Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, II. Semester. II. Band.schüttern sucht; aber während man ihm die Türkei noch zu entwin- So verschieden durch Religion, Bildung und Race Polen und Wir haben gesehen, welches Bild der Todeskampf des polni¬ Gewiß trägt das ottomannische Reich in seinen Herzen mehr schüttern sucht; aber während man ihm die Türkei noch zu entwin- So verschieden durch Religion, Bildung und Race Polen und Wir haben gesehen, welches Bild der Todeskampf des polni¬ Gewiß trägt das ottomannische Reich in seinen Herzen mehr <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0444" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/271705"/> <p xml:id="ID_1226" prev="#ID_1225"> schüttern sucht; aber während man ihm die Türkei noch zu entwin-<lb/> winden strebt, scheint man ihm Polen ohne Widerstand zu über¬<lb/> lassen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1227"> So verschieden durch Religion, Bildung und Race Polen und<lb/> die Türkei sind, doch ist die Parallele zwischen dem Schicksal beider<lb/> Staaten nicht zu gewagt; beide mußten sinken von dem Tage an,<lb/> wo sie aufhörten zu kämpfen. Ohne anderes Lebens- und Einheits¬<lb/> element, als den Krieg, blieben sie, außerhalb der Sphäre moderner<lb/> Staatenorganisation, eine isolirte Individualität, und als sie aufhör-,<lb/> ten, die eine ein Schrecken, das andere ein Paladin Europas zu<lb/> sein, wurden sie ein Anachronismus und ein Stein im Wege, den<lb/> man bei Seite wirft. Polen aber, welches dem Werke der europäi¬<lb/> schen Staatenvcrschmelzung näher stand, wurde zuerst von dem um-<lb/> schwingenden Rabe der politischen Maschine ergriffen und hinab¬<lb/> gerissen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1228"> Wir haben gesehen, welches Bild der Todeskampf des polni¬<lb/> schen Reiches am Ende des vorigen Jahrhunderts bot: Anarchie,<lb/> Bürgerkrieg, Kampf zwischen den Einflüssen der Nachbarn, deren<lb/> Eifersucht allein ihm eine Gnadenfrist verschaffte. Und mitten in<lb/> dieser Verwirrung erhoben sich zu spät gekommene Reformatoren und<lb/> bemühten sich, ihr Vaterland vor der Raubsucht deö Fremdlings zu<lb/> bewahren, unter dessen zweideutigem Schutz sie an der nationalen<lb/> Wiedergeburt arbeiten. Dieses selbe Schauspiel bietet, seit einer<lb/> Reihe von Jahren, das ottomannische Reich: Bürgerkrieg, anarchische<lb/> Verwaltung, theilweise Zerstücklung, listige Einmischung der Fremden,<lb/> schwache Reformversuche, Nichts fehlt zur Aehnlichkeit deö Bildes; —<lb/> wird aber auch die Katastrophe dieselbe sein, oder wird die Türkei<lb/> am Leben bleiben, weil vielleicht die Nägel zu seinem Sarge das<lb/> penelopäische Gewebe deö europäischen Friedens zerreißen könnten?<lb/> Wir wagen es nicht, diese Frage zu lösen: obschon uns die Pforte<lb/> dem Grabe näher scheint, als der Auferstehung, so mögen wir doch<lb/> nicht so fir und fertig sein, wie unsere politischen Kartenschläger, die<lb/> eben so schnell die Türkei in drei Portionen theilen, wie sie das<lb/> getheilte Deutschland zu einer festen Einheit zusammenschweißen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1229" next="#ID_1230"> Gewiß trägt das ottomannische Reich in seinen Herzen mehr<lb/> Todeskeime und zersetzende Elemente, als das gebildete, schwungvolle<lb/> und christliche Polen; die herrschende Race , die, ein Zweig der ta-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0444]
schüttern sucht; aber während man ihm die Türkei noch zu entwin-
winden strebt, scheint man ihm Polen ohne Widerstand zu über¬
lassen.
So verschieden durch Religion, Bildung und Race Polen und
die Türkei sind, doch ist die Parallele zwischen dem Schicksal beider
Staaten nicht zu gewagt; beide mußten sinken von dem Tage an,
wo sie aufhörten zu kämpfen. Ohne anderes Lebens- und Einheits¬
element, als den Krieg, blieben sie, außerhalb der Sphäre moderner
Staatenorganisation, eine isolirte Individualität, und als sie aufhör-,
ten, die eine ein Schrecken, das andere ein Paladin Europas zu
sein, wurden sie ein Anachronismus und ein Stein im Wege, den
man bei Seite wirft. Polen aber, welches dem Werke der europäi¬
schen Staatenvcrschmelzung näher stand, wurde zuerst von dem um-
schwingenden Rabe der politischen Maschine ergriffen und hinab¬
gerissen.
Wir haben gesehen, welches Bild der Todeskampf des polni¬
schen Reiches am Ende des vorigen Jahrhunderts bot: Anarchie,
Bürgerkrieg, Kampf zwischen den Einflüssen der Nachbarn, deren
Eifersucht allein ihm eine Gnadenfrist verschaffte. Und mitten in
dieser Verwirrung erhoben sich zu spät gekommene Reformatoren und
bemühten sich, ihr Vaterland vor der Raubsucht deö Fremdlings zu
bewahren, unter dessen zweideutigem Schutz sie an der nationalen
Wiedergeburt arbeiten. Dieses selbe Schauspiel bietet, seit einer
Reihe von Jahren, das ottomannische Reich: Bürgerkrieg, anarchische
Verwaltung, theilweise Zerstücklung, listige Einmischung der Fremden,
schwache Reformversuche, Nichts fehlt zur Aehnlichkeit deö Bildes; —
wird aber auch die Katastrophe dieselbe sein, oder wird die Türkei
am Leben bleiben, weil vielleicht die Nägel zu seinem Sarge das
penelopäische Gewebe deö europäischen Friedens zerreißen könnten?
Wir wagen es nicht, diese Frage zu lösen: obschon uns die Pforte
dem Grabe näher scheint, als der Auferstehung, so mögen wir doch
nicht so fir und fertig sein, wie unsere politischen Kartenschläger, die
eben so schnell die Türkei in drei Portionen theilen, wie sie das
getheilte Deutschland zu einer festen Einheit zusammenschweißen.
Gewiß trägt das ottomannische Reich in seinen Herzen mehr
Todeskeime und zersetzende Elemente, als das gebildete, schwungvolle
und christliche Polen; die herrschende Race , die, ein Zweig der ta-
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