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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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über Geschwornengerichte so gemeinfaßlich als möglich für das so¬
genannte Volk, -- der Bürger und Bauer, daran gewöhnt, in öf¬
fentlichen Dingen nicht denken, nicht reden zu dürfe", wird sie nicht
lesen, sondern den Juristen diese Mühe überlassen. Und die deut¬
schen Juristen auf dem rechten Rheinufer?

Auf der Schule haben sie von der Justiz wohl manchmal reden
hören, auch wohl den oder jenen in Ketten über die Straßen führen,
vielleicht auch hängen oder köpfen sehen; aber von der Justiz selbst
haben sie nichts zu Gesicht bekommen. Dann haben sie die Univer¬
sität bezogen. Hier werden sie nunmehr in eine Wissenschaft einge¬
führt, welche gänzlich auf Tinte, Papier und Feder, auf Sadi'ifllich-
keit, auf Actenmacherei begründet ist. Vor allen Dinge" muß nun
das Civilrecht des byzantinischen Kaiserreichs, welches man wohlklin¬
gender das römische nennt, getrieben werden, dann das kanonische
Recht, dann das sogenannte gemeine deutsche Recht, ein Mischmasch
aus allerhand; dann der aus dem kanonischen Rechte entlehnte Ci¬
vilproceß und Jnquisitivnsproceß nebst dem peinlichen Rechte, dem
Lehnrechte und einer Menge anderen Rechten. Ueber alles dieses
werde", um den NechtSjünger auf seinen künftigen Beruf vorzuberei¬
ten, dickleibige Actenbände angelegt, welche man Collegiahefte nennt.
Hiezu kommen nun noch die Schriften der willkürlichen Gerichtsbar¬
keit, -- dann, um aus den Acten eine Verdünnung von jungen Acten
zu machet?, die Referir- und Decretirkunst, -- dann, um in dem La¬
byrinth der aufgestapelten Actenschätze den Faden der Ariadne zu be¬
halten, die Archiv- und Registratmwisscnschaft. Vieles läßt man die
Nechtsjünger auf deutschen Universitäten über die Justiz in Heften
niederschreiben, aber von der Justiz selbst bekommen sie immer noch
nichts weder zu sehen noch zu hören. Nur das Eine ist ihnen klar
und in Fleisch und Blut übergegangen: daß keine Justiz bestehen
kann, daß sie unmöglich ist, ohne Tinte, Papier und Feder, ohne
Acten, ohne Schriftlichkeit. Mündlichkeit, Oeffentlichkeit, Ge-
schwornengerichte, -- die Kunde von dieser Mähr geht wohl manch¬
mal an ihrem Ohre vorbei, -- aber, sollten sie selbst Drang fühlen,
diese Dinge kennen zu lernen, die deutsche Universität ist dafür keine
Quelle.

Mit diesen und ähnlichen Kenntnissen und zugleich mit diesen,
Mangel an Kenntnissen verläßt der angehende Jurist die Universität,


über Geschwornengerichte so gemeinfaßlich als möglich für das so¬
genannte Volk, — der Bürger und Bauer, daran gewöhnt, in öf¬
fentlichen Dingen nicht denken, nicht reden zu dürfe», wird sie nicht
lesen, sondern den Juristen diese Mühe überlassen. Und die deut¬
schen Juristen auf dem rechten Rheinufer?

Auf der Schule haben sie von der Justiz wohl manchmal reden
hören, auch wohl den oder jenen in Ketten über die Straßen führen,
vielleicht auch hängen oder köpfen sehen; aber von der Justiz selbst
haben sie nichts zu Gesicht bekommen. Dann haben sie die Univer¬
sität bezogen. Hier werden sie nunmehr in eine Wissenschaft einge¬
führt, welche gänzlich auf Tinte, Papier und Feder, auf Sadi'ifllich-
keit, auf Actenmacherei begründet ist. Vor allen Dinge» muß nun
das Civilrecht des byzantinischen Kaiserreichs, welches man wohlklin¬
gender das römische nennt, getrieben werden, dann das kanonische
Recht, dann das sogenannte gemeine deutsche Recht, ein Mischmasch
aus allerhand; dann der aus dem kanonischen Rechte entlehnte Ci¬
vilproceß und Jnquisitivnsproceß nebst dem peinlichen Rechte, dem
Lehnrechte und einer Menge anderen Rechten. Ueber alles dieses
werde», um den NechtSjünger auf seinen künftigen Beruf vorzuberei¬
ten, dickleibige Actenbände angelegt, welche man Collegiahefte nennt.
Hiezu kommen nun noch die Schriften der willkürlichen Gerichtsbar¬
keit, — dann, um aus den Acten eine Verdünnung von jungen Acten
zu machet?, die Referir- und Decretirkunst, — dann, um in dem La¬
byrinth der aufgestapelten Actenschätze den Faden der Ariadne zu be¬
halten, die Archiv- und Registratmwisscnschaft. Vieles läßt man die
Nechtsjünger auf deutschen Universitäten über die Justiz in Heften
niederschreiben, aber von der Justiz selbst bekommen sie immer noch
nichts weder zu sehen noch zu hören. Nur das Eine ist ihnen klar
und in Fleisch und Blut übergegangen: daß keine Justiz bestehen
kann, daß sie unmöglich ist, ohne Tinte, Papier und Feder, ohne
Acten, ohne Schriftlichkeit. Mündlichkeit, Oeffentlichkeit, Ge-
schwornengerichte, — die Kunde von dieser Mähr geht wohl manch¬
mal an ihrem Ohre vorbei, — aber, sollten sie selbst Drang fühlen,
diese Dinge kennen zu lernen, die deutsche Universität ist dafür keine
Quelle.

Mit diesen und ähnlichen Kenntnissen und zugleich mit diesen,
Mangel an Kenntnissen verläßt der angehende Jurist die Universität,


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[0482] über Geschwornengerichte so gemeinfaßlich als möglich für das so¬ genannte Volk, — der Bürger und Bauer, daran gewöhnt, in öf¬ fentlichen Dingen nicht denken, nicht reden zu dürfe», wird sie nicht lesen, sondern den Juristen diese Mühe überlassen. Und die deut¬ schen Juristen auf dem rechten Rheinufer? Auf der Schule haben sie von der Justiz wohl manchmal reden hören, auch wohl den oder jenen in Ketten über die Straßen führen, vielleicht auch hängen oder köpfen sehen; aber von der Justiz selbst haben sie nichts zu Gesicht bekommen. Dann haben sie die Univer¬ sität bezogen. Hier werden sie nunmehr in eine Wissenschaft einge¬ führt, welche gänzlich auf Tinte, Papier und Feder, auf Sadi'ifllich- keit, auf Actenmacherei begründet ist. Vor allen Dinge» muß nun das Civilrecht des byzantinischen Kaiserreichs, welches man wohlklin¬ gender das römische nennt, getrieben werden, dann das kanonische Recht, dann das sogenannte gemeine deutsche Recht, ein Mischmasch aus allerhand; dann der aus dem kanonischen Rechte entlehnte Ci¬ vilproceß und Jnquisitivnsproceß nebst dem peinlichen Rechte, dem Lehnrechte und einer Menge anderen Rechten. Ueber alles dieses werde», um den NechtSjünger auf seinen künftigen Beruf vorzuberei¬ ten, dickleibige Actenbände angelegt, welche man Collegiahefte nennt. Hiezu kommen nun noch die Schriften der willkürlichen Gerichtsbar¬ keit, — dann, um aus den Acten eine Verdünnung von jungen Acten zu machet?, die Referir- und Decretirkunst, — dann, um in dem La¬ byrinth der aufgestapelten Actenschätze den Faden der Ariadne zu be¬ halten, die Archiv- und Registratmwisscnschaft. Vieles läßt man die Nechtsjünger auf deutschen Universitäten über die Justiz in Heften niederschreiben, aber von der Justiz selbst bekommen sie immer noch nichts weder zu sehen noch zu hören. Nur das Eine ist ihnen klar und in Fleisch und Blut übergegangen: daß keine Justiz bestehen kann, daß sie unmöglich ist, ohne Tinte, Papier und Feder, ohne Acten, ohne Schriftlichkeit. Mündlichkeit, Oeffentlichkeit, Ge- schwornengerichte, — die Kunde von dieser Mähr geht wohl manch¬ mal an ihrem Ohre vorbei, — aber, sollten sie selbst Drang fühlen, diese Dinge kennen zu lernen, die deutsche Universität ist dafür keine Quelle. Mit diesen und ähnlichen Kenntnissen und zugleich mit diesen, Mangel an Kenntnissen verläßt der angehende Jurist die Universität,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/482>, abgerufen am 05.02.2025.