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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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schaffen konnte. Zudem, heißt es, habe der elastische und schlaue Mi¬
nister Nothomb, mit dem der Handelsvertrag geordnet werden mußte,
dem deutschen Diplomaten manchen Ausweg an die Hand gegeben,
wenn die Schwierigkeiten diesem zu groß wurden, wie denn auch
richtig die Belgier in dem ganzen Tractate sich schlauer als die Deut¬
schen gezeigt haben. Der Vertreter Preußens in der Hauptstadt Frank¬
reichs aber muß ganz andere Aufgaben lösen können, als die Abschlie-
ßung eines Handelstractates. Hier gilt es Kenntnisse mit Geistesge¬
genwart, persönliche Liebenswürdigkeit mit Würde zu paaren, und vor
Allem nicht kleinlich, pietistisch und rauh zu sein. In dieser Bezie¬
hung kann man -- welcher politischen Meinung man auch angehöre
-- der Haltung und dem Geiste des Grafen Arnim mit gutem Ge¬
wissen die vollsten Lobsprüche zollen, und es wäre zu wünschen, daß
ein ihm ähnlicher Nachfolger diesen nicht nur für Preußen, sondern
für alle Deutschen wichtigen Posten erhielte.

Der türkische Gesandte, Raschid-Pascha, hat vorgestern Paris
verlassen. Kor l^xceUenee Monsivui- ttvsvki^ ist ein türkischer Vol-
tairianer, eine Bezeichung, die komisch klingen mag, die aber richtig
ist. Reschid kam im März 1841 hierher und hat somit fast volle
fünf Jahre in Paris gelebt; aber er hatte bereits früher eine vollkom¬
men französische Erziehung genossen, und sein Lehrer, ein französischer
Geniecapitain in Constantinopel, hat ihn gut geschult. Der neue
türkische Großvezier ist ein kleiner Mann mit einem geistreichen Ge¬
sichtsausdrucke, obgleich nichts weniger als hübsch, trotz seines schwar¬
zen Schnurr- und Spitzbartes. Sein Benehmen ist würdig, elegant,
aber sehr reservirt. Er ist Dichter, und seine orientalische Umgebung
soll große Bewunderung für seine Dichtungen haben. Er war hier
bei allen feierlichen Gelegenheiten und in vielen außerdiplomatischen
Gesellschaften zu finden. Ich sah ihn ein Mal in einem Salon, wo
Madame Rachel den Traum der Athalie von Racine declamirte. Da
das Gedränge sehr groß war, so fand der Gesandte des Schatten
Gottes auf der Erde (wie der Sultan bekanntlich genannt wird)
nicht sogleich einen Stuhl und setzte sich ohne Umstände an den Rand
der Estrade zu Füßen der jungen Schauspielerin. Bei dem Allen ist
Reschid ein Mann von strengen Sitten. Er hat -- eine merkwür¬
dige Ausnahme unter seinen Landsleuten -- nur eine einzige Frau,
die er zwar in Constantinopel zurückgelassen hat, für die er aber seine
vier Knaben mitgenommen, deren Erziehung er selbst leitet.

Eine scheußliche Mordthat wurde vorige Woche von einem deut¬
schen Maurergesellen, einem Preußen Namens Lenes, hier begangen.
Der Schullehrer auf dem Montmartre, ein vierundstebzigjahriger Greis,
der seine Frau und drei kleine Kinder nur mühselig ernähren konnte,
kam des Abends in ein Wirthshaus und fragte, ob Niemand ihm
seinen alten Ueberrock abkaufen möchte; der erwähnte Lenes wurde


GreuMe", Isis. IV. 59

schaffen konnte. Zudem, heißt es, habe der elastische und schlaue Mi¬
nister Nothomb, mit dem der Handelsvertrag geordnet werden mußte,
dem deutschen Diplomaten manchen Ausweg an die Hand gegeben,
wenn die Schwierigkeiten diesem zu groß wurden, wie denn auch
richtig die Belgier in dem ganzen Tractate sich schlauer als die Deut¬
schen gezeigt haben. Der Vertreter Preußens in der Hauptstadt Frank¬
reichs aber muß ganz andere Aufgaben lösen können, als die Abschlie-
ßung eines Handelstractates. Hier gilt es Kenntnisse mit Geistesge¬
genwart, persönliche Liebenswürdigkeit mit Würde zu paaren, und vor
Allem nicht kleinlich, pietistisch und rauh zu sein. In dieser Bezie¬
hung kann man — welcher politischen Meinung man auch angehöre
— der Haltung und dem Geiste des Grafen Arnim mit gutem Ge¬
wissen die vollsten Lobsprüche zollen, und es wäre zu wünschen, daß
ein ihm ähnlicher Nachfolger diesen nicht nur für Preußen, sondern
für alle Deutschen wichtigen Posten erhielte.

Der türkische Gesandte, Raschid-Pascha, hat vorgestern Paris
verlassen. Kor l^xceUenee Monsivui- ttvsvki^ ist ein türkischer Vol-
tairianer, eine Bezeichung, die komisch klingen mag, die aber richtig
ist. Reschid kam im März 1841 hierher und hat somit fast volle
fünf Jahre in Paris gelebt; aber er hatte bereits früher eine vollkom¬
men französische Erziehung genossen, und sein Lehrer, ein französischer
Geniecapitain in Constantinopel, hat ihn gut geschult. Der neue
türkische Großvezier ist ein kleiner Mann mit einem geistreichen Ge¬
sichtsausdrucke, obgleich nichts weniger als hübsch, trotz seines schwar¬
zen Schnurr- und Spitzbartes. Sein Benehmen ist würdig, elegant,
aber sehr reservirt. Er ist Dichter, und seine orientalische Umgebung
soll große Bewunderung für seine Dichtungen haben. Er war hier
bei allen feierlichen Gelegenheiten und in vielen außerdiplomatischen
Gesellschaften zu finden. Ich sah ihn ein Mal in einem Salon, wo
Madame Rachel den Traum der Athalie von Racine declamirte. Da
das Gedränge sehr groß war, so fand der Gesandte des Schatten
Gottes auf der Erde (wie der Sultan bekanntlich genannt wird)
nicht sogleich einen Stuhl und setzte sich ohne Umstände an den Rand
der Estrade zu Füßen der jungen Schauspielerin. Bei dem Allen ist
Reschid ein Mann von strengen Sitten. Er hat — eine merkwür¬
dige Ausnahme unter seinen Landsleuten — nur eine einzige Frau,
die er zwar in Constantinopel zurückgelassen hat, für die er aber seine
vier Knaben mitgenommen, deren Erziehung er selbst leitet.

Eine scheußliche Mordthat wurde vorige Woche von einem deut¬
schen Maurergesellen, einem Preußen Namens Lenes, hier begangen.
Der Schullehrer auf dem Montmartre, ein vierundstebzigjahriger Greis,
der seine Frau und drei kleine Kinder nur mühselig ernähren konnte,
kam des Abends in ein Wirthshaus und fragte, ob Niemand ihm
seinen alten Ueberrock abkaufen möchte; der erwähnte Lenes wurde


GreuMe», Isis. IV. 59
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[0465] schaffen konnte. Zudem, heißt es, habe der elastische und schlaue Mi¬ nister Nothomb, mit dem der Handelsvertrag geordnet werden mußte, dem deutschen Diplomaten manchen Ausweg an die Hand gegeben, wenn die Schwierigkeiten diesem zu groß wurden, wie denn auch richtig die Belgier in dem ganzen Tractate sich schlauer als die Deut¬ schen gezeigt haben. Der Vertreter Preußens in der Hauptstadt Frank¬ reichs aber muß ganz andere Aufgaben lösen können, als die Abschlie- ßung eines Handelstractates. Hier gilt es Kenntnisse mit Geistesge¬ genwart, persönliche Liebenswürdigkeit mit Würde zu paaren, und vor Allem nicht kleinlich, pietistisch und rauh zu sein. In dieser Bezie¬ hung kann man — welcher politischen Meinung man auch angehöre — der Haltung und dem Geiste des Grafen Arnim mit gutem Ge¬ wissen die vollsten Lobsprüche zollen, und es wäre zu wünschen, daß ein ihm ähnlicher Nachfolger diesen nicht nur für Preußen, sondern für alle Deutschen wichtigen Posten erhielte. Der türkische Gesandte, Raschid-Pascha, hat vorgestern Paris verlassen. Kor l^xceUenee Monsivui- ttvsvki^ ist ein türkischer Vol- tairianer, eine Bezeichung, die komisch klingen mag, die aber richtig ist. Reschid kam im März 1841 hierher und hat somit fast volle fünf Jahre in Paris gelebt; aber er hatte bereits früher eine vollkom¬ men französische Erziehung genossen, und sein Lehrer, ein französischer Geniecapitain in Constantinopel, hat ihn gut geschult. Der neue türkische Großvezier ist ein kleiner Mann mit einem geistreichen Ge¬ sichtsausdrucke, obgleich nichts weniger als hübsch, trotz seines schwar¬ zen Schnurr- und Spitzbartes. Sein Benehmen ist würdig, elegant, aber sehr reservirt. Er ist Dichter, und seine orientalische Umgebung soll große Bewunderung für seine Dichtungen haben. Er war hier bei allen feierlichen Gelegenheiten und in vielen außerdiplomatischen Gesellschaften zu finden. Ich sah ihn ein Mal in einem Salon, wo Madame Rachel den Traum der Athalie von Racine declamirte. Da das Gedränge sehr groß war, so fand der Gesandte des Schatten Gottes auf der Erde (wie der Sultan bekanntlich genannt wird) nicht sogleich einen Stuhl und setzte sich ohne Umstände an den Rand der Estrade zu Füßen der jungen Schauspielerin. Bei dem Allen ist Reschid ein Mann von strengen Sitten. Er hat — eine merkwür¬ dige Ausnahme unter seinen Landsleuten — nur eine einzige Frau, die er zwar in Constantinopel zurückgelassen hat, für die er aber seine vier Knaben mitgenommen, deren Erziehung er selbst leitet. Eine scheußliche Mordthat wurde vorige Woche von einem deut¬ schen Maurergesellen, einem Preußen Namens Lenes, hier begangen. Der Schullehrer auf dem Montmartre, ein vierundstebzigjahriger Greis, der seine Frau und drei kleine Kinder nur mühselig ernähren konnte, kam des Abends in ein Wirthshaus und fragte, ob Niemand ihm seinen alten Ueberrock abkaufen möchte; der erwähnte Lenes wurde GreuMe», Isis. IV. 59

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/465>, abgerufen am 05.02.2025.