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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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Wie das schiedsrichterliche Urtheil ausfiel; die Macht Mehemed Ali's
ward gebrochen, ohne daß die Macht der Pforte dadurch befestigt
wurde. Der einzige Gewinn des Reiches bestand darin, daß es von
dem ausschließlichen Schutze der nordischen Macht erlöst und unter
den Schatten des allgemeinen europäischen Völkerrechtes gestellt wurde,
wie es seit dem Wiener Congresse giltig ist; aber die Vorhand deS
russischen Einflusses, obwohl vom Papiere verschwunden, blieb darum
doch sehr fühlbar und spielte immer neue und neue Intriguen, bis
endlich am 29. März 1841, wenige Tage nachdem die kaiserliche
Flotte aus ihrer Gefangenschaft im Hafen von Alerandrien heimge¬
segelt kam, der reformatorische Minister seine Entlassung erhielt und
wieder als Gesandter nach Paris geschickt wurde. Zur Versüßung
der Pille bezeigte ihm der Sultan in den huldvollsten Ausdrücken
die glänzendste Anerkennung seiner Verdienste und hing ihm, tout
commv ave? von", einen Nischan der dritten Classe um. Auch diese
Form ist modern, denn in früheren Zeiten pflegte die byzantinische
Hauspolitik ihre Diener mit kostbaren Pelzen zu decoriren; ein Soli¬
deres Geschenk, welches, gleichsam ein Orden über den ganzen Leib,
mehr in die Augen fiel, als die mageren Orden der Neuzeit.

Jetzt hört Europa, welches über die Wandlungen der orienta¬
lischen Politik bereits eben so wenig zu erstaunen gewohnt ist, wie
über die wunderbaren Wechsel in "Tausend und Eine Nacht" daß
Reschid als Minister des Auswärtigen zurückberufen ist. Und warum?
Hat der Sultan vielleicht die Nothwendigkeit einer zeitgemäßeren
Politik eingesehen? Haben Reschio'S aufgeklärte Freunde es dahin
gebracht? Wer weiß? Vielleicht daß der vorige Premier zur un¬
rechten Zeit ausgespuckt, vielleicht daß er dem Nachfolger des Pro¬
pheten, während einer Orgie in den mysteriösen Serailgemächern,
in's Gehege kam, -- genug, der Beherrscher der Gläubigen macht
eine Spazierfahrt auf einem Dampfboote, und bei einer duftenden
Nargileh fällt ihm plötzlich ein, zur Abwechselung eS wieder einmal
mit dem modernen Steuermanne Reschid zu Probiren. Allein eben
so gut hätte eine großherrliche Laune das Portefeuille einem ChoS-
rew, einem Haut oder Achmet an den Kopf werfen können. Gewiß
hat der Einfluß einer auswärtigen Macht die sonst blinde Wahl
des Großtürken auf Reschid gelenkt. In aller Eile wird daher ta-
lillli" ra8s, gemacht; die Erschuster, Schiffsknechte oder Bartkräusler


Wie das schiedsrichterliche Urtheil ausfiel; die Macht Mehemed Ali's
ward gebrochen, ohne daß die Macht der Pforte dadurch befestigt
wurde. Der einzige Gewinn des Reiches bestand darin, daß es von
dem ausschließlichen Schutze der nordischen Macht erlöst und unter
den Schatten des allgemeinen europäischen Völkerrechtes gestellt wurde,
wie es seit dem Wiener Congresse giltig ist; aber die Vorhand deS
russischen Einflusses, obwohl vom Papiere verschwunden, blieb darum
doch sehr fühlbar und spielte immer neue und neue Intriguen, bis
endlich am 29. März 1841, wenige Tage nachdem die kaiserliche
Flotte aus ihrer Gefangenschaft im Hafen von Alerandrien heimge¬
segelt kam, der reformatorische Minister seine Entlassung erhielt und
wieder als Gesandter nach Paris geschickt wurde. Zur Versüßung
der Pille bezeigte ihm der Sultan in den huldvollsten Ausdrücken
die glänzendste Anerkennung seiner Verdienste und hing ihm, tout
commv ave? von», einen Nischan der dritten Classe um. Auch diese
Form ist modern, denn in früheren Zeiten pflegte die byzantinische
Hauspolitik ihre Diener mit kostbaren Pelzen zu decoriren; ein Soli¬
deres Geschenk, welches, gleichsam ein Orden über den ganzen Leib,
mehr in die Augen fiel, als die mageren Orden der Neuzeit.

Jetzt hört Europa, welches über die Wandlungen der orienta¬
lischen Politik bereits eben so wenig zu erstaunen gewohnt ist, wie
über die wunderbaren Wechsel in „Tausend und Eine Nacht" daß
Reschid als Minister des Auswärtigen zurückberufen ist. Und warum?
Hat der Sultan vielleicht die Nothwendigkeit einer zeitgemäßeren
Politik eingesehen? Haben Reschio'S aufgeklärte Freunde es dahin
gebracht? Wer weiß? Vielleicht daß der vorige Premier zur un¬
rechten Zeit ausgespuckt, vielleicht daß er dem Nachfolger des Pro¬
pheten, während einer Orgie in den mysteriösen Serailgemächern,
in's Gehege kam, — genug, der Beherrscher der Gläubigen macht
eine Spazierfahrt auf einem Dampfboote, und bei einer duftenden
Nargileh fällt ihm plötzlich ein, zur Abwechselung eS wieder einmal
mit dem modernen Steuermanne Reschid zu Probiren. Allein eben
so gut hätte eine großherrliche Laune das Portefeuille einem ChoS-
rew, einem Haut oder Achmet an den Kopf werfen können. Gewiß
hat der Einfluß einer auswärtigen Macht die sonst blinde Wahl
des Großtürken auf Reschid gelenkt. In aller Eile wird daher ta-
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[0458] Wie das schiedsrichterliche Urtheil ausfiel; die Macht Mehemed Ali's ward gebrochen, ohne daß die Macht der Pforte dadurch befestigt wurde. Der einzige Gewinn des Reiches bestand darin, daß es von dem ausschließlichen Schutze der nordischen Macht erlöst und unter den Schatten des allgemeinen europäischen Völkerrechtes gestellt wurde, wie es seit dem Wiener Congresse giltig ist; aber die Vorhand deS russischen Einflusses, obwohl vom Papiere verschwunden, blieb darum doch sehr fühlbar und spielte immer neue und neue Intriguen, bis endlich am 29. März 1841, wenige Tage nachdem die kaiserliche Flotte aus ihrer Gefangenschaft im Hafen von Alerandrien heimge¬ segelt kam, der reformatorische Minister seine Entlassung erhielt und wieder als Gesandter nach Paris geschickt wurde. Zur Versüßung der Pille bezeigte ihm der Sultan in den huldvollsten Ausdrücken die glänzendste Anerkennung seiner Verdienste und hing ihm, tout commv ave? von», einen Nischan der dritten Classe um. Auch diese Form ist modern, denn in früheren Zeiten pflegte die byzantinische Hauspolitik ihre Diener mit kostbaren Pelzen zu decoriren; ein Soli¬ deres Geschenk, welches, gleichsam ein Orden über den ganzen Leib, mehr in die Augen fiel, als die mageren Orden der Neuzeit. Jetzt hört Europa, welches über die Wandlungen der orienta¬ lischen Politik bereits eben so wenig zu erstaunen gewohnt ist, wie über die wunderbaren Wechsel in „Tausend und Eine Nacht" daß Reschid als Minister des Auswärtigen zurückberufen ist. Und warum? Hat der Sultan vielleicht die Nothwendigkeit einer zeitgemäßeren Politik eingesehen? Haben Reschio'S aufgeklärte Freunde es dahin gebracht? Wer weiß? Vielleicht daß der vorige Premier zur un¬ rechten Zeit ausgespuckt, vielleicht daß er dem Nachfolger des Pro¬ pheten, während einer Orgie in den mysteriösen Serailgemächern, in's Gehege kam, — genug, der Beherrscher der Gläubigen macht eine Spazierfahrt auf einem Dampfboote, und bei einer duftenden Nargileh fällt ihm plötzlich ein, zur Abwechselung eS wieder einmal mit dem modernen Steuermanne Reschid zu Probiren. Allein eben so gut hätte eine großherrliche Laune das Portefeuille einem ChoS- rew, einem Haut oder Achmet an den Kopf werfen können. Gewiß hat der Einfluß einer auswärtigen Macht die sonst blinde Wahl des Großtürken auf Reschid gelenkt. In aller Eile wird daher ta- lillli» ra8s, gemacht; die Erschuster, Schiffsknechte oder Bartkräusler

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/458>, abgerufen am 05.02.2025.