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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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vorigen Herbste diese Jagden ihren Anfang. Eine edle Gräfin, be-
kannt durch mehre rühmliche Thaten, worunter z. B. die eigenthüm¬
liche und charakteristische Belustigung gehört, die Dorfkinder unter
dem Altane des Schlosses zu versammeln, um denselben Eier auf die
Köpfe zu werfen und sich daran zu vergnügen, wie der gelbe Inhalt
derselben über die Gesichter der Getroffenen herunterfließt, ward zur
Diana auserkohren. Große Jagdfestc wurden ganze Wochen durch
auf den verschiedenen, in der Nähe liegenden Gütern der Theilneh-
mer gehalten, und zahllose Flaschen dabei ausgestochen. Am Morgen
nach eingenommenem guten Frühstücke, bei denen natürlich der Port¬
wein und der Madeira die Herzen entzünden, und wobei auch die
Mehrzahl der Damen es nicht verschmähet, ein starkes "Wenig" an
dem Feuertranke zu nippen, versammelt sich die Gesellschaft, um die
Jagd zu beginnen. Die Herren alle in rothen Phantasie-Fracks, en¬
gen weißen Hosen, Stulpstiefeln und schwarzen Sammetkappen; die
Damen, welche als Amazonen mit reiten wollen, in langen wallen¬
den Neitkleidern von derselben Farbe, und eben solcher Kopfbedeckung
wie die Männer. Mit Peirschengeknall und Hundegebell zieht die
Gesellschaft durch die schlechten Wege des aus elenden Lehmhütten
bestehenden Dorfes auf das freie Feld. Ein armer Hase ist von den
Spürhunden aus dem bergenden Kartoffelfelde aufgetrieben und sucht
mit schnellen Läufen ein rettendes Gehölz. Laut klaffend folgt die
Schaar der Hunde seiner Fährte, die Jager, Damen wie Herren,
spornen oder peitschen ihre Renner zu rascherer Gangart und bemühen
sich, bei den Hunden zu bleiben. Durch Dick und Dünn, über be¬
baute wie unbebaute Felder geht nun die Jagd. Immer weiß der
Hase durch Wendungen und plötzliche Veränderungen seines Laufes
seinen Verfolgern zu entfliehen. Einzelne Reiter bleiben aus Scho¬
nung ihrer edlen Rosse, oder weil sie etwa vorkommende gefährliche
Passagen scheuen, schon zurück, die Mehrzahl aber, und unter dieser
namentlich die mitreitenden Damen, schont weder Sporn noch Peit¬
sche, um ja den Fang aus rechter Nähe mit ansehen zu können.
Endlich, oft nach stundenlangen Jagen, haben die Hunde das
aus Ermattung niedergestürzte Thier erreicht, dem die Todesangst
schreiende Töne entlockt. Unter ihren wüthenden Bissen und Zerren
findet er sein qualvolles Ende. Begierig weiden sich die im Kreise
rings versammelten Jäger an diesem edlen Schauspiele. So wird
die Jagd noch einige Male wiederholt, bis endlich die völlige Erschö¬
pfung der Pferde, die mit vom Sporn zerrissenen Flanken, über und
über mit Schaum bedeckt und keuchend die Lust einathmend, einen
traurigen Anblick gewahren, und oft an einem einzigen Morgen um
einiger Hasen willen für immer ruinirt sind, Einhalt gebietet. Die
Beute am Sattel befestigt, zieht die Jagdgesellschaft wieder ins Schloß
zurück, ungemein befriedigt von dem so gut angewandten Morgen.


vorigen Herbste diese Jagden ihren Anfang. Eine edle Gräfin, be-
kannt durch mehre rühmliche Thaten, worunter z. B. die eigenthüm¬
liche und charakteristische Belustigung gehört, die Dorfkinder unter
dem Altane des Schlosses zu versammeln, um denselben Eier auf die
Köpfe zu werfen und sich daran zu vergnügen, wie der gelbe Inhalt
derselben über die Gesichter der Getroffenen herunterfließt, ward zur
Diana auserkohren. Große Jagdfestc wurden ganze Wochen durch
auf den verschiedenen, in der Nähe liegenden Gütern der Theilneh-
mer gehalten, und zahllose Flaschen dabei ausgestochen. Am Morgen
nach eingenommenem guten Frühstücke, bei denen natürlich der Port¬
wein und der Madeira die Herzen entzünden, und wobei auch die
Mehrzahl der Damen es nicht verschmähet, ein starkes „Wenig" an
dem Feuertranke zu nippen, versammelt sich die Gesellschaft, um die
Jagd zu beginnen. Die Herren alle in rothen Phantasie-Fracks, en¬
gen weißen Hosen, Stulpstiefeln und schwarzen Sammetkappen; die
Damen, welche als Amazonen mit reiten wollen, in langen wallen¬
den Neitkleidern von derselben Farbe, und eben solcher Kopfbedeckung
wie die Männer. Mit Peirschengeknall und Hundegebell zieht die
Gesellschaft durch die schlechten Wege des aus elenden Lehmhütten
bestehenden Dorfes auf das freie Feld. Ein armer Hase ist von den
Spürhunden aus dem bergenden Kartoffelfelde aufgetrieben und sucht
mit schnellen Läufen ein rettendes Gehölz. Laut klaffend folgt die
Schaar der Hunde seiner Fährte, die Jager, Damen wie Herren,
spornen oder peitschen ihre Renner zu rascherer Gangart und bemühen
sich, bei den Hunden zu bleiben. Durch Dick und Dünn, über be¬
baute wie unbebaute Felder geht nun die Jagd. Immer weiß der
Hase durch Wendungen und plötzliche Veränderungen seines Laufes
seinen Verfolgern zu entfliehen. Einzelne Reiter bleiben aus Scho¬
nung ihrer edlen Rosse, oder weil sie etwa vorkommende gefährliche
Passagen scheuen, schon zurück, die Mehrzahl aber, und unter dieser
namentlich die mitreitenden Damen, schont weder Sporn noch Peit¬
sche, um ja den Fang aus rechter Nähe mit ansehen zu können.
Endlich, oft nach stundenlangen Jagen, haben die Hunde das
aus Ermattung niedergestürzte Thier erreicht, dem die Todesangst
schreiende Töne entlockt. Unter ihren wüthenden Bissen und Zerren
findet er sein qualvolles Ende. Begierig weiden sich die im Kreise
rings versammelten Jäger an diesem edlen Schauspiele. So wird
die Jagd noch einige Male wiederholt, bis endlich die völlige Erschö¬
pfung der Pferde, die mit vom Sporn zerrissenen Flanken, über und
über mit Schaum bedeckt und keuchend die Lust einathmend, einen
traurigen Anblick gewahren, und oft an einem einzigen Morgen um
einiger Hasen willen für immer ruinirt sind, Einhalt gebietet. Die
Beute am Sattel befestigt, zieht die Jagdgesellschaft wieder ins Schloß
zurück, ungemein befriedigt von dem so gut angewandten Morgen.


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[0520] vorigen Herbste diese Jagden ihren Anfang. Eine edle Gräfin, be- kannt durch mehre rühmliche Thaten, worunter z. B. die eigenthüm¬ liche und charakteristische Belustigung gehört, die Dorfkinder unter dem Altane des Schlosses zu versammeln, um denselben Eier auf die Köpfe zu werfen und sich daran zu vergnügen, wie der gelbe Inhalt derselben über die Gesichter der Getroffenen herunterfließt, ward zur Diana auserkohren. Große Jagdfestc wurden ganze Wochen durch auf den verschiedenen, in der Nähe liegenden Gütern der Theilneh- mer gehalten, und zahllose Flaschen dabei ausgestochen. Am Morgen nach eingenommenem guten Frühstücke, bei denen natürlich der Port¬ wein und der Madeira die Herzen entzünden, und wobei auch die Mehrzahl der Damen es nicht verschmähet, ein starkes „Wenig" an dem Feuertranke zu nippen, versammelt sich die Gesellschaft, um die Jagd zu beginnen. Die Herren alle in rothen Phantasie-Fracks, en¬ gen weißen Hosen, Stulpstiefeln und schwarzen Sammetkappen; die Damen, welche als Amazonen mit reiten wollen, in langen wallen¬ den Neitkleidern von derselben Farbe, und eben solcher Kopfbedeckung wie die Männer. Mit Peirschengeknall und Hundegebell zieht die Gesellschaft durch die schlechten Wege des aus elenden Lehmhütten bestehenden Dorfes auf das freie Feld. Ein armer Hase ist von den Spürhunden aus dem bergenden Kartoffelfelde aufgetrieben und sucht mit schnellen Läufen ein rettendes Gehölz. Laut klaffend folgt die Schaar der Hunde seiner Fährte, die Jager, Damen wie Herren, spornen oder peitschen ihre Renner zu rascherer Gangart und bemühen sich, bei den Hunden zu bleiben. Durch Dick und Dünn, über be¬ baute wie unbebaute Felder geht nun die Jagd. Immer weiß der Hase durch Wendungen und plötzliche Veränderungen seines Laufes seinen Verfolgern zu entfliehen. Einzelne Reiter bleiben aus Scho¬ nung ihrer edlen Rosse, oder weil sie etwa vorkommende gefährliche Passagen scheuen, schon zurück, die Mehrzahl aber, und unter dieser namentlich die mitreitenden Damen, schont weder Sporn noch Peit¬ sche, um ja den Fang aus rechter Nähe mit ansehen zu können. Endlich, oft nach stundenlangen Jagen, haben die Hunde das aus Ermattung niedergestürzte Thier erreicht, dem die Todesangst schreiende Töne entlockt. Unter ihren wüthenden Bissen und Zerren findet er sein qualvolles Ende. Begierig weiden sich die im Kreise rings versammelten Jäger an diesem edlen Schauspiele. So wird die Jagd noch einige Male wiederholt, bis endlich die völlige Erschö¬ pfung der Pferde, die mit vom Sporn zerrissenen Flanken, über und über mit Schaum bedeckt und keuchend die Lust einathmend, einen traurigen Anblick gewahren, und oft an einem einzigen Morgen um einiger Hasen willen für immer ruinirt sind, Einhalt gebietet. Die Beute am Sattel befestigt, zieht die Jagdgesellschaft wieder ins Schloß zurück, ungemein befriedigt von dem so gut angewandten Morgen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/520>, abgerufen am 05.02.2025.