Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.um in einem Beamtenstübchm oder in der Kanzsei eines Advocaten Wenn die Römer nach Deutschland kamen, so sahen sie in un¬ 61-"-
um in einem Beamtenstübchm oder in der Kanzsei eines Advocaten Wenn die Römer nach Deutschland kamen, so sahen sie in un¬ 61-«-
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0483" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/271744"/> <p xml:id="ID_1317" prev="#ID_1316"> um in einem Beamtenstübchm oder in der Kanzsei eines Advocaten<lb/> den Betrieb seiner Wissenschaft kennen zu lernen. Mit Schrecken,<lb/> wenn er die erste Censur, mit Freude, wenn er die dritte im Eramen<lb/> erhalten, bemerkt er nun, daß er die Pandecten als Unterlage, wenn<lb/> der Stuhl zu niedrig ist, die Institutionen getrost zu Fidibus ver¬<lb/> wenden kann. Um so höher steigt seine Verehrung für Tinte, Pa¬<lb/> pier und Feder. Umgeben von einer geweihten Stille, die nur durch<lb/> Federgekritzel und die Handhabung des Sandfasses unterbrochen wird,<lb/> schreibt er Klagen, schreibt er Vertheidigungen, schreibt er Appellatio¬<lb/> nen, schreibt er Fristengesuche, schreibt er Liquidationen. Alle seine<lb/> Handlungen bestehen in der einzigen Handlung des Schreibens.<lb/> Deshalb heißen auch alle seine Schriften Handlungen, not»!<lb/> Ist auf der Universität schon der Respect vor der Schriftlichkeit mit<lb/> ihm verwachsen, so lernt er hier nun die trauliche Stille der Justiz<lb/> schätzen, welche man Heimlichkeit zu nennen pflegt. Heimlich<lb/> und Heimelich — es liegt ja nur ein e zwischen beiden! Unser<lb/> Jurist kann sich nunmehr eine Justiz ohne jene heimeliche und heim¬<lb/> liche Schriftlichkeit ebensowenig denke», als den Menschen ohne Lust,<lb/> als den Fisch ohne Wasser.</p><lb/> <p xml:id="ID_1318" next="#ID_1319"> Wenn die Römer nach Deutschland kamen, so sahen sie in un¬<lb/> seren Knechten ihre Sclaven, in unserem Odin ihren Jupiter, in un¬<lb/> serem Thor ihren Mars, in unseren Vorsitzenden von öffentlichen<lb/> Gerichten und Landtagen Könige nach Art ihrer Kaiser. Wenn die<lb/> Engländer jetzt nach Deutschland kommen, so sehen sie in unseren<lb/> ständischen Versammlungen ihr Parlament, in jedem Nichtercollegium<lb/> ihre Geschwornen, in unseren ccistrirtm Journalen die Preßfreiheit.<lb/> So geht eS auch unseren Juristen. Hier nur zwei warnende Bei¬<lb/> spiele- Herr Gelb in Zürich, ein Jurist, schreibt eine Geschichte des<lb/> bei den alten Römern üblichen Processes, ein Proceß, der mit dem<lb/> englischen die größte Aehnlichkeit hat, das Anklageprincip vollständig<lb/> durchführt, Geschworne zuzieht und durchaus auf Oeffentlichkeit und<lb/> Mündlichkeit gebaut ist. Nichtsdestoweniger bemerkt Herr Gelb durch<lb/> seine juristische Brille des rechten Rheinufers eine Menge inqui¬<lb/> sitorische Elemente im römischen Slrafproceß, ein Fund, den Mit-<lb/> termaier (Archiv des Kriminalrechtes, 184Z, II. Stück) bereits richtig<lb/> gewürdigt hat. — Herr Kostim in Tübingen, ebenfalls ein Jurist,<lb/> findet sich bewogen, für Geschwornengerichte seine Stimme civzuge-</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 61-«-</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0483]
um in einem Beamtenstübchm oder in der Kanzsei eines Advocaten
den Betrieb seiner Wissenschaft kennen zu lernen. Mit Schrecken,
wenn er die erste Censur, mit Freude, wenn er die dritte im Eramen
erhalten, bemerkt er nun, daß er die Pandecten als Unterlage, wenn
der Stuhl zu niedrig ist, die Institutionen getrost zu Fidibus ver¬
wenden kann. Um so höher steigt seine Verehrung für Tinte, Pa¬
pier und Feder. Umgeben von einer geweihten Stille, die nur durch
Federgekritzel und die Handhabung des Sandfasses unterbrochen wird,
schreibt er Klagen, schreibt er Vertheidigungen, schreibt er Appellatio¬
nen, schreibt er Fristengesuche, schreibt er Liquidationen. Alle seine
Handlungen bestehen in der einzigen Handlung des Schreibens.
Deshalb heißen auch alle seine Schriften Handlungen, not»!
Ist auf der Universität schon der Respect vor der Schriftlichkeit mit
ihm verwachsen, so lernt er hier nun die trauliche Stille der Justiz
schätzen, welche man Heimlichkeit zu nennen pflegt. Heimlich
und Heimelich — es liegt ja nur ein e zwischen beiden! Unser
Jurist kann sich nunmehr eine Justiz ohne jene heimeliche und heim¬
liche Schriftlichkeit ebensowenig denke», als den Menschen ohne Lust,
als den Fisch ohne Wasser.
Wenn die Römer nach Deutschland kamen, so sahen sie in un¬
seren Knechten ihre Sclaven, in unserem Odin ihren Jupiter, in un¬
serem Thor ihren Mars, in unseren Vorsitzenden von öffentlichen
Gerichten und Landtagen Könige nach Art ihrer Kaiser. Wenn die
Engländer jetzt nach Deutschland kommen, so sehen sie in unseren
ständischen Versammlungen ihr Parlament, in jedem Nichtercollegium
ihre Geschwornen, in unseren ccistrirtm Journalen die Preßfreiheit.
So geht eS auch unseren Juristen. Hier nur zwei warnende Bei¬
spiele- Herr Gelb in Zürich, ein Jurist, schreibt eine Geschichte des
bei den alten Römern üblichen Processes, ein Proceß, der mit dem
englischen die größte Aehnlichkeit hat, das Anklageprincip vollständig
durchführt, Geschworne zuzieht und durchaus auf Oeffentlichkeit und
Mündlichkeit gebaut ist. Nichtsdestoweniger bemerkt Herr Gelb durch
seine juristische Brille des rechten Rheinufers eine Menge inqui¬
sitorische Elemente im römischen Slrafproceß, ein Fund, den Mit-
termaier (Archiv des Kriminalrechtes, 184Z, II. Stück) bereits richtig
gewürdigt hat. — Herr Kostim in Tübingen, ebenfalls ein Jurist,
findet sich bewogen, für Geschwornengerichte seine Stimme civzuge-
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