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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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fühlt, daß eS grau wird. Meine Zeit ist um, sagt es, die armen'
Kinder laufen barfuß zwischen den Furchen und lesen die Aehren
auf; was soll ich hier allein zwischen Rüben und Kartoffeln? --
So geht die Erzählung fort. Die Entstehung des Haferbreis ist ge-
rade zu Ende erklärt, wie er selbst zu Ende gegessen ist und die Kin¬
der in die Schule müssen. Die Moral des Liedes braucht man wohl
nicht erst auszusprechen? --

In dieser Weise hat Hebel viele Lieder geschrieben, und manche
behandeln mit derselben Einfachheit die erhabensten Gegenstände. Zu
den großartigsten Gemälden braucht er oft keinen größern Nahmen,
als die Thür einer Dorfhütte oder ein Schcunenthor. Es ist un¬
möglich, mit ergreifenderen Zügen die Vergänglichkeit des Irdischen
zu erklären, wie dies Hebel in einem kurzen Gespräch zwischen Vater
und Sohn thut. Es ist Nacht und die Wanderer gehen auf der
Straße nach Basel. Der Kleine beginnt mit der Frage: Wird denn
unser Haus auch einmal aussehen wie die Schloßruine da oben?
Gewiß, sagt der Alte. Sieh mich nur an. Einst war ich klein und
jung wie Du; jetzt mag ich mich wenden wohin ich will, jeder mei¬
ner Schritte führt zum Kirchhof. Bald werden die Ziegen auf mei¬
nem Grabe weiden und Du wirst erwachsen sein. Auch unser Haus
wird altern. Die Sonne schwärzt es jeden Tag, der Wurm nagt
an seinen Balken, der Regen wird zum Dach hineinkriechen, der
Wind durch die Spalten pfeifen. Dann wirst Du die Augen schlie¬
ßen und Deine Kinder werden das Haus zu stützen suchen, aber
vergebens. -- So von dem kleinen Bauernhause kommt der Alte
auf das Dorf, über welches einst der Pflug hingehen wird, dann
auf die mächtige Stadt Basel, die auch einst zu Grabe gehen muß,
und zuletzt auf den Weltuntergang. Die Uebergänge sind so natür¬
lich und die Bilder so ganz der Anschauungsweise des Bauernknaben
entlehnt, daß man zugleich von der Naivetät der Einkleidung ergötzt
und von der Macht der Gedanken ergriffen wird. Das Gedicht ist
eine tragische Idylle; der Dichter erscheint uns darin als Milton und
Theokrit in einer Person. Wir können uns nicht enthalten, auch den
erhebenden Schluß dieses Liedes anzudeuten. "Weine nicht, mein
Kind; -- so ungefähr sagt der Alte -- wenn der Weltbrand im Er¬
löschen ist, dann werden die guten Menschen alle geborgen sein.
Siehst Du, wie am hellen Himmel sich ein Stern an den andern


fühlt, daß eS grau wird. Meine Zeit ist um, sagt es, die armen'
Kinder laufen barfuß zwischen den Furchen und lesen die Aehren
auf; was soll ich hier allein zwischen Rüben und Kartoffeln? —
So geht die Erzählung fort. Die Entstehung des Haferbreis ist ge-
rade zu Ende erklärt, wie er selbst zu Ende gegessen ist und die Kin¬
der in die Schule müssen. Die Moral des Liedes braucht man wohl
nicht erst auszusprechen? —

In dieser Weise hat Hebel viele Lieder geschrieben, und manche
behandeln mit derselben Einfachheit die erhabensten Gegenstände. Zu
den großartigsten Gemälden braucht er oft keinen größern Nahmen,
als die Thür einer Dorfhütte oder ein Schcunenthor. Es ist un¬
möglich, mit ergreifenderen Zügen die Vergänglichkeit des Irdischen
zu erklären, wie dies Hebel in einem kurzen Gespräch zwischen Vater
und Sohn thut. Es ist Nacht und die Wanderer gehen auf der
Straße nach Basel. Der Kleine beginnt mit der Frage: Wird denn
unser Haus auch einmal aussehen wie die Schloßruine da oben?
Gewiß, sagt der Alte. Sieh mich nur an. Einst war ich klein und
jung wie Du; jetzt mag ich mich wenden wohin ich will, jeder mei¬
ner Schritte führt zum Kirchhof. Bald werden die Ziegen auf mei¬
nem Grabe weiden und Du wirst erwachsen sein. Auch unser Haus
wird altern. Die Sonne schwärzt es jeden Tag, der Wurm nagt
an seinen Balken, der Regen wird zum Dach hineinkriechen, der
Wind durch die Spalten pfeifen. Dann wirst Du die Augen schlie¬
ßen und Deine Kinder werden das Haus zu stützen suchen, aber
vergebens. — So von dem kleinen Bauernhause kommt der Alte
auf das Dorf, über welches einst der Pflug hingehen wird, dann
auf die mächtige Stadt Basel, die auch einst zu Grabe gehen muß,
und zuletzt auf den Weltuntergang. Die Uebergänge sind so natür¬
lich und die Bilder so ganz der Anschauungsweise des Bauernknaben
entlehnt, daß man zugleich von der Naivetät der Einkleidung ergötzt
und von der Macht der Gedanken ergriffen wird. Das Gedicht ist
eine tragische Idylle; der Dichter erscheint uns darin als Milton und
Theokrit in einer Person. Wir können uns nicht enthalten, auch den
erhebenden Schluß dieses Liedes anzudeuten. „Weine nicht, mein
Kind; — so ungefähr sagt der Alte — wenn der Weltbrand im Er¬
löschen ist, dann werden die guten Menschen alle geborgen sein.
Siehst Du, wie am hellen Himmel sich ein Stern an den andern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/536>, abgerufen am 05.02.2025.