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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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stisch nennen, an seinem Schaufenster ausstellt, die Scheiben ein. Das
heißt man Freiheit, Preßfreiheit! Und wahrlich, ich sehne mich nicht
nach der Zeit, da Diejenigen in Deutschland, die jetzt so sehr nach
freier Presse schreien, Freiheit für ihre Presse haben werden. Da
bet' ich lieber wie jene alte Frau in der Fabel: Gott erhalte den Tyran¬
nen, den Tyrannen Dionys!

Und daß wir viel Ursache hatten, uns des Daseins als eines er¬
träglichen zu freuen, das kann man doch eben nicht behaupten. In
Sachsen scheint es in der Journalistik sehr still werden zu sollen.
Was könnte ich Ihnen wohl unter diesen Umstanden zu schreiben wa¬
gen oder Lust haben? Kann ich wissen, was drüben die Approbation
erhalt? Aber ich will mich nicht hinter der jenseitigen Censur ver¬
stecken. Sehen Sie nur die deutschen Zeitungen Stück für Stück
durch, selbst die nicht ausgeschlossen, denen noch die meiste Freiheit
gelassen ist; sehen Sie alles an, was von hier aus in diese Zeitungen
geschrieben wird, dient es nicht alles dem zur Bestätigung, was ich
neulich sagte: es scheint in Berlin nichts vorzugehen, als daß man
alle Tage die religiöse Kutte höher über die Ohren zieht, und daneben,
daß man fabelhafte Geldspeculationen macht? Was fanden Sie unter
dem ganzen Wüste von spaltenlangen Mittheilungen Tüchtiges, Herz-
erfreuendcs, Wahres gesagt? Ergötzliches allerdings. Die Zergereien
zwischen den loyalen und den liberalen Blattern sind Oasen in den
Wüsteneien der Langweiligkeit und Erbärmlichkeit unserer Journalistik.
Die Preußische Allgemeine, die Preußische Zeitung, der Rheinische
Beobachter und die Literarische wetteifern, die Regierung, für deren
Borkampfcr sie nun doch einmal in der allgemeinen Meinung gelten,
zu compromittiren. Gott bewahre mich vor meinen Freunden! könnte
die Regierung in Bezug auf diese Blatter sagen. Kürzlich einmal
suchte die Preußische Allgemeine statistisch -- wie das ihre Licblings-
marotte ist -- zu beweisen, daß die Iwanzigbogenfreiheit in Preußen
keine blos illusorische Begünstigung der Presse sei, nämlich, es seien
vom I. October 1843 bis Mitte des Jahres 1845 in Preußen Werke
über 20 Bogen erschienen: in der Provinz Preußen 4, in Pommern
8, in Posen II. in Westphalen 29, in Schlesien 50, in der Rhein-
provinz 81, in Sachsen 88, in Brandenburg c. 299, zusammen 569
und etliche; von allen diesen seien nur 4 mit Beschlag belegt und
unterdrückt worden. Dieser vortreffliche Beweis vom Aufschwünge der
Presse gab einer andern Zeitung, wenn ich mich recht erinnere, der
Cölnischen, Veranlassung, zu behaupten, daß diese 569 und einige
Bücher ein gar klägliches Resultat für einen Staat wie der preußische
seien. Da wirst sich denn flugs der Rheinische Beobachter in Har"
nisch und setzt der frechen liberalen Zeitung zwei Spalten hindurch
auseinander, daß jene Bücher über 29 Bogen nicht eben fo viele
Bücher, d. h. Exemplare, sondern Werke wären, deren jedes doch ge-


stisch nennen, an seinem Schaufenster ausstellt, die Scheiben ein. Das
heißt man Freiheit, Preßfreiheit! Und wahrlich, ich sehne mich nicht
nach der Zeit, da Diejenigen in Deutschland, die jetzt so sehr nach
freier Presse schreien, Freiheit für ihre Presse haben werden. Da
bet' ich lieber wie jene alte Frau in der Fabel: Gott erhalte den Tyran¬
nen, den Tyrannen Dionys!

Und daß wir viel Ursache hatten, uns des Daseins als eines er¬
träglichen zu freuen, das kann man doch eben nicht behaupten. In
Sachsen scheint es in der Journalistik sehr still werden zu sollen.
Was könnte ich Ihnen wohl unter diesen Umstanden zu schreiben wa¬
gen oder Lust haben? Kann ich wissen, was drüben die Approbation
erhalt? Aber ich will mich nicht hinter der jenseitigen Censur ver¬
stecken. Sehen Sie nur die deutschen Zeitungen Stück für Stück
durch, selbst die nicht ausgeschlossen, denen noch die meiste Freiheit
gelassen ist; sehen Sie alles an, was von hier aus in diese Zeitungen
geschrieben wird, dient es nicht alles dem zur Bestätigung, was ich
neulich sagte: es scheint in Berlin nichts vorzugehen, als daß man
alle Tage die religiöse Kutte höher über die Ohren zieht, und daneben,
daß man fabelhafte Geldspeculationen macht? Was fanden Sie unter
dem ganzen Wüste von spaltenlangen Mittheilungen Tüchtiges, Herz-
erfreuendcs, Wahres gesagt? Ergötzliches allerdings. Die Zergereien
zwischen den loyalen und den liberalen Blattern sind Oasen in den
Wüsteneien der Langweiligkeit und Erbärmlichkeit unserer Journalistik.
Die Preußische Allgemeine, die Preußische Zeitung, der Rheinische
Beobachter und die Literarische wetteifern, die Regierung, für deren
Borkampfcr sie nun doch einmal in der allgemeinen Meinung gelten,
zu compromittiren. Gott bewahre mich vor meinen Freunden! könnte
die Regierung in Bezug auf diese Blatter sagen. Kürzlich einmal
suchte die Preußische Allgemeine statistisch — wie das ihre Licblings-
marotte ist — zu beweisen, daß die Iwanzigbogenfreiheit in Preußen
keine blos illusorische Begünstigung der Presse sei, nämlich, es seien
vom I. October 1843 bis Mitte des Jahres 1845 in Preußen Werke
über 20 Bogen erschienen: in der Provinz Preußen 4, in Pommern
8, in Posen II. in Westphalen 29, in Schlesien 50, in der Rhein-
provinz 81, in Sachsen 88, in Brandenburg c. 299, zusammen 569
und etliche; von allen diesen seien nur 4 mit Beschlag belegt und
unterdrückt worden. Dieser vortreffliche Beweis vom Aufschwünge der
Presse gab einer andern Zeitung, wenn ich mich recht erinnere, der
Cölnischen, Veranlassung, zu behaupten, daß diese 569 und einige
Bücher ein gar klägliches Resultat für einen Staat wie der preußische
seien. Da wirst sich denn flugs der Rheinische Beobachter in Har»
nisch und setzt der frechen liberalen Zeitung zwei Spalten hindurch
auseinander, daß jene Bücher über 29 Bogen nicht eben fo viele
Bücher, d. h. Exemplare, sondern Werke wären, deren jedes doch ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/602>, abgerufen am 05.02.2025.