Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.und so kleinlicher socialer Tyrannei verbunden, und man fragt sich Bis jetzt habe ich Sie schon zu lange mit Büchern unterhalten In Belgien, auf dieser Uebergangsbrücke zwischen den drei wich¬ und so kleinlicher socialer Tyrannei verbunden, und man fragt sich Bis jetzt habe ich Sie schon zu lange mit Büchern unterhalten In Belgien, auf dieser Uebergangsbrücke zwischen den drei wich¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0509" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/271770"/> <p xml:id="ID_1373" prev="#ID_1372"> und so kleinlicher socialer Tyrannei verbunden, und man fragt sich<lb/> unwillkürlich: Ist denn die Kraft nie denkbar ohne Harte, sind viel¬<lb/> leicht andere Völker nur deshalb weicher, weil sie schwacher sind ? Wird<lb/> nur der consequente Egoismus mit so stolzen Erfolgen belohnt? Ist<lb/> die politische Freiheit nur für religiösen und socialen Buchstabendienst<lb/> zu erkaufen und die Große nach Außen nur auf ein gräßliches Hclo-<lb/> tenthum im Innern zu gründen? Kann Reichthum und Fülle nur<lb/> Dem werden, dem das Gold Zweck ist statt Mittel, nur dem Midas,<lb/> der dadurch selber elend wird und Andre elend macht? — Zum<lb/> Schluß will ich noch bemerken, daß der Verf. die Nemesis über Eng¬<lb/> land schon hereinbrechen sieht; nach ihm ist das stolze Albion bereits<lb/> oder bald auf dem Culminationspunkt angelangt, von dem es herab¬<lb/> steigen wird, nicht ohne vorher, durch seine angeborene Riesenkraft,<lb/> noch welterschütternde Thaten zu thun. Vcnedev hat seine Ansicht<lb/> systematisch zu beweisen gesucht und in der raisonnirenden historischen<lb/> Einleitung erklärt er, gleichsam zur Beschwichtigung seines germani¬<lb/> schen Gewissens, wie die ursprünglich gesunden sächsischen Volksele¬<lb/> mente durch die einseitige Entwicklung des Eroberungs- und Handels¬<lb/> geistes allmälig zurückgedrängt und gelähmt wurden. Ich referire blos.<lb/> Ein entscheidendes Urtheil in solchen Dingen würde auch weisern Leu¬<lb/> ten, als ich bin, schwer fallen. England ist eine so eigenthümliche<lb/> und widerspruchsvolle Welt, daß sie die verschiedensten Auffassungen<lb/> zuläßt und daß die schwärzesten Prophezeihungen, wie die heitersten,<lb/> gleich nahe an die Wahrheit streifen können; auch ist zu bedenken,<lb/> daß der Anblick der langen und heftigen Krisis, in der es sich befin¬<lb/> det, jedem Touristen, wenn es nicht eben der harmlose Kohl ist, seine<lb/> Unbefangenheit rauben wird. Freilich, auch Deutschland, Frankreich<lb/> und der ganze orbis toi-r-ulla ist in einer kritischen Uebergangsperiode<lb/> begriffen. Darum liebt unsere Zeit ja nirgendswo eine parteilose<lb/> Kritik, und nicht einmal Völker- und Länderkunde kann man ruhig<lb/> und behaglich treiben wie einst.</p><lb/> <p xml:id="ID_1374"> Bis jetzt habe ich Sie schon zu lange mit Büchern unterhalten<lb/> lassen Sie uns wieder auf Menschen kommen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1375" next="#ID_1376"> In Belgien, auf dieser Uebergangsbrücke zwischen den drei wich¬<lb/> tigsten Ländern Europas, findet man oft, wenn auch nur vorüberge¬<lb/> hend, die merkwürdigsten Persönlichkeiten von den entgegengesetztesten<lb/> Enden der Erde. Um bei den Deutschen stehen zu bleiben, müssen<lb/> wir hier einen der bedeutendsten Publicisten anführen, welcher der<lb/> deutschen, amerikanischen und englischen Presse zugleich angehört. Es<lb/> ist dies der nordamerikanische Generalconsul Francis Grund, der seit<lb/> einigen Monaten seinen Posten in Bremen mit dem in Antwerpen<lb/> vertauscht hat; eine Art publicistischer Seatsfield, der mit dem einen<lb/> Fuß in Deutschland, mit dem andern in Amerika steht. Francis<lb/> Grund ist ein geborener Wiener, der vor 22 Jahren nach Amerika</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0509]
und so kleinlicher socialer Tyrannei verbunden, und man fragt sich
unwillkürlich: Ist denn die Kraft nie denkbar ohne Harte, sind viel¬
leicht andere Völker nur deshalb weicher, weil sie schwacher sind ? Wird
nur der consequente Egoismus mit so stolzen Erfolgen belohnt? Ist
die politische Freiheit nur für religiösen und socialen Buchstabendienst
zu erkaufen und die Große nach Außen nur auf ein gräßliches Hclo-
tenthum im Innern zu gründen? Kann Reichthum und Fülle nur
Dem werden, dem das Gold Zweck ist statt Mittel, nur dem Midas,
der dadurch selber elend wird und Andre elend macht? — Zum
Schluß will ich noch bemerken, daß der Verf. die Nemesis über Eng¬
land schon hereinbrechen sieht; nach ihm ist das stolze Albion bereits
oder bald auf dem Culminationspunkt angelangt, von dem es herab¬
steigen wird, nicht ohne vorher, durch seine angeborene Riesenkraft,
noch welterschütternde Thaten zu thun. Vcnedev hat seine Ansicht
systematisch zu beweisen gesucht und in der raisonnirenden historischen
Einleitung erklärt er, gleichsam zur Beschwichtigung seines germani¬
schen Gewissens, wie die ursprünglich gesunden sächsischen Volksele¬
mente durch die einseitige Entwicklung des Eroberungs- und Handels¬
geistes allmälig zurückgedrängt und gelähmt wurden. Ich referire blos.
Ein entscheidendes Urtheil in solchen Dingen würde auch weisern Leu¬
ten, als ich bin, schwer fallen. England ist eine so eigenthümliche
und widerspruchsvolle Welt, daß sie die verschiedensten Auffassungen
zuläßt und daß die schwärzesten Prophezeihungen, wie die heitersten,
gleich nahe an die Wahrheit streifen können; auch ist zu bedenken,
daß der Anblick der langen und heftigen Krisis, in der es sich befin¬
det, jedem Touristen, wenn es nicht eben der harmlose Kohl ist, seine
Unbefangenheit rauben wird. Freilich, auch Deutschland, Frankreich
und der ganze orbis toi-r-ulla ist in einer kritischen Uebergangsperiode
begriffen. Darum liebt unsere Zeit ja nirgendswo eine parteilose
Kritik, und nicht einmal Völker- und Länderkunde kann man ruhig
und behaglich treiben wie einst.
Bis jetzt habe ich Sie schon zu lange mit Büchern unterhalten
lassen Sie uns wieder auf Menschen kommen.
In Belgien, auf dieser Uebergangsbrücke zwischen den drei wich¬
tigsten Ländern Europas, findet man oft, wenn auch nur vorüberge¬
hend, die merkwürdigsten Persönlichkeiten von den entgegengesetztesten
Enden der Erde. Um bei den Deutschen stehen zu bleiben, müssen
wir hier einen der bedeutendsten Publicisten anführen, welcher der
deutschen, amerikanischen und englischen Presse zugleich angehört. Es
ist dies der nordamerikanische Generalconsul Francis Grund, der seit
einigen Monaten seinen Posten in Bremen mit dem in Antwerpen
vertauscht hat; eine Art publicistischer Seatsfield, der mit dem einen
Fuß in Deutschland, mit dem andern in Amerika steht. Francis
Grund ist ein geborener Wiener, der vor 22 Jahren nach Amerika
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