit der Censur und fast jede Nummer ist gefüllt mit obercensurge-
richtlichen, jedoch zum größten Theile freisprechenden Erkenntnissen.
Bisher hatte der erwähnte !>r. Koch, Lehrer an der Bürgerschule, das
Amt des Localcensors zu verwalten, welcher in Folge seiner Censur¬
striche und der sie wieder aufhebenden obercensurgerichtlichen Entschei¬
dungen in eine unbehagliche Stellung gerathen und nun seines ?im^
tes entlassen worden ist. Sein Nachfolger ist der seitherige Bezirks,
censor Regierungsrath Grassunder, den das Gerücht als den strengsten
Censor im ganzen preußischen Lande bezeichnet.


wiß in so und so vielen Exemplaren gedruckt worden sei, daß außer¬
dem sehr viele Bücher unter 20 Bogen erschienen wären, daß also in
dem großen preußischen Staate nicht 560 und einige Bücher, sondern
so und so viel Tausende in's Publikum gebracht worden seien. Ist
das zum Todtlachen oder zum Todtärgern? O gesegnete deutsche Presse!

Was bleibt Einem nun da übrig, als zu schweigen oder sich die
Schellenkappe über die Ohren zu ziehen?


III.
Ans Erfurt.

Mißhandlung eines Kindes. — Der „Stadt- und Landbote". — Censurwcchsel.

Der „Erfurter Stadt- und Land-Bote", redigirt vom Buchhänd¬
ler v> Berlepsch und Kaufmann G. Krackrügge, der eine oppositionelle
Tendenz verfolgt, bespricht gegenwärtig eine Angelegenheit, die mit
jener von Caspar Häuser viele Aehnlichkeit hat. Seit länger denn
8 Jahren war in einer sehr reichen adeligen Familie «.der Vater war
Regierungsrath) ein Madchen eingesperrt gehalten, über dessen hohe
Abkunft mancherlei dunkle Gerüchte umgehen. Die Unglückliche war
in Folge von Mißhandlungen und Entbehrungen dem Tode nahe, als
der Stadt- und Landbote sie befreite; er denunciren öffentlich die Fa¬
milie und ihre That. Jetzt ist die Criminaluntersuchung eingeleitet.
Die Unglückliche ist den Eltern entzogen und befindet sich gegenwärtig
in einer öffentlichen Krankenanstalt. Der Stadt- und Landbote ent¬
hält in einer seiner letzten Nummern (103) einen Artikel unter der
Ueberschrift: „Triumph der Oeffentlichkeit," worin er erzählt, daß ihm
erst kürzlich, erst am 27. November, durch ein Mitglied des Bürger-
Hülfsvereins Nachricht von der schauerlichen Begebenheit zugekommen
sei, und dann noch einige Einzelheiten über den Austand mittheilt, in
welchem das Madchen gesunden worden. Fernere Mittheilungen hat
der Censor !)>-. Koch unterdrückt, worüber beim Obercensurgericht Be¬
schwerde erhoben ist. Das Blatt ist überhaupt fortwährend im Streite
mit der Censur und fast jede Nummer ist gefüllt mit obercensurge-
richtlichen, jedoch zum größten Theile freisprechenden Erkenntnissen.
Bisher hatte der erwähnte !>r. Koch, Lehrer an der Bürgerschule, das
Amt des Localcensors zu verwalten, welcher in Folge seiner Censur¬
striche und der sie wieder aufhebenden obercensurgerichtlichen Entschei¬
dungen in eine unbehagliche Stellung gerathen und nun seines ?im^
tes entlassen worden ist. Sein Nachfolger ist der seitherige Bezirks,
censor Regierungsrath Grassunder, den das Gerücht als den strengsten
Censor im ganzen preußischen Lande bezeichnet.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/603>, abgerufen am 05.02.2025.