Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.III. Die Politik auf der Bühne. Keine Entgegnung. Es sind in letzterer Zeit der Abhandlungen genug über politische III. Die Politik auf der Bühne. Keine Entgegnung. Es sind in letzterer Zeit der Abhandlungen genug über politische <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0054" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/271315"/> </div> </div> <div n="1"> <head> III.<lb/> Die Politik auf der Bühne.<lb/> Keine Entgegnung.</head><lb/> <p xml:id="ID_128" next="#ID_129"> Es sind in letzterer Zeit der Abhandlungen genug über politische<lb/> Dramen geschrieben worden, und wir wollen nicht Wasser in's Meer<lb/> tragen. Nur zwei Worte erlauben wir uns. Es ist eine scharfe Linie zu<lb/> ziehen zwischen den Dramen, in welchen der Grundkern politisch ist,<lb/> und jenen, bei denen zumeist der Dialog die politische Färbung bringt.<lb/> Jene Urconflicte zwischen Freiheit und Tyrannei, zwischen Herrschsucht<lb/> und Unabhängigkeit, zwischen angeborenem Menschenrecht und vermo¬<lb/> derten Satzungen, zwischen den Regungen neuer Weltideen und den<lb/> Bannformeln der Vorzeit werden unerschöpfliche tragische Momente<lb/> abgeben, sie sind der ewige Quell der wahren politischen Dichtung.<lb/> Shakespeare und Schiller haben daraus geschöpft, und so lange es<lb/> Staaten und Könige und Bürger gibt, werden diese politischen Dich¬<lb/> tungen in den Herzen der Zeitgenossen wie der Urenkel Saiten an¬<lb/> schlagen, die fortvibriren. Anders aber ist es da, wo der Dialog dem<lb/> Stücke die politische Schminke auslegt. Dieses Roth verblaßt mit<lb/> der Zeit, aus der es bereitet ist. Die politischen Dramen Shakes¬<lb/> peare's und Schiller's sind wie Statuen, deren Schönheit durch den<lb/> harmonischen Gliederbau, durch das ewig Göttliche, das daraus leuch¬<lb/> tet, bleibend ist. Die dialogisirte Politik der Neuzeit aber verdankt<lb/> ihren Hauptreiz der Toilette, sie werden so lange wirken, als diese<lb/> Toilettstücke Mode sind. Darum muß man im Interesse der Kunst<lb/> vor dieser Art Reizmittel warnen. Wenn die Zuschauer erst in's Thea¬<lb/> ter gehen, um das Kleid der neuen Schauspielerin zu besehen, dann<lb/> ist es um die Kunst geschehen. Und was ist dieser coquette Dialog<lb/> anders als ein solches Kleid? Wir wollen nicht pedantisch jedes<lb/> äußere Reizmittel verbannt sehen, aber diese Reizmittel dürfen nicht<lb/> überwiegend sein. Aber — hört man —- durch die politischen An¬<lb/> spielungen und Pointen wird die öffentliche Meinung rege gehalten,<lb/> wird der politische Sinn des Volkes geschärft. Dies ist ein Vorur¬<lb/> theil, das die kurze Erfahrung der letzten Zeit widerlegt hat. Nicht<lb/> angeregt — abgestumpft wird der politische Sinn des deutschen Pu¬<lb/> blikums durch derlei Bühnenraketen, und gerade um nicht die Hebel<lb/> abgegriffen zu sehen, müssen wir so sehnlichst als möglich diese poli¬<lb/> tischen Feuerwerke von der Bühne wegwünschen. Es ist mit unseren<lb/> politischen Mißbeständen wie mit Jemand, der einen Höcker hat.<lb/> Das Bewußtsein seiner mißgestalteten Figur macht ihn so lange un¬<lb/> glücklich, als man mit einer gewissen Scheu, mit schmerzlichem Mit¬<lb/> gefühl davon spricht. Laßt ihn aber erst eine Zeit lang unter einer<lb/> Gesellschaft schonungsloser Spötter zugebracht haben, laßt ihn nur erst<lb/> unter der Traufe rücksichtsloser Witze recht häusig gestanden haben,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0054]
III.
Die Politik auf der Bühne.
Keine Entgegnung.
Es sind in letzterer Zeit der Abhandlungen genug über politische
Dramen geschrieben worden, und wir wollen nicht Wasser in's Meer
tragen. Nur zwei Worte erlauben wir uns. Es ist eine scharfe Linie zu
ziehen zwischen den Dramen, in welchen der Grundkern politisch ist,
und jenen, bei denen zumeist der Dialog die politische Färbung bringt.
Jene Urconflicte zwischen Freiheit und Tyrannei, zwischen Herrschsucht
und Unabhängigkeit, zwischen angeborenem Menschenrecht und vermo¬
derten Satzungen, zwischen den Regungen neuer Weltideen und den
Bannformeln der Vorzeit werden unerschöpfliche tragische Momente
abgeben, sie sind der ewige Quell der wahren politischen Dichtung.
Shakespeare und Schiller haben daraus geschöpft, und so lange es
Staaten und Könige und Bürger gibt, werden diese politischen Dich¬
tungen in den Herzen der Zeitgenossen wie der Urenkel Saiten an¬
schlagen, die fortvibriren. Anders aber ist es da, wo der Dialog dem
Stücke die politische Schminke auslegt. Dieses Roth verblaßt mit
der Zeit, aus der es bereitet ist. Die politischen Dramen Shakes¬
peare's und Schiller's sind wie Statuen, deren Schönheit durch den
harmonischen Gliederbau, durch das ewig Göttliche, das daraus leuch¬
tet, bleibend ist. Die dialogisirte Politik der Neuzeit aber verdankt
ihren Hauptreiz der Toilette, sie werden so lange wirken, als diese
Toilettstücke Mode sind. Darum muß man im Interesse der Kunst
vor dieser Art Reizmittel warnen. Wenn die Zuschauer erst in's Thea¬
ter gehen, um das Kleid der neuen Schauspielerin zu besehen, dann
ist es um die Kunst geschehen. Und was ist dieser coquette Dialog
anders als ein solches Kleid? Wir wollen nicht pedantisch jedes
äußere Reizmittel verbannt sehen, aber diese Reizmittel dürfen nicht
überwiegend sein. Aber — hört man —- durch die politischen An¬
spielungen und Pointen wird die öffentliche Meinung rege gehalten,
wird der politische Sinn des Volkes geschärft. Dies ist ein Vorur¬
theil, das die kurze Erfahrung der letzten Zeit widerlegt hat. Nicht
angeregt — abgestumpft wird der politische Sinn des deutschen Pu¬
blikums durch derlei Bühnenraketen, und gerade um nicht die Hebel
abgegriffen zu sehen, müssen wir so sehnlichst als möglich diese poli¬
tischen Feuerwerke von der Bühne wegwünschen. Es ist mit unseren
politischen Mißbeständen wie mit Jemand, der einen Höcker hat.
Das Bewußtsein seiner mißgestalteten Figur macht ihn so lange un¬
glücklich, als man mit einer gewissen Scheu, mit schmerzlichem Mit¬
gefühl davon spricht. Laßt ihn aber erst eine Zeit lang unter einer
Gesellschaft schonungsloser Spötter zugebracht haben, laßt ihn nur erst
unter der Traufe rücksichtsloser Witze recht häusig gestanden haben,
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