Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.Nachsatz ist aber mehr als ein Witz, meist ein Schicksal, ein Orakel¬ -- Wie lange ist es her, daß gegen jeden Tropfen Tendenz in "erlag von Fr. Ludw. Herbig. Redacteur I. Kuranda. Druck von Friedrich AndrS. Nachsatz ist aber mehr als ein Witz, meist ein Schicksal, ein Orakel¬ — Wie lange ist es her, daß gegen jeden Tropfen Tendenz in «erlag von Fr. Ludw. Herbig. Redacteur I. Kuranda. Druck von Friedrich AndrS. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0572" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/271833"/> <p xml:id="ID_1504" prev="#ID_1503"> Nachsatz ist aber mehr als ein Witz, meist ein Schicksal, ein Orakel¬<lb/> spruch. Der arme deutsche Dichter! Er schreibt ein Stück, für wel¬<lb/> ches ihm die königliche Hofbühne in Hannover ein für allemal 5<lb/> Louisd'or, die königliche Hofbühnc in Stuttgart 4 Louisd'or u. s. w.<lb/> zahlt, und der Schauspieler, der darin eine Hauptrolle hat, gastirt<lb/> damit und erhalt für einen Abend zwanzig Louisd'or, für den andern<lb/> dreißig Louisd'or. Die Schauspielerin welche die andere Hauptrolle<lb/> hat, wird nebst den goldenen Lorbeeren noch obendrein mit den Pa¬<lb/> pieren der Recensenten belohnt, denn sie ist ein schönes Weib mit sü¬<lb/> ßen coquetten Augen, wahrend der Dichter ein College ist, den der<lb/> Neid nicht aufkommen lassen darf und dessen Erfolge man daher nach<lb/> beliebter Art, einzig und allein dem Verdienste der Darstellung zu¬<lb/> schreiben muß. Aber noch eine ganz andere komischere Anwendung<lb/> der beliebten schauspielerischen Dichter-Eierspeise melden uns so eben<lb/> die Zeitungen. Der Schauspieler Hendrichs in Berlin hat in dem<lb/> Birchpfeifferschen Lustspiele: Die Marquise von Lovilette, die Worte:<lb/> „So lange es noch einen Orleans gibt, wird Frankreichs Ehre niemals<lb/> untergehen," mit besonderem Nachdrucke gesprochen, und am andern<lb/> Tage erhielt er von anonymer Hand ein prachtvolles Geschenk zuge¬<lb/> schickt. Nun muß man die geheime Geschichte dieser Lustspielphrase<lb/> kennen. Madame Birch-Pfeiffer pflegt gewöhnlich bei neuen Stücken<lb/> ihrer Composition, ihren Gatten, den bekannten or. Birch, in Be¬<lb/> zug der historischen Details zu Rathe zu ziehen. Solches war wahr¬<lb/> scheinlich auch bei der Marquise von Lovilette der Fall. Dr. Birch<lb/> aber, der eine Geschichte Louis Philipps geschrieben hat, ist ein gro¬<lb/> ßer Verehrer der Familie Orleans. Der Ursprung jener dramatischen<lb/> Phrase ist also leicht zu erkennen. Und nun erhält der Schauspieler<lb/> Hendrichs ein Geschenk für die Sympathie welche der Gatte der Ver¬<lb/> fasserin hat. Ja, wahrhaftig: Der Dichter legt die Eier und der<lb/> Schauspieler frißt sie aus.</p><lb/> <p xml:id="ID_1505"> — Wie lange ist es her, daß gegen jeden Tropfen Tendenz in<lb/> der Literatur zu Felde gezogen ward? Jetzt ist beinahe Nichts als<lb/> Tendenz, und zwar prosaische, handgreifliche Tendenz übrig geblieben.<lb/> Die schöne Literatur ist gesetzgeberisch geworden, und selbst finanzielle<lb/> Fragen werden künftig in der Form Boccaccio's und Cervantes' ent¬<lb/> schieden werden. Eine Teubner Buchhändlerannonce lautet ganz naiv:<lb/> Mac Lalor, oder muß es eine Kirche geben? und welche? Novelle<lb/> von W. Gärtner. Bald lesen wir vielleicht auch im Meßcatalog:<lb/> Klop Stock, oder sind Prügel durchaus nothwendig ? und wie viel?<lb/> Heldengedicht in vierundzwanzig Gesängen. — Coton Hall, oder sind<lb/> Schutzzölle nöthig? und wie hoch? Roman in drei Bänden.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <note type="byline"> «erlag von Fr. Ludw. Herbig. Redacteur I. Kuranda.<lb/> Druck von Friedrich AndrS.</note><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0572]
Nachsatz ist aber mehr als ein Witz, meist ein Schicksal, ein Orakel¬
spruch. Der arme deutsche Dichter! Er schreibt ein Stück, für wel¬
ches ihm die königliche Hofbühne in Hannover ein für allemal 5
Louisd'or, die königliche Hofbühnc in Stuttgart 4 Louisd'or u. s. w.
zahlt, und der Schauspieler, der darin eine Hauptrolle hat, gastirt
damit und erhalt für einen Abend zwanzig Louisd'or, für den andern
dreißig Louisd'or. Die Schauspielerin welche die andere Hauptrolle
hat, wird nebst den goldenen Lorbeeren noch obendrein mit den Pa¬
pieren der Recensenten belohnt, denn sie ist ein schönes Weib mit sü¬
ßen coquetten Augen, wahrend der Dichter ein College ist, den der
Neid nicht aufkommen lassen darf und dessen Erfolge man daher nach
beliebter Art, einzig und allein dem Verdienste der Darstellung zu¬
schreiben muß. Aber noch eine ganz andere komischere Anwendung
der beliebten schauspielerischen Dichter-Eierspeise melden uns so eben
die Zeitungen. Der Schauspieler Hendrichs in Berlin hat in dem
Birchpfeifferschen Lustspiele: Die Marquise von Lovilette, die Worte:
„So lange es noch einen Orleans gibt, wird Frankreichs Ehre niemals
untergehen," mit besonderem Nachdrucke gesprochen, und am andern
Tage erhielt er von anonymer Hand ein prachtvolles Geschenk zuge¬
schickt. Nun muß man die geheime Geschichte dieser Lustspielphrase
kennen. Madame Birch-Pfeiffer pflegt gewöhnlich bei neuen Stücken
ihrer Composition, ihren Gatten, den bekannten or. Birch, in Be¬
zug der historischen Details zu Rathe zu ziehen. Solches war wahr¬
scheinlich auch bei der Marquise von Lovilette der Fall. Dr. Birch
aber, der eine Geschichte Louis Philipps geschrieben hat, ist ein gro¬
ßer Verehrer der Familie Orleans. Der Ursprung jener dramatischen
Phrase ist also leicht zu erkennen. Und nun erhält der Schauspieler
Hendrichs ein Geschenk für die Sympathie welche der Gatte der Ver¬
fasserin hat. Ja, wahrhaftig: Der Dichter legt die Eier und der
Schauspieler frißt sie aus.
— Wie lange ist es her, daß gegen jeden Tropfen Tendenz in
der Literatur zu Felde gezogen ward? Jetzt ist beinahe Nichts als
Tendenz, und zwar prosaische, handgreifliche Tendenz übrig geblieben.
Die schöne Literatur ist gesetzgeberisch geworden, und selbst finanzielle
Fragen werden künftig in der Form Boccaccio's und Cervantes' ent¬
schieden werden. Eine Teubner Buchhändlerannonce lautet ganz naiv:
Mac Lalor, oder muß es eine Kirche geben? und welche? Novelle
von W. Gärtner. Bald lesen wir vielleicht auch im Meßcatalog:
Klop Stock, oder sind Prügel durchaus nothwendig ? und wie viel?
Heldengedicht in vierundzwanzig Gesängen. — Coton Hall, oder sind
Schutzzölle nöthig? und wie hoch? Roman in drei Bänden.
«erlag von Fr. Ludw. Herbig. Redacteur I. Kuranda.
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