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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.

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u. s. w., verschwunden sind. Allerdings ist Vieles von diesen Ver¬
besserungen mehr <Zv >ro als <to facto eingeführt, der türkische
Augiasstall ist, wie jeder andere, nicht mit einem Besenstrich zu säu¬
bern, aber dennoch sind bereits viele Mißbräuche, die einst an der
Tagesordnung waren, eine Seltenheit geworden.

Diese Fortschritte mögen eine Bagatelle sein in den Augen des
europäischen Lesers, bedenkt man aber den Standpunkt der Civili¬
sation im Orient, so sind sie es nicht; eben so wenig als die Auf¬
hebung der Leibeigenschaft in Nußland eine Bagatelle wäre, weil sie
sich bei uns von selbst versteht. Die türkischen Fortschritte sind für
die Türkei eben so viel und noch mehr, als für uns Preßfreiheit
und Geschwornengerichte, die sich doch in England auch von selbst
verstehen. Was Gerichtspflege und Verwaltung betrifft, dürste der
Türke übrigens weder den Russen, noch den Bewohnein des Kirchen¬
staates zu beneiden haben. Ein wohldenkender und kluger Minister
hat diesem barbarischen Volke seine Bagatellen wenigstens in dem
Augenblicke verschafft, wo das Bedürfniß darnach allgemein wurde,
während hochgebildete Völker ihre Bagatellen mit allen längstgefühl¬
ten Bedürfnissen, mit allen politischen Gedichten, mit allen Agitation
nen und Zweckessen sich nicht erringen können.

Kehren wir zu Neschid-Pascha zurück. Die türkisch-ägyptische
Frage war immer verwickelter geworden. Neschid, der den Bürger¬
krieg zwischen Muselmännern und Muselmännern, bei dem sich nur
der Erbfeind des Reiches ins Fäustchen lachte, tief beklagte, hätte
ihn gern durch einen unmittelbaren Vergleich zwischen dem jungen
Sultan und dem alten Pharao von Aegypten geschlichtet; ein Ver¬
gleich, den der Tod Mahmud's, des halsstarrigen und persönlichen
Feindes von Mehemed-Ali, erleichtert hätte. Allein ehe Neschid in
Stambul zurück war, hatte sich Europa zum Schiedsrichter aufge¬
worfen. Das österreichische Cabinet sah in der Frage eine Klappe,
UM zwei Fliegen auf einmal zu treffen; nämlich ein Mittel, das
ausschließliche Protektorat Rußlands, welches auf dem Tractate von
Unkiar-Skelessi beruhte, zu brechen, und die englisch-französische Al¬
lianz zu sprengen. Es beeilte sich daher, den Mächten eiye gemein¬
same Intervention vorzuschlagen; und Neschid-Pascha mußte sich mit
einer passiven Zuschauerrolle begnügen, während das Abendland zu
Gerichte saß über den Streit der beiden Oömanliö. Man weiß,


Gmizbvtm, Isis. IV. 5g

u. s. w., verschwunden sind. Allerdings ist Vieles von diesen Ver¬
besserungen mehr <Zv >ro als <to facto eingeführt, der türkische
Augiasstall ist, wie jeder andere, nicht mit einem Besenstrich zu säu¬
bern, aber dennoch sind bereits viele Mißbräuche, die einst an der
Tagesordnung waren, eine Seltenheit geworden.

Diese Fortschritte mögen eine Bagatelle sein in den Augen des
europäischen Lesers, bedenkt man aber den Standpunkt der Civili¬
sation im Orient, so sind sie es nicht; eben so wenig als die Auf¬
hebung der Leibeigenschaft in Nußland eine Bagatelle wäre, weil sie
sich bei uns von selbst versteht. Die türkischen Fortschritte sind für
die Türkei eben so viel und noch mehr, als für uns Preßfreiheit
und Geschwornengerichte, die sich doch in England auch von selbst
verstehen. Was Gerichtspflege und Verwaltung betrifft, dürste der
Türke übrigens weder den Russen, noch den Bewohnein des Kirchen¬
staates zu beneiden haben. Ein wohldenkender und kluger Minister
hat diesem barbarischen Volke seine Bagatellen wenigstens in dem
Augenblicke verschafft, wo das Bedürfniß darnach allgemein wurde,
während hochgebildete Völker ihre Bagatellen mit allen längstgefühl¬
ten Bedürfnissen, mit allen politischen Gedichten, mit allen Agitation
nen und Zweckessen sich nicht erringen können.

Kehren wir zu Neschid-Pascha zurück. Die türkisch-ägyptische
Frage war immer verwickelter geworden. Neschid, der den Bürger¬
krieg zwischen Muselmännern und Muselmännern, bei dem sich nur
der Erbfeind des Reiches ins Fäustchen lachte, tief beklagte, hätte
ihn gern durch einen unmittelbaren Vergleich zwischen dem jungen
Sultan und dem alten Pharao von Aegypten geschlichtet; ein Ver¬
gleich, den der Tod Mahmud's, des halsstarrigen und persönlichen
Feindes von Mehemed-Ali, erleichtert hätte. Allein ehe Neschid in
Stambul zurück war, hatte sich Europa zum Schiedsrichter aufge¬
worfen. Das österreichische Cabinet sah in der Frage eine Klappe,
UM zwei Fliegen auf einmal zu treffen; nämlich ein Mittel, das
ausschließliche Protektorat Rußlands, welches auf dem Tractate von
Unkiar-Skelessi beruhte, zu brechen, und die englisch-französische Al¬
lianz zu sprengen. Es beeilte sich daher, den Mächten eiye gemein¬
same Intervention vorzuschlagen; und Neschid-Pascha mußte sich mit
einer passiven Zuschauerrolle begnügen, während das Abendland zu
Gerichte saß über den Streit der beiden Oömanliö. Man weiß,


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[0457] u. s. w., verschwunden sind. Allerdings ist Vieles von diesen Ver¬ besserungen mehr <Zv >ro als <to facto eingeführt, der türkische Augiasstall ist, wie jeder andere, nicht mit einem Besenstrich zu säu¬ bern, aber dennoch sind bereits viele Mißbräuche, die einst an der Tagesordnung waren, eine Seltenheit geworden. Diese Fortschritte mögen eine Bagatelle sein in den Augen des europäischen Lesers, bedenkt man aber den Standpunkt der Civili¬ sation im Orient, so sind sie es nicht; eben so wenig als die Auf¬ hebung der Leibeigenschaft in Nußland eine Bagatelle wäre, weil sie sich bei uns von selbst versteht. Die türkischen Fortschritte sind für die Türkei eben so viel und noch mehr, als für uns Preßfreiheit und Geschwornengerichte, die sich doch in England auch von selbst verstehen. Was Gerichtspflege und Verwaltung betrifft, dürste der Türke übrigens weder den Russen, noch den Bewohnein des Kirchen¬ staates zu beneiden haben. Ein wohldenkender und kluger Minister hat diesem barbarischen Volke seine Bagatellen wenigstens in dem Augenblicke verschafft, wo das Bedürfniß darnach allgemein wurde, während hochgebildete Völker ihre Bagatellen mit allen längstgefühl¬ ten Bedürfnissen, mit allen politischen Gedichten, mit allen Agitation nen und Zweckessen sich nicht erringen können. Kehren wir zu Neschid-Pascha zurück. Die türkisch-ägyptische Frage war immer verwickelter geworden. Neschid, der den Bürger¬ krieg zwischen Muselmännern und Muselmännern, bei dem sich nur der Erbfeind des Reiches ins Fäustchen lachte, tief beklagte, hätte ihn gern durch einen unmittelbaren Vergleich zwischen dem jungen Sultan und dem alten Pharao von Aegypten geschlichtet; ein Ver¬ gleich, den der Tod Mahmud's, des halsstarrigen und persönlichen Feindes von Mehemed-Ali, erleichtert hätte. Allein ehe Neschid in Stambul zurück war, hatte sich Europa zum Schiedsrichter aufge¬ worfen. Das österreichische Cabinet sah in der Frage eine Klappe, UM zwei Fliegen auf einmal zu treffen; nämlich ein Mittel, das ausschließliche Protektorat Rußlands, welches auf dem Tractate von Unkiar-Skelessi beruhte, zu brechen, und die englisch-französische Al¬ lianz zu sprengen. Es beeilte sich daher, den Mächten eiye gemein¬ same Intervention vorzuschlagen; und Neschid-Pascha mußte sich mit einer passiven Zuschauerrolle begnügen, während das Abendland zu Gerichte saß über den Streit der beiden Oömanliö. Man weiß, Gmizbvtm, Isis. IV. 5g

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_271260/457>, abgerufen am 05.02.2025.