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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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Bedeutung, daß grade auch unter den vorliegenden Taschenbüchern
für 1846 die bedeutendsten jene übertriebene Eleganz der früheren
Almanache aufgegeben haben und sich in einem Format darstellen,
welches das überzierliche Duodez und Sedez überragend sich der ge¬
wohnten Octavform annähert.

Unter allen belletristischen Taschenbüchern der letzten Jahre
möchte ich die bei Brockhaus erscheinende "Urania" obenan stellen.
Sie ist auch das älteste der noch erscheinenden. Schon 1810 wurde
sie begonnen, und besonders seit 1839, d. i. seit dem Beginne ihrer
neuen Folge, begegnen wir darin den Namen der berühmtesten mo¬
dernen Novellisten, ja fast nur diesen. Es sind hier Productionen
zuerst niedergelegt worden, die seitdem einen weitverbreiteten Ruf er¬
langten. Tieck's "des Lebens Ueberfluß", Franz Berthold's "Irrwisch-
Fritze" (1839), Sternberg's "Pulcherie" (1840). Tieck's "Waldein¬
samkeit" (1841), Gutzkow's "Wellenbraut" (1844), so wie seine
"Selbsttaufe" und Sternberg's "scholastica" (1843) sind noch in
frischem Andenken. Auch in diesem Jahre sehen wir dort die Na¬
men Sternberg's, Dingelstedt's, der Verfasserin von Jenny und Clemen-
tine. Allein B. Auerbach's Dorfgeschichte "Sträflinge" nimmt unbe¬
dingt den höchsten Nang unter den dargebotenen Productionen ein.
Es ist vielleicht überhaupt das Vollendetste, was er in seiner Weise
noch geschrieben, und das Poetischste, was er noch je gedichtet. An¬
geschlossen an die früheren durch ganz Deutschland nun wiederklin¬
genden Dorfgeschichten aus Nordstetton und unter deren Menschen
spielend, greift doch der Gang der Ereignisse hier über den engen
Kreis des Dorflebens hinaus, von dorther zwei Sträflinge, nach
überstandenem einsamen Gefängnisse, unter dessen Verhältnisse ein¬
führend. Die Folgen des einsamen Gefängnisses in den Befreiten,
der auf den Bestraften haftende Makel, der sie verfolgt und verfolgt
ohne Aufhören, all' dieser innere Jammer und der unvermeidliche
äußere Schmerz, wie er in ihnen fortnagt, eben weil sie fern gehal¬
ten bleiben von der anderen Gesellschaft, geht an uns vorüber, bis
die äußeren und innerlichen Wirrungen im Anschlusse der ungerecht
Ausgestoßenen an einander ihre poetische Lösung, und die Erzählung
ihre künstlerische Abrundung findet. "Das selig stille Glück stirbt
nicht, es siedelt sich hart neben den unbeugsamen eisernen Geleisen
der neuen Zeit an." In diesem Satze liegt das endliche Resultat,


Bedeutung, daß grade auch unter den vorliegenden Taschenbüchern
für 1846 die bedeutendsten jene übertriebene Eleganz der früheren
Almanache aufgegeben haben und sich in einem Format darstellen,
welches das überzierliche Duodez und Sedez überragend sich der ge¬
wohnten Octavform annähert.

Unter allen belletristischen Taschenbüchern der letzten Jahre
möchte ich die bei Brockhaus erscheinende „Urania" obenan stellen.
Sie ist auch das älteste der noch erscheinenden. Schon 1810 wurde
sie begonnen, und besonders seit 1839, d. i. seit dem Beginne ihrer
neuen Folge, begegnen wir darin den Namen der berühmtesten mo¬
dernen Novellisten, ja fast nur diesen. Es sind hier Productionen
zuerst niedergelegt worden, die seitdem einen weitverbreiteten Ruf er¬
langten. Tieck's „des Lebens Ueberfluß", Franz Berthold's „Irrwisch-
Fritze" (1839), Sternberg's „Pulcherie" (1840). Tieck's „Waldein¬
samkeit" (1841), Gutzkow's „Wellenbraut" (1844), so wie seine
„Selbsttaufe" und Sternberg's „scholastica" (1843) sind noch in
frischem Andenken. Auch in diesem Jahre sehen wir dort die Na¬
men Sternberg's, Dingelstedt's, der Verfasserin von Jenny und Clemen-
tine. Allein B. Auerbach's Dorfgeschichte „Sträflinge" nimmt unbe¬
dingt den höchsten Nang unter den dargebotenen Productionen ein.
Es ist vielleicht überhaupt das Vollendetste, was er in seiner Weise
noch geschrieben, und das Poetischste, was er noch je gedichtet. An¬
geschlossen an die früheren durch ganz Deutschland nun wiederklin¬
genden Dorfgeschichten aus Nordstetton und unter deren Menschen
spielend, greift doch der Gang der Ereignisse hier über den engen
Kreis des Dorflebens hinaus, von dorther zwei Sträflinge, nach
überstandenem einsamen Gefängnisse, unter dessen Verhältnisse ein¬
führend. Die Folgen des einsamen Gefängnisses in den Befreiten,
der auf den Bestraften haftende Makel, der sie verfolgt und verfolgt
ohne Aufhören, all' dieser innere Jammer und der unvermeidliche
äußere Schmerz, wie er in ihnen fortnagt, eben weil sie fern gehal¬
ten bleiben von der anderen Gesellschaft, geht an uns vorüber, bis
die äußeren und innerlichen Wirrungen im Anschlusse der ungerecht
Ausgestoßenen an einander ihre poetische Lösung, und die Erzählung
ihre künstlerische Abrundung findet. „Das selig stille Glück stirbt
nicht, es siedelt sich hart neben den unbeugsamen eisernen Geleisen
der neuen Zeit an." In diesem Satze liegt das endliche Resultat,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/500>, abgerufen am 05.02.2025.