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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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Man denke sich nur die tausendfachen Abstufungen durch, von den
deutschen Prinzen, die an den vier Enden Europa's, in England,
Nußland, Portugal und Griechenland, auf alte und neue Throne ge¬
pfropft sind, bis zu den armen Flüchtlingen, die allerwärts ihre Mos-
quitoküste finden, d. h. ein Leben das die zahllosen Mosquitostachcl
der Sorge und Sehnsucht, der Unruhe und der Heimathlofigkeit mehr
als picant machen.

Der Refrain aber bleibt: nirgends sind sie die altgermanischen
Eroberer mehr. Im Kaukasus kämpften schon deutsche Cavaliere in
Kosakenuniform gegen die Freiheit der Tscherkessen, in Algier balgen
sich deutsche Demagogen mit Beduinen und Schakalen, zum Besten
der französischen Gloire; in Italien lernen die deutschen Künstler
hesperische Formenschönheit, und das könnte man sich gefallen lassen,
aber o wie ist dort der luxil- tondo"i<:"8 zum Gespötts geworden.
Die Enkel Tell's, die biderben republikanischen Alpensöhne, vermiethen
ihre breiten Fauste für so und so viel Batzen den Tag, trampeln in
Harlekinstracht auf dem Nacken eines gebeugten Volkes herum und
helfen Nom mehr, als die Rongeaner in Leipzig und Breslau ihm
schaden. Seine besseren Kinder verstößt Deutschland nach Frankreich,
Britannien oder Amerika, wo sie als lebendige Zeugen deutscher Eng¬
herzigkeit herumgehen: seine pfiffigen aber steigen in Rußland zu den
höchsten Stellen und werden zu Hause mit Stolz genannt, weil sie,
zum Ruhme deutscher Brauchbarkeit, in die moskowitische Tyrannei
deutsche Methode bringen. Seltsam! in den civilisirten Staaten von
Westeuropa, wo sie die fremde Freiheit mitgenießen, da sind sie weich
und nachgiebig, anglisiren und französiren sich mit mehr Eifer als
Geschick, und erwecken deshalb in der Regel für die Deutschen als
Nation keine große Achtung: in den osteuropaischen Barbareien da¬
gegen, in Polen, Ungarn und Rußland, wo si e als Lichtbringer auf¬
treten, da sind sie steif und prüde, benehmen sich bureaukratisch, pe¬
dantisch und erwecken deshalb in der Regel für die Deutschen als
Nation keine große Liebe. Die freieste, schönste Rolle spielt am Ende
der deutsche Handwerksbursche; singend und "fechtend", wie die alten
Normannen, aber friedlicher, fährt er weit und breit in der Welt
herum, sein Panzerhemd die Blouse, sein Schwert der Knotenstock:
in der Picardie und Provence, in den flandrischen Ebenen, wie auf
den ungarischen Haiden trifft man zuweilen den braven deutschen
Knoten. Aber auch der wurzelt zuletzt gern in der Fremde, vergißt
oder bespöttelt nicht ohne Grund des Wandcrbüchels Zwang, des Her¬
bergsvaters saure Mienen, des Meisters Grobheit und des Altgesellen
Hochmuth, kurz all das Pech, die Pein und den unnützen Trödel
deutscher Zunftphilisterei. Zu Hunderten lassen sich deutsche Hand¬
werksburschen in Frankreich und Belgien nieder, wo man nicht nach ihrem
Meisterdiplom fragt, wenn sie nur meisterlich arbeiten; und das thun sie.


Man denke sich nur die tausendfachen Abstufungen durch, von den
deutschen Prinzen, die an den vier Enden Europa's, in England,
Nußland, Portugal und Griechenland, auf alte und neue Throne ge¬
pfropft sind, bis zu den armen Flüchtlingen, die allerwärts ihre Mos-
quitoküste finden, d. h. ein Leben das die zahllosen Mosquitostachcl
der Sorge und Sehnsucht, der Unruhe und der Heimathlofigkeit mehr
als picant machen.

Der Refrain aber bleibt: nirgends sind sie die altgermanischen
Eroberer mehr. Im Kaukasus kämpften schon deutsche Cavaliere in
Kosakenuniform gegen die Freiheit der Tscherkessen, in Algier balgen
sich deutsche Demagogen mit Beduinen und Schakalen, zum Besten
der französischen Gloire; in Italien lernen die deutschen Künstler
hesperische Formenschönheit, und das könnte man sich gefallen lassen,
aber o wie ist dort der luxil- tondo»i<:»8 zum Gespötts geworden.
Die Enkel Tell's, die biderben republikanischen Alpensöhne, vermiethen
ihre breiten Fauste für so und so viel Batzen den Tag, trampeln in
Harlekinstracht auf dem Nacken eines gebeugten Volkes herum und
helfen Nom mehr, als die Rongeaner in Leipzig und Breslau ihm
schaden. Seine besseren Kinder verstößt Deutschland nach Frankreich,
Britannien oder Amerika, wo sie als lebendige Zeugen deutscher Eng¬
herzigkeit herumgehen: seine pfiffigen aber steigen in Rußland zu den
höchsten Stellen und werden zu Hause mit Stolz genannt, weil sie,
zum Ruhme deutscher Brauchbarkeit, in die moskowitische Tyrannei
deutsche Methode bringen. Seltsam! in den civilisirten Staaten von
Westeuropa, wo sie die fremde Freiheit mitgenießen, da sind sie weich
und nachgiebig, anglisiren und französiren sich mit mehr Eifer als
Geschick, und erwecken deshalb in der Regel für die Deutschen als
Nation keine große Achtung: in den osteuropaischen Barbareien da¬
gegen, in Polen, Ungarn und Rußland, wo si e als Lichtbringer auf¬
treten, da sind sie steif und prüde, benehmen sich bureaukratisch, pe¬
dantisch und erwecken deshalb in der Regel für die Deutschen als
Nation keine große Liebe. Die freieste, schönste Rolle spielt am Ende
der deutsche Handwerksbursche; singend und „fechtend", wie die alten
Normannen, aber friedlicher, fährt er weit und breit in der Welt
herum, sein Panzerhemd die Blouse, sein Schwert der Knotenstock:
in der Picardie und Provence, in den flandrischen Ebenen, wie auf
den ungarischen Haiden trifft man zuweilen den braven deutschen
Knoten. Aber auch der wurzelt zuletzt gern in der Fremde, vergißt
oder bespöttelt nicht ohne Grund des Wandcrbüchels Zwang, des Her¬
bergsvaters saure Mienen, des Meisters Grobheit und des Altgesellen
Hochmuth, kurz all das Pech, die Pein und den unnützen Trödel
deutscher Zunftphilisterei. Zu Hunderten lassen sich deutsche Hand¬
werksburschen in Frankreich und Belgien nieder, wo man nicht nach ihrem
Meisterdiplom fragt, wenn sie nur meisterlich arbeiten; und das thun sie.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/506>, abgerufen am 05.02.2025.