Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.nehm, Bosnier, Bulgaren und Serben in Europa, alle diese Völ¬ Zu dieser kleinen Anzahl Reformatoren gehört Reschid Pascha, nehm, Bosnier, Bulgaren und Serben in Europa, alle diese Völ¬ Zu dieser kleinen Anzahl Reformatoren gehört Reschid Pascha, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0446" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/271707"/> <p xml:id="ID_1232" prev="#ID_1231"> nehm, Bosnier, Bulgaren und Serben in Europa, alle diese Völ¬<lb/> kerschaften sind theils durch Glauben und Sprache, theils durch Sit¬<lb/> ten und Interessen mit einander fast eben so im Widerstreit, wie mit<lb/> ihrem gemeinsamen Herrn, dem die Tradition, und die Gewohnheit<lb/> zu befehlen, immer noch ein größeres Uebergewicht gegen jeden ein¬<lb/> zelnen von ihnen verleiht, als man im Abendlande anzunehmen pflegt.<lb/> Ferner wäre selbst auf den Fall, daß Europa die Russen gewähren<lb/> ließe, die Frage damit iwch nicht gelöst; denn Constantinopel zu<lb/> bombardiren und zu besetzen, ist zwar ein Leichtes, aber nicht so<lb/> leicht wäre seine Behauptung; eine noch gefährlichere Aufgabe wäre<lb/> die Bändigung einer aus sieben bis acht verschiedenen Nationalitä¬<lb/> ten bestehenden Nation, die, nicht an persönliche Sicherheit, aber an<lb/> tausendmal größere persönliche Freiheit gewohnt sind, als die Mu-<lb/> schicks und die Leibeigenen in hypcrboräischen Norden; besonders wenn<lb/> man dabei noch die Verwaltung eines Riesenlandes, deS siebenten<lb/> Theils unserer Erdoberfläche, auf den Schultern und die Beherr¬<lb/> schung von fünfzig Millionen Menschen auf dem Herzen hat, die<lb/> trotz aller Ukase und Kunden noch lange nicht gleichmäßig in die<lb/> griechisch russische Form gegossen sind. Bedenkt man daher, daß<lb/> eine russisch-türkische Katastrophe nicht so sehr das Ende der orienta¬<lb/> lischen Frage als der Anfang einer neuen wäre, so begreift man die<lb/> zurückhaltende, aber unruhige Aufmerksamkeit, mit der unsere Staats¬<lb/> männer nach dem Osten blicken; und eben so wird man es begreif¬<lb/> lich finden, daß es unter den Türken Männer gibt, die noch nicht<lb/> verzweifeln wollen am Schicksal ihres Reiches, sondern auf dem Re¬<lb/> formwege, den Sultan Mahmud mit mehr Energie als Klugheit<lb/> betreten hat, muthig weiter wandeln.</p><lb/> <p xml:id="ID_1233" next="#ID_1234"> Zu dieser kleinen Anzahl Reformatoren gehört Reschid Pascha,<lb/> ein Mann, der durch Geist, Gesinnungen und diplomatisches Ta¬<lb/> lent auch in civilistrten Ländern hervorragen würde. Reschid Pascha<lb/> hat seit zehn Jahren den wichtigsten Antheil an der Regierung der<lb/> Pforte genommen. Seinem Einfluß hat man das berühmte Decret<lb/> zu verdanken, welches unter dem Namen des Hattischerif von Gul-Haus<lb/> bekannt ist und gleichsam den positiven, organischen und administra¬<lb/> tiven Theil jenes Werkes bildet, welches Mahmud nur zu sehr in<lb/> negativem und zerstörendem Sinne begonnen hatte. Als die soge¬<lb/> nannte türkische Constitutio» kaum ihre Früchte zu tragen anfing,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0446]
nehm, Bosnier, Bulgaren und Serben in Europa, alle diese Völ¬
kerschaften sind theils durch Glauben und Sprache, theils durch Sit¬
ten und Interessen mit einander fast eben so im Widerstreit, wie mit
ihrem gemeinsamen Herrn, dem die Tradition, und die Gewohnheit
zu befehlen, immer noch ein größeres Uebergewicht gegen jeden ein¬
zelnen von ihnen verleiht, als man im Abendlande anzunehmen pflegt.
Ferner wäre selbst auf den Fall, daß Europa die Russen gewähren
ließe, die Frage damit iwch nicht gelöst; denn Constantinopel zu
bombardiren und zu besetzen, ist zwar ein Leichtes, aber nicht so
leicht wäre seine Behauptung; eine noch gefährlichere Aufgabe wäre
die Bändigung einer aus sieben bis acht verschiedenen Nationalitä¬
ten bestehenden Nation, die, nicht an persönliche Sicherheit, aber an
tausendmal größere persönliche Freiheit gewohnt sind, als die Mu-
schicks und die Leibeigenen in hypcrboräischen Norden; besonders wenn
man dabei noch die Verwaltung eines Riesenlandes, deS siebenten
Theils unserer Erdoberfläche, auf den Schultern und die Beherr¬
schung von fünfzig Millionen Menschen auf dem Herzen hat, die
trotz aller Ukase und Kunden noch lange nicht gleichmäßig in die
griechisch russische Form gegossen sind. Bedenkt man daher, daß
eine russisch-türkische Katastrophe nicht so sehr das Ende der orienta¬
lischen Frage als der Anfang einer neuen wäre, so begreift man die
zurückhaltende, aber unruhige Aufmerksamkeit, mit der unsere Staats¬
männer nach dem Osten blicken; und eben so wird man es begreif¬
lich finden, daß es unter den Türken Männer gibt, die noch nicht
verzweifeln wollen am Schicksal ihres Reiches, sondern auf dem Re¬
formwege, den Sultan Mahmud mit mehr Energie als Klugheit
betreten hat, muthig weiter wandeln.
Zu dieser kleinen Anzahl Reformatoren gehört Reschid Pascha,
ein Mann, der durch Geist, Gesinnungen und diplomatisches Ta¬
lent auch in civilistrten Ländern hervorragen würde. Reschid Pascha
hat seit zehn Jahren den wichtigsten Antheil an der Regierung der
Pforte genommen. Seinem Einfluß hat man das berühmte Decret
zu verdanken, welches unter dem Namen des Hattischerif von Gul-Haus
bekannt ist und gleichsam den positiven, organischen und administra¬
tiven Theil jenes Werkes bildet, welches Mahmud nur zu sehr in
negativem und zerstörendem Sinne begonnen hatte. Als die soge¬
nannte türkische Constitutio» kaum ihre Früchte zu tragen anfing,
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