Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.legenheiten vor ein Schiedsgericht treten zu müssen, darum sei dieses -- Von allen Verordnungen und Ordonnanzen, die in Preußen -- In Bezug auf die dramatischen Dichter haben die Theater¬ legenheiten vor ein Schiedsgericht treten zu müssen, darum sei dieses — Von allen Verordnungen und Ordonnanzen, die in Preußen — In Bezug auf die dramatischen Dichter haben die Theater¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0571" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/271832"/> <p xml:id="ID_1501" prev="#ID_1500"> legenheiten vor ein Schiedsgericht treten zu müssen, darum sei dieses<lb/> in delikater schonender Heimlichkeit. „Den Dritten giebt Jeder preis,<lb/> nur für sich will er eine Ausnahme statuiren. Am Rhein ist Alles<lb/> öffentlich, Handels- und Schiedsgerichte, — es ist noch Niemand<lb/> daran gestorben. Geht in die freie Luft und stärkt euer Hautsystem."</p><lb/> <p xml:id="ID_1502"> — Von allen Verordnungen und Ordonnanzen, die in Preußen<lb/> seit fünf Jahren erlassen worden sind, ist gewiß keine so liebenswür¬<lb/> dig und weise wie die letzte von der Berliner Commune eingeführte<lb/> Steuer; sie zeigt von einem zarten Sinn für Natur und Poesie, der<lb/> in dem nüchternen Berlin doppelt rühren und überraschen muß: wir<lb/> meinen die Nachtigallensteucr. Nicht etwa, daß der Sänger der Lieb'<lb/> und Melancholie eine Gewerbetaxe zahlen soll, nein, nur an seine Er¬<lb/> haltung und an seine Freiheit denkt man. Wahrend Leipzig, welches<lb/> einen Literatcnverein und einige Gassen voll Buchhändler und Kritiker<lb/> besitzt, vielleicht «den deshalb so prosaisch ist, die Lerchen schockweise<lb/> zu vertilgen, schützt das kalte, strenge Berlin die Nachtigallen. Wer<lb/> einen Dichtervogel im Käfig halten will, muß dafür künftig eine an¬<lb/> gemessene Steuer entrichten. Viele werden dieses Opfer scheuen und<lb/> so wird im Mai mehr als einer aus dem berliner Käfig in die Frei¬<lb/> heit flattern, und die Jagd auf die Sänger des Haines wird nicht<lb/> mehr Mit so industriösen Eiser betrieben werden. Dieser Schutz ist<lb/> aber auch nothwendig, um das holde Geschlecht der Philomelen nicht<lb/> aussterben zu lassen; denn unter die vielen Ähnlichkeiten, welche die<lb/> Nachtigall mit dem Poeten hat, gehört auch ihr höchst unpraktisches<lb/> Wesen. Sie ist unbesonnen und leichtsinnig, wie ein verliebter<lb/> Schwärmer, und mit blinder Reugier geht sie in jede Schlinge, die<lb/> man vor ihren Augen legt. Der gewandte Spatz, die gelehrte Elster,<lb/> der Rabe, eben so scharfsinnig als Kritiker wie als Eompilator, —<lb/> keiner von all dem luftigen Volk ist so leicht zu fangen wie die arme<lb/> Nachtigall mit dem unscheinbaren Gefieder und der göttlichen Stimme.<lb/> Es giebt Gegenden, aus denen sie bereits verschwunden ist; so hat<lb/> gerade die alte Heimath der Troubadours, die Provence, keine einzige<lb/> Nachtigall mehr und gleicht darin dem stummen unmusikalischen Lande<lb/> der Aankees. Gott bewahre uns vor einem solchen Schicksal. An¬<lb/> dere Länder können sich mit andern Dingen trösten; das Uankeeland<lb/> z. B. hat Ruhm und Freihcitsstcrne, Alles das, worauf wir Lieder<lb/> machen. Aber was wäre Deutschland ohne die Paar Lieder, was wä¬<lb/> ren wir ohne die Nachtigallen!</p><lb/> <p xml:id="ID_1503" next="#ID_1504"> — In Bezug auf die dramatischen Dichter haben die Theater¬<lb/> leute ein ironisches aber wahres Sprichwort: „Der Dichter legt<lb/> die Eier, der Schauspieler frißt sie auf!" Der Witz liegt<lb/> wie man sieht darin, daß man statt des erwarteten: Der Schau¬<lb/> spieler brütet sie aus, einen andern Nachsatz einschiebt. Dieser</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0571]
legenheiten vor ein Schiedsgericht treten zu müssen, darum sei dieses
in delikater schonender Heimlichkeit. „Den Dritten giebt Jeder preis,
nur für sich will er eine Ausnahme statuiren. Am Rhein ist Alles
öffentlich, Handels- und Schiedsgerichte, — es ist noch Niemand
daran gestorben. Geht in die freie Luft und stärkt euer Hautsystem."
— Von allen Verordnungen und Ordonnanzen, die in Preußen
seit fünf Jahren erlassen worden sind, ist gewiß keine so liebenswür¬
dig und weise wie die letzte von der Berliner Commune eingeführte
Steuer; sie zeigt von einem zarten Sinn für Natur und Poesie, der
in dem nüchternen Berlin doppelt rühren und überraschen muß: wir
meinen die Nachtigallensteucr. Nicht etwa, daß der Sänger der Lieb'
und Melancholie eine Gewerbetaxe zahlen soll, nein, nur an seine Er¬
haltung und an seine Freiheit denkt man. Wahrend Leipzig, welches
einen Literatcnverein und einige Gassen voll Buchhändler und Kritiker
besitzt, vielleicht «den deshalb so prosaisch ist, die Lerchen schockweise
zu vertilgen, schützt das kalte, strenge Berlin die Nachtigallen. Wer
einen Dichtervogel im Käfig halten will, muß dafür künftig eine an¬
gemessene Steuer entrichten. Viele werden dieses Opfer scheuen und
so wird im Mai mehr als einer aus dem berliner Käfig in die Frei¬
heit flattern, und die Jagd auf die Sänger des Haines wird nicht
mehr Mit so industriösen Eiser betrieben werden. Dieser Schutz ist
aber auch nothwendig, um das holde Geschlecht der Philomelen nicht
aussterben zu lassen; denn unter die vielen Ähnlichkeiten, welche die
Nachtigall mit dem Poeten hat, gehört auch ihr höchst unpraktisches
Wesen. Sie ist unbesonnen und leichtsinnig, wie ein verliebter
Schwärmer, und mit blinder Reugier geht sie in jede Schlinge, die
man vor ihren Augen legt. Der gewandte Spatz, die gelehrte Elster,
der Rabe, eben so scharfsinnig als Kritiker wie als Eompilator, —
keiner von all dem luftigen Volk ist so leicht zu fangen wie die arme
Nachtigall mit dem unscheinbaren Gefieder und der göttlichen Stimme.
Es giebt Gegenden, aus denen sie bereits verschwunden ist; so hat
gerade die alte Heimath der Troubadours, die Provence, keine einzige
Nachtigall mehr und gleicht darin dem stummen unmusikalischen Lande
der Aankees. Gott bewahre uns vor einem solchen Schicksal. An¬
dere Länder können sich mit andern Dingen trösten; das Uankeeland
z. B. hat Ruhm und Freihcitsstcrne, Alles das, worauf wir Lieder
machen. Aber was wäre Deutschland ohne die Paar Lieder, was wä¬
ren wir ohne die Nachtigallen!
— In Bezug auf die dramatischen Dichter haben die Theater¬
leute ein ironisches aber wahres Sprichwort: „Der Dichter legt
die Eier, der Schauspieler frißt sie auf!" Der Witz liegt
wie man sieht darin, daß man statt des erwarteten: Der Schau¬
spieler brütet sie aus, einen andern Nachsatz einschiebt. Dieser
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